Eine Schnitzeljagd in Bildern: Wie entsteht aus einer Recherche eine Geschichte?
Wie arbeiten Wissenschaftler, wie recherchieren Journalisten? Uwe H. Martin gibt bei einem Workshop Einblicke in die Medien- und Forschungswelt

Die weiße Masse quillt aus den Körben über ihren Köpfen, während zwei Frauen die schwere Last zwischen Bergen von der Substanz tragen. Was könnte das sein? Salz? Nein, das wäre zu schwer. Baumwolle? Kann sein. Und wo? Vielleicht im globalen Süden? Vielleicht tragen sie Saris. Also doch Indien oder Pakistan.
Mit solchen Diskussionen fing die Online-Veranstaltung „Eine Schnitzeljagd in Bildern“ von Uwe H. Martin im Mai 2021 an. Der Journalist entwickelte den Workshop in der Masterclass Wissenschaftsjournalismus der Riffreporter, die von der Robert Bosch Stiftung gefördert wird. Das Ziel: Die Denkweisen von Wissenschaft und Journalismus besser zu verstehen. Und merken, wie schwierig es sein kann, komplexe Sachverhalte zu vermitteln.
Der Weg der Recherche
Martin spielte die digitale Schnitzeljagd im Sommer mit einer elften Klasse eines Gymnasiums. Auf das erste Bild der beiden Frauen folgten weitere: Männer, die Baumwolle ähnlich wie fließendes Wasser verarbeiten; Frauen in bunten Gewändern, die wie fixiert nach unten schauen; Feuer; brennende Landschaften, in deren Hintergrund nur Silhouetten von Menschen zu sehen sind.

Martin leitete dazu an, die Bilder zunächst nur ganz neutral zu beschreiben und dabei zu lernen: Erst im Kontext von vielen Bildern entsteht eine Geschichte. Denn Stück für Stück, auch durch die Hinleitung Martins und durch die Suche im Internet, verstanden die Schülerïnnen, worum es geht: Die hohe Suizidrate von Baumwollbauern in Indien. Martin hatte damals selbst dazu recherchiert, die Ergebnisse in GEO und online veröffentlicht. Nun wollte er das gesammelte Wissen an die jungen Menschen weitergeben.
Einblicke in den Journalismus und das wissenschaftliche Arbeiten
Während beim Workshop die einen etwa zum Thema Wasserknappheit in Indien und Pakistan mit den Datenbanken der Bibliothek recherchierten, schauten sich die anderen die möglichen Auswirkungen der Klimakrise auf die Suizidrate der Bauern an. Sie sollten entscheiden, welche Geschichte sie erzählen wollten. Aber das ist gar nicht so einfach. Denn stetig müssen Journalistïnnen Informationen filtern, vieles von dem recherchierten Material weglassen oder Fakten hervorheben.

Unter anderem wichtig hierbei: Der sogenannte „confirmation bias“. Der Begriff bedeutet, dass Informationen umso eher wahrgenommen und als wichtig bewertet werden, wenn sie zu den eigenen Annahmen und Überzeugungen passen. Dabei müsse man laut Martin aber bei jeder Studie genau schauen: Wer finanziert sie, wer schreibt sie, wie wurde sie durchgeführt?
So gebe es bei der Hypothese, ob gentechnisch verändertes Saatgut den Bauern wirklich hilft, verschiedene Annahmen: Während die einen Forschenden eher die kurzfristigen biologischen Effekte anschauten und zu dem Ergebnis gelangten, dass die Bauern mehr Ertrag durch das Saatgut bekommen, bewerteten Soziologen die Lage anders. Sie fanden heraus, dass die Bauern durch das gentechnisch veränderte Saatgut ein größeres Risiko eingehen. Wenn sie Anfang der Saison das ganze Geld für das Saatgut ausgeben, die Ernte jedoch zum Beispiel durch einen Sturm zerstört wird, können sie schnell in eine Schuldenkreislauf geraten. Welche Geschichte erzählt man dann eher? Die, dass das Saatgut zu mehr Erträgen führt oder die, dass die Bauern dadurch ein größeres Risiko eingehen?
Kritisch hinterfragen oder bashen
Martin war vor allem wichtig, dass die Schülerïnnen verstehen, wie schwer es ist, komplexe Zusammenhänge zu vermitteln, und die Mechanismen hinter dem wissenschaftlichen und journalistischen Arbeiten kennenzulernen. „Auf der einen Seite wird gar nicht kritisch genug hinterfragt, was geschrieben wird, auf der anderen Seite wird ein immenses Medien- und Forschungsbashing betrieben“, sagt der Journalist. Er hofft mit seinem Workshop zu einem besseren Verständnis beizutragen, wie Journalistïnnen und Forscherïnnen recherchieren und zu einem kritischen Umgang mit Medienprodukten anzuregen.
Die Schnitzeljagd zeigte Wirkung. Obwohl die Bedingungen durch das Online-Format statt der ursprünglich geplanten Präsenzveranstaltung nicht ideal waren, hat Martin mehrere positive Rückmeldungen bekommen. Auch ein halbes Jahr nach der Veranstaltung erinnerten sich die Schülerïnnen noch daran, erfuhr Martin.
Der Journalist bietet den Workshop Bibliotheken weiter an, sieht ihn aber auch als Start für ein größeres Projekt. Uwe H. Martin würde gerne mit Schulen in Präsenz eine ganze Veranstaltungswoche zu dem Thema anbieten und weiterführende Fragen zu erkunden: Wie funktioniert kritisches Denken, wie werden Studien gemacht, was sind Quellen, denen man vertrauen kann?
Interessierte können sich bei louise.hansel@riffreporter.de melden.