Mythos „Mutterinstinkt“: Warum Elternschaft keine Frage des Geschlechts ist

Der Glaube an einen angeborenen Mutterinstinkt setzt Frauen unter Druck, hält Väter außen vor, zementiert alte Rollenbilder – und ist schlichtweg falsch. Die Autorinnen Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner räumen in ihrem Buch „Mythos Mutterinstinkt“ mit diesem Irrglauben auf. Ein Gespräch über neurobiologische Erkenntnisse, die gesellschaftliche Funktion von Mutterschaft – und warum auch Väter ein „Hirn-Upgrade“ bekommen.

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Der angebliche Mutterinstinkt ist ein Mythos, ein gesellschaftliches Konstrukt.

Frau Rösler, Sie sind Autorin des Buchs „Mythos Mutterinstinkt“. Was genau hat es mit dem Muttermythos auf sich?

Annika Rösler: Lange Zeit galt die Vorstellung, dass Frauen qua Geschlecht besonders gut für Kinder sorgen können. Das Bild der bedingungslos liebenden, sich selbst aufopfernden Mutter hielt sich über Generationen hinweg – als wäre Mutterschaft die natürliche Bestimmung jeder Frau. Fürsorge und Hingabe wurden biologisch begründet, sogar von der Naturwissenschaft gestützt. Heute jedoch wissen wir: Bindung entsteht nicht durch Geschlecht, sondern durch Nähe, Zuwendung und gemeinsam verbrachte Zeit. Den sogenannten Mutterinstinkt gibt es nicht – er ist ein Mythos.

In welcher Zeit entstand die Idee eines universellen Mutterinstinkts?

Der Glaube an einen angeborenen Mutterinstinkt gewann besonders während der Aufklärung an Bedeutung – einer Zeit, in der die Geburtenraten sanken. Auch in der NS-Zeit wurde das Mutterideal politisch instrumentalisiert: mit Muttertag, Mutterkreuz und der Erhebung der Mutterschaft zur nationalen Pflicht. Doch viele gängige Erzählungen entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Mythen. So etwa die romantisierte Idee der steinzeitlichen Sammlerin, die mit den Kindern in der Höhle blieb, während die Männer jagten. Dabei gingen Frauen ebenso auf die Jagd. Mit jeder gesellschaftlichen Krise, in der Geburtenzahlen zurückgingen, wurde das Mutterbild neu justiert. Im 18. Jahrhundert begannen Aufklärer, Mutterschaft nicht mehr religiös, sondern biologisch zu begründen – dadurch wurde es noch schwerer, sich von diesen Rollenbildern zu lösen. Und mit jedem einflussreichen Mann der Geschichte – sei er Philosoph, Pädagoge, Wissenschaftler oder Bindungstheoretiker, wuchs der Katalog an Aufgaben, die eine „gute Mutter“ zu erfüllen hatte.

Annika Roesler ist eine der beiden Autorinnen des Buchs „Mythos Mutterinstinkt“.
Annika Roesler ist eine der beiden Autorinnen des Buchs „Mythos Mutterinstinkt“, in dem sie mit gängigen Vorurteilen über Mutterschaft aufräumt.
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