„Eine ambitionierte Naturschutzpolitik ist dringender als je zuvor“
Umweltministerin Svenja Schulze im RiffReporter-Interview:
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) fordert eine deutliche Aufstockung der Finanzmittel für den Umwelt- und Naturschutz. Beim nächsten Welt-Biodiversitätsgipfel der Vereinten Nationen müssten die Weichen dafür gestellt werden, dass Krisen wie die Corona-Pandemie künftig vermieden werden könnten, sagte Schulze in einem Interview mit RiffReporter. „Das bedeutet auch, dass wir global sehr viel mehr Mittel für den Schutz der biologischen Vielfalt mobilisieren müssen – auf nationaler und internationaler Ebene, aus öffentlichen, wie aus privaten Mitteln“, forderte die SPD-Politikerin.
Schulze wandte sich in der Diskussion um die Bewältigung der ökonomischen Folgen der Pandemie gegen eine Aufweichung von Umweltstandards. „Die aktuelle Corona-Krise ist kein Argument gegen Naturschutz, im Gegenteil, sie ist ein starkes Argument für ambitioierte Naturschutzziele“, sagte die SPD-Politikerin. Die Verabschiedung der der von Agrarverbänden kritisierten Düngemittelverordnung trotz der Pandemie durch den Bundesrat in der vergangenen Woche sei in diesem Zusammenhang ein wichtiges Signal von Bund und Ländern gewesen. „Sie können versichert sein: Das Bundesumweltministerium setzt sich weiterhin für eine ambitionierte Natur- und Umweltschutzpolitik ein“, sagte Schulze. „Sie ist dringender als je zuvor“.
„Wir sollten mehr und frühzeitiger auf die Wissenschaft hören“
Als Lehre aus der Corona-Pandemie empfahl die Ministerin: „Wir sollten aus der Krise lernen, mehr und frühzeitig auf die Wissenschaft zu hören.“ Forscher hatten bereits seit längerem gewarnt, dass die anhaltende Zerstörung natürlicher Lebensräume durch Rodungen und andere Formen der Landnutzung die Gefahr von Virus-Pandemien deutlich erhöht. „Wir müssen weit mehr als bisher dafür tun, um bereits zerstörte Lebensräume zu erhalten und wiederherzustellen“, forderte Schulze.
Die Fragen stellte Thomas Krumenacker.
Viele Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die gegenwärtige Pandemie auch die Folge schwerwiegender menschlicher Eingriffe in die Ökosysteme ist. Stimmen Sie zu?
Svenja Schulze: Viele gefährliche durch Viren hervorgerufene Infektionskrankheiten wurden ursprünglich von Tieren auf den Menschen übertragen, etwa HIV oder Ebola. Das Virenreservoir in der Tierwelt ist sehr groß, aber bislang hat ein Übersprung auf den Menschen nur in wenigen Fällen stattgefunden. Kommen jedoch viele verschiedene Tierarten und Menschen auf engstem Raum zusammen, wie dies zum Beispiel auf Wildtiermärkten der Fall ist, entstehen sehr gute Bedingungen für die Übertragung und Verbreitung von Krankheitserregern. Vergleichbares kennen wir auch bei Schweine- und Vogelgrippe, die in den Massentierhaltungen weltweit zum Problem für die Tiergesundheit wie für den Menschen geworden sind.
Umwelt- und Naturschutz ist auch präventive Gesundheitspolitik.
Inwieweit ist die Krise also menschengemacht?
Das eigentliche Grundproblem der zunehmenden Virenübertragung auf den Menschen ist die Zerstörung von Ökosystemen und Lebensräumen. Die Menschen dringen immer tiefer in die Urwälder und natürlichen Verbreitungsgebiete vieler Arten ein und reduzieren oder vernichten damit die biologische Vielfalt – indem bestimmte Tierarten direkt verfolgt oder Wälder in Monokulturen umgewandelt werden. Dabei werden Lebensräume und Ökosysteme geschädigt, zerteilt oder vollständig zerstört. Eine Reihe von wissenschaftlichen Studien kommt zum Ergebnis, dass diese Eingriffe ursächlich für die Erhöhung von Infektionsrisiken sind.
Auch das Coronavirus ist von einem Wildtier auf den Menschen übergesprungen…
Welche Rolle hier welche Tierart gespielt hat, ist bisher noch nicht genau geklärt. Klar ist aber schon jetzt: Ursache ist das menschliche Verhalten. Die Wissenschaft sagt uns: Je mehr der Mensch die Natur zerstört, desto größer ist das Risiko, dass ein Virus überspringt und desto größer ist das Risiko eines Krankheitsausbruchs bis hin zu einer Pandemie. Dies unterstreicht die Bedeutung des Naturschutzes für die menschliche Gesundheit. Umwelt- und Naturschutz ist auch präventive Gesundheitspolitik.
Wir müssen weit mehr als bisher dafür tun, um bereits zerstörte Lebensräume zu erhalten und wiederherzustellen.
Wissenschaftler haben schon vor vielen Jahren in Szenarien auch vor immer neuen Pandemien als Folge anhaltender Umweltzerstörung gewarnt. Waren wir zu sorglos?
Wir sollten aus der Krise lernen, mehr und frühzeitig auf die Wissenschaft zu hören. Die aktuelle Pandemie wie auch andere Krankheiten führen der Menschheit vor Augen: Wir sind ein Teil der Natur. Zerstören wir die Natur, zerstören wir somit auch unsere Lebensgrundlage. Der globale IPBES-Bericht zum Zustand der Natur stellt hierzu fest, dass die Geschwindigkeit der globalen Veränderungen der Natur in den letzten 50 Jahren beispiellos in der Geschichte der Menschheit ist. Der Bericht nennt aber auch Lösungsansätze. Wir kennen also den aktuellen globalen Zustand der biologischen Vielfalt, wir wissen, welche Probleme Natur und Menschen bedrohen, und wir kennen auch Lösungsmöglichkeiten.
Welche Schlussfolgerungen leiten Sie aus den Erkenntnissen ab?
Die Corona-Pandemie verdeutlicht einmal mehr, dass wir die Erkenntnisse der Wissenschafternst nehmen müssen. Die Aufgabe an die Politik lautet: Wir müssen weit mehr als bisher dafür tun, um bereits zerstörte Lebensräume zu erhalten und wiederherzustellen. Diese Aufgabe müssen wir jetzt entschlossen angehen, das dürfen wir nicht in die Zukunft verschieben.
Alle Anstrengungen gelten jetzt natürlich zunächst dem Kampf gegen die weitere Ausbreitung der Pandemie und der Bewältigung der unmittelbaren Folgen. Welche Lehren mit Blick auf Umwelt und Biodiversität gilt es aber auf längere Sicht aus der Krise zu ziehen?
Derzeit liegt der Fokus auf der akuten Krisenbekämpfung, und es ist noch nicht die Zeit für fertige Schlussfolgerungen. Aber schon jetzt sollten wir uns ausführlich mit den Ursachen dieser Krise beschäftigen, um das Risiko künftiger Pandemien zu verringern. Drei Ansatzpunkte wird das Bundesumweltministerium in den nächsten Monaten weiter verfolgen: Wissenschaft, Handel mit Wildtieren und ein internationaler Rahmen für den Naturschutz,
Können Sie das genauer erklären?
Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) hat durch die Zusammenarbeit hunderter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und der Auswertung tausender wissenschaftlicher Studien im letzten Jahr den Globalen Bericht zur Natur und Ökosystemleistungen vorgelegt, der weltweit beachtet wurde. Die überragende wissenschaftliche Expertise, die in dieser zwischenstaatlichen Institution steckt, sollten wir auch jetzt wieder nutzen. Daher möchte ich anregen, dass der Weltbiodiversitätsrat sich auch dieser aktuellen Fragestellung widmet und politische Handlungsmöglichkeiten aufzeigt. Mein Ministerium steht bereit, den Rat bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Wir wissen genug, um zum Schutz der Ökosysteme zu handeln. Aber trotzdem ist es wichtig, den weltweiten Wissensstand zum Zusammenhang zwischen Naturschutz und Gesundheit, zu den Zusammenhängen zwischen Naturzerstörung, illegalem Artenhandel und der Zunahme von neuen Infektionskrankheiten zu sammeln und zu erweitern.
Der illegale Handel mit wildlebenden Tieren und Pflanzen und daraus gewonnenen Produkten gehört inzwischen zu den größten und lukrativsten Formen der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität.
Was kann man gegen den oft illegalen Handel mit Wildtieren tun ?
Es ist gut, dass etwa China bereits Maßnahmen ergriffen hat, Wildtiermärkte zu schließen, wie sie es auch schon für Elfenbein in der Vergangenheit getan haben. Das brauchen wir auch in weiteren Ländern. Daher wollen wir im Rahmen des Washingtoner Artenschutzübereinkommens eine Initiative starten, um nationale Märkte für solche Tiere zu schließen, die international nicht mehr gehandelt werden dürfen, wie das Schuppentier. Aber Wildtiermärkte sind nur ein kleiner Ausschnitt des größeren Problems. Der illegale Handel mit wildlebenden Tieren und Pflanzen und daraus gewonnenen Produkten gehört inzwischen zu den größten und lukrativsten Formen der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität. Wir müssen den illegalen Artenhandel mit allen, auch polizeilichen Mitteln bekämpfen. Mein Ministerium wird daher die konsequente Verfolgung des illegalen Artenhandels national und international stärken. Wir prüfen derzeit, welche weiteren Maßnahmen speziell zur Reduzierung der Nachfrage von exotischen Heimtieren ergriffen werden können. Dazu gehören die bessere Kontrolle des Internethandels, die Einführung einer Nachweis- und Kennzeichnungspflicht über die Herkunft von Wildfängen und Nachzuchten, oder auch die verpflichtende Angabe artenschutzrelevanter Informationen beim Verkauf.
Was kann eine bessere internationale Abstimmung im Naturschutz leisten?
Ein neuer tragfähiger internationaler Rahmen für den Naturschutz ist von zentraler Bedeutung. Die Weltgemeinschaft hat verabredet, sich bei der nächsten UN-Konferenz zum Schutz der Biologischen Vielfalt eine neue globale Biodiversitätsstrategie zu geben. Das wird eine Chance sein, zu zeigen, dass wir aus der Coronakrise lernen und die notwendigen Maßnahmen zum globalen Schutz der biologischen Vielfalt beschließen – auch um das Risiko künftiger Pandemien zu verringern.
Wir müssen auch in Deutschland einen Beitrag leisten, etwa durch eine nachhaltigere Agrarpolitik.
In welchen Bereichen muss es beim Weltbiodiversitätsgipfel Fortschritte geben?
Zum Beispiel geht es um eine naturverträgliche Art des Wirtschaftens. Es geht um den Erhalt von Ökosystemen. Es geht um Schutzgebiete. Man könnte sagen: Es geht auch darum, den Wildtieren künftig den Platz und die vielfältigen Ökosysteme zu geben, die sie brauchen, damit Mensch und Tier einen gesunden Abstand zueinander halten können. Es geht auch um eine nachhaltige Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft. Dazu müssen wir natürlich auch in Deutschland beitragen, etwa über eine nachhaltigere Agrarpolitik. Oder über nachhaltigere globale Lieferketten. Denn wir lernen nicht zuletzt in dieser Krise, dass echte Lösungen global sein müssen. Wenn wir den Erhalt oder den Wiederaufbau von Ökosystemen fördern, hat das übrigens oft einen mehrfachen Nutzen: für die Umwelt, für das Klima, für lokale Jobs – und wie wir uns jetzt bewusst machen – auch für die Gesundheit, nicht nur vor Ort, sondern weltweit. Darum werden wir neben unserem Einsatz für einen starken globalen Rahmen für die Biodiversität auch prüfen, ob und wenn ja wie wir unsere Fördermittel für internationale Naturschutzprojekte in diesem Sinne noch gezielter einsetzen können.
Und welche Beiträge werden Deutschland und andere Staaten leisten?
Ein neuer globaler Rahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt, wie wir ihn auf der Konferenz beschließen wollen, muss Lösungen für folgende Fragen finden: Wie können wir die biologische Vielfalt schützen und sie nachhaltig nutzen? Wie soll der Zugang zu ihren genetischen Ressourcen und der gerechte Ausgleich für die Nutzung dieser Ressourcen geregelt werden? Hierfür konkrete Ziele und Umsetzungsprozesse zu verankern, das ist die Aufgabe für die Staatengemeinschaft insgesamt, an der wir in bereits Deutschland intensiv arbeiten.
Wird die Pandemie die Agenda des Gipfels verändern?
Die internationale Zusammenarbeit muss so ausgerichtet werden, dass sie dabei hilft, künftige Krisen zu vermeiden. Das bedeutet auch, dass wir global sehr viel mehr Mittel für den Schutz der biologischen Vielfalt mobilisieren müssen – auf nationaler und internationaler Ebene, aus öffentlichen wie aus privaten Mitteln. Das wird eines der Themen bei der Weltbiodiversitätskonferenz sein. Durch die Verschiebung bekommen wir die Chance, aus den Ursachen der Coronakrise und von anderen Viruserkrankungen zu lernen. Das eröffnet hoffentlich auch die Möglichkeit zu besseren Ergebnissen zu kommen, als es ohne diese Krise möglich wäre, weil die Weltgemeinschaft mit den Beschlüssen der Weltnaturschutzkonferenz im Jahr 2021 die Lehren aus der Krise ziehen kann. Dann können wir als Weltgemeinschaft zeigen, dass wir aus der Coronakrise lernen.
Die Corona-Krise ist dabei kein Argument gegen Naturschutz, im Gegenteil, sie ist ein starkes Argument für ambitionierte Naturschutzziele.
Viele Regierungen, auch die Bundesregierung, planen gewaltige Investitionen zur Abfederung der ökonomischen Folgen der Pandemie-Krise. Schon warnen Institutionen und Organisationen wie der Club of Rome davor, im Zuge der Konjunkturstimulierung zu sehr auf klassische Rezepte wie Straßenbau oder andere nicht umweltverträgliche Maßnahmen zu setzen und so die bestehenden Probleme im Klima- und Biodiversitätsschutz weiter zu verschärfen. Sehen Sie diese Gefahr auch für Deutschland und welche Alternativen schlagen Sie vor?
Gerade in Krisenzeiten, aber natürlich auch grundsätzlich, sollten verschiedene Belange nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der Schutz der Natur ist Voraussetzung für ein gutes Leben. Wir stellen gerade wichtige Weichen für die zukünftige internationale Naturschutzpolitik: Neben dem neuen globalen Rahmen gibt es auch gute Entwicklungen in Europa. Die EU-Kommission erarbeitet derzeit den Entwurf zur EU-Biodiversitätsstrategie. Die aktuelle Corona-Krise ist dabei kein Argument gegen Naturschutz, im Gegenteil, sie ist ein starkes Argument für ambitionierte Naturschutzziele.
Eine zukunftsfähige Landwirtschaft braucht den Schutz von Boden, Wasser, Luft, Klima und biologischer Vielfalt, denn das sind ihre natürlichen Grundlagen.
Der Druck auf bestehende Regulierungen im Umwelt- und Klimaschutz wird im Zuge der Debatte über die ökonomischen Folgen der Krise wachsen. So gibt es bereits Forderungen nach Lockerung der CO2-Bepreisung oder nach Abkehr von der Düngeverordnung. Können wir uns darauf verlassen, dass es keine Rückschritte in der Umweltpolitik geben wird?
Mit der beschlossenen neuen Düngeverordnung setzt Deutschland die Vorgaben der EU um. Der Beschluss des Bundesrats war, trotz der gegenwärtigen Krisensituation, am vergangenen Freitag ein ganz wichtiges gemeinsames Signal von Bund und Ländern. Sie können versichert sein: Das BMU setzt sich weiterhin für eine ambitionierte Natur- und Umweltschutzpolitik ein. Sie ist dringender als je zuvor.
Die biologische Vielfalt auch in Deutschland und der EU steckt seit langem in einer tiefen Krise. Wissenschaftler sind sich einig, dass vor allem die gegenwärtige Form der Landwirtschaft dafür verantwortlich ist. Von der EU-Kommission wird von vielen Seiten die Einleitung einer nachhaltigen Wende gefordert. Die EU-Kommission agiert indes mit ihrem Vorschlag für einen „green deal“ nur halbherzig.
Der Entwurf zur EU-Biodiversitätsstrategie wird von der EU-Kommission derzeit noch erstellt. Das BMU setzt sich für eine ambitionierte EU-Biodiversitätsstrategie und eine umweltschonende Landwirtschaft ein. Eine zukunftsfähige Landwirtschaft braucht den Schutz von Boden, Wasser, Luft, Klima und biologischer Vielfalt, denn das sind ihre natürlichen Grundlagen. Deshalb brauchen wir eine Agrarpolitik, die die Umweltbelastungen, die die Landwirtschaft verursacht, ehrlich benennt und diese abstellt. Sei es bei der Nährstoffbelastung des Grundwassers, beim Einsatz von Pestiziden wie Glyphosat oder beim Insektenschutz.
Was ist nötig, um ein Ende des Artensterbens auf Europas Feldern zu erreichen?
Auf Bundesebene hat die Bundesregierung zum Beispiel das „Aktionsprogramm Insektenschutz“ im letzten Jahr verabschiedet, um die wesentlichen Ursachen des Insektensterbens anzugehen, unter anderem mit deutlich strengeren Regeln zum Einsatz von Pestiziden. Einfach war es nie, und einfach wird auch der vor uns liegende Weg nicht sein. Aber so wie der Krefelder Entomologische Verein mit seinen Studien die Welt in Sachen Insektensterben aufgerüttelt hat, zeigt die jetzige globale Krise – natürlich in einem noch größeren Maßstab – einmal mehr, dass wir schnell und entschlossen handeln müssen, um die Welt für die nachfolgenden Generationen in einem guten Zustand zu erhalten.