Pflegereform: „Menschen kommen nicht wegen Blasenschwäche ins Heim, sondern wegen Netzwerkschwäche“

Thomas Klie fordert einen grundlegenden Umbau der Pflegeversicherung. Denn bisher setze die Politik die falschen Schwerpunkte. Ein Gespräch über das Recht auf Unterstützung und eine Pflege, die sich am Bedarf der Menschen orientiert.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
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Eine Pflegerin hilft einem alten Mann beim Aufstehen aus seinem Bett. Pflegefachkräfte sind wichtig, um eine häusliche Pflege zu unterstützen.

Wie sieht eine gute Langzeitpflege aus? Darüber macht sich Thomas Klie viele Gedanken. Er sagt: Wir setzen die falschen Schwerpunkte. Die Pflege vor Ort muss viel mehr Aufmerksamkeit bekommen. Die meisten Menschen möchten zu Hause alt werden und in ihre Familie, in ihre Nachbarschaft eingebunden sein, statt zu Kunden von Dienstleitern zu werden. Der renommierte Sozialrechtler und Gerontologe fordert, die Pflegeversicherung grundlegend umzubauen. Die jetzt vorgelegten Vorschläge von Gesundheitsminister Karl Lauterbach reichten bei Weitem nicht aus. Ein Gespräch über notwendige Veränderungen und ein Reförmchen in diesem Jahr. Teil 2 der Debatte zur Zukunft der Pflegeversicherung.

Herr Klie: Karl Lauterbach hat seineVorschläge für eine Pflegereformvorgelegt. Kinderlose sollen höhere Beiträge zahlen, das Pflegegeld soll leicht steigen, Heimbewohner stärker bei den Kosten entlastet werden. Lösen wir damit die Probleme in der Pflege?

Nein. Zurzeit fließen das meiste Geld und die meiste politische Aufmerksamkeit in Richtung Pflegeheime. Dabei müssten wir endlich die häusliche Pflege in den Mittelpunkt stellen. Die allermeisten Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. Immer mehr Menschen übernehmen Pflegeaufgaben. Es ist bemerkenswert, mit welchem Engagement, welcher Empathie und welchem Fachwissen sie sich einbringen. Aber viele An- und Zugehörige stoßen an die Grenzen ihrer Kraft.

Die deutsche Pflegeversicherung baut auf einem klassischen Gendernormativ auf: Sie drängt Frauen in diese Rolle hinein, ob sie wollen oder nicht. Wir wissen: Angehörige pflegen nicht immer freiwillig, sondern oftmals aus Alternativlosigkeit. Die Pflege verändert ihr Leben grundlegend, oft über Jahre. Das ist unverantwortlich. Und es verursacht hohe Kosten – persönlich, volkswirtschaftlich und gesundheitsökonomisch.

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