Feine Nasen für den Artenschutz
Hunde suchen nach Drogen, Sprengstoff und vermissten Menschen. Sie können aber auch seltene Tieren und Pflanzen erschnüffeln. Von Markus Hofmann
Noch hat das Training nicht begonnen. Doch die dreijährige Mischlingshündin Miruna liegt bereits rasch hechelnd im hohen Gras. Es ist 19 Uhr, das Thermometer zeigt knapp 30 Grad Celsius. Einer der ersten heissen Tage des Jahres sorgt in der Schweiz gerade für hochsommerliche Stimmung. Zum Glück führt die 750 Meter lange Trainingsstrecke der Aare entlang. In diesem Fluss, der nicht weit von hier entfernt in den Rhein an der schweizerisch-deutschen Grenze mündet, kann sich Miruna zwischendurch abkühlen.
Seit einem halben Jahr übt Miruna zusammen mit ihrem Frauchen, der Biologin und Tierrettungsfahrerin Lara Schaufelberger, einem Tier auf die Spur zu kommen, das sich erst seit kurzem wieder in der Schweiz einfindet: dem Fischotter. Vor 30 Jahren war der Fischotter hier ausgerottet. Doch nun mehren sich die Anzeichen, dass er aus Österreich und Frankreich in die Schweiz einwandert. In den letzten Jahren konnte er immer wieder beobachtet werden. Auf welchen Wegen die Fischotter zurückkommen und wo sie sich ansiedeln, wollen Biologen nun herausfinden – auch um allfälligen Konflikten vorzubeugen. Denn die putzigen Tiere sind nicht überall gerne gesehen; vor allem Fischzüchter fürchten Verluste durch die geschickten Räuber.
Es gibt ein probates Mittel, um die Anwesenheit des Fischotters zu erkennen: Man sucht seinen Lebensraum, also die Ufer von Bächen und Flüssen, nach ihrem Kot ab. Der Otter markiert mit der Losung nämlich sein Revier. Unter Brücken oder auf Steinen fallen Otterlosungen auch dem Ungeübten ins Auge, doch erleichtert sich der Fischotter an verborgenen und wenig übersichtlichen Orten, wird es auch für erfahrene Biologen schwierig, die Spuren auszumachen. Deshalb nehmen sie eines der besten Suchorgane der Natur zu Hilfe: die Nase des Hundes.
„Im vergangenen Jahr haben wir in der Schweiz untersucht, ob Spürhunde den Fischotterkot wirklich besser finden als menschliche Experten“, sagt Denise Karp, die wie Lara Schaufelberger ebenfalls Biologin ist und ihre Kollegin an diesem Abend als Trainingsleiterin begleitet. Das Resultat der Studie fiel klar aus: „Insgesamt erschnüffelten die Hunde doppelt so viele Losungen, als die Expertin mit ihren Augen entdeckte“, sagt Karp. Wie bei der Suche nach Drogen, Sprengstoff, vermissten Menschen oder jagdbaren Tieren kann die ausserordentlich feine Nase des Hundes also auch beim Aufstöbern seltener Arten genutzt werden.
Dazu braucht es allerdings geschulte Tiere. Seit rund einem halben Jahr üben Lara Schaufelberger und ihre Miruna beinahe wöchentlich, Fischotterkot zu finden. Für das anstehende Training hat Denise Karp entlang des Aare-Ufers in der Nähe der Stadt Olten an verschiedenen Stellen Otterlosungen versteckt, die sie in der Vergangenheit draussen in der freien Natur sammelte. Manchmal erhält sie den Fischotterkot auch von Zoos. Wie viele Losungen sie versteckt hat und an welchen Stellen, verrät sie nicht. Die Hundeführerin darf nicht wissen, wo genau gesucht werden muss. Lara Schaufelberger könnte Miruna andernfalls mit ihrer Körperhaltung oder der Stimme beeinflussen, und das Training wäre für die Katz.
Lara Schaufelberger hält Miruna nun ein geöffnetes Plastikfläschchen unter die Nase, worin sich etwas Fischotterkot befindet. Miruna nimmt den Geruch auf und huscht, von der Leine gelassen, los. Lara Schaufelberger folgt ihr, immer wieder ruft sie aufmunternd: „Miruna, Otter!“ Denise Karp hält etwas Abstand zu den beiden und filmt die Suche, um das Training später zusammen mit Lara Schaufelberger zu analysieren.
Rasch wird klar, dass heute wirklich kein idealer Trainingstag ist. Durchaus bemüht, aber etwas ratlos rennt Miruna mal in die eine, dann wieder in die andere Richtung. Manchmal läuft sie die Böschung hoch und muss von Lara Schaufelberger wieder zurück zur abzusuchenden Strecke gerufen werden. „Wenn es wärmer als 15 Grad ist, wird es schwierig“, sagt Denise Karp. „Das intensive Riechen ist für den Hund ohnehin anstrengend und lässt seine Körpertemperatur ansteigen. Er kriegt kurzfristig Fieber und muss sich immer wieder abkühlen können. Ist es heiss, ist das nur schwer möglich.“
Doch der Hund muss lernen, auch mit nicht optimalen äusseren Bedingungen zurechtzukommen. Gegen die Hitze hilft immerhin ein Bad. Lara Schaufelberger lockt Miruna zur kurzen Erfrischung in den Fluss. Anschliessend geht die Suche am Ufer weiter, genau beobachtet von Denise Karp.
Karp ist erst vor kurzem auf den Hund gekommen. In ihrer Doktorarbeit hat sie die Sterblichkeit von jungen Feldhasen untersucht. Wie in anderen europäischen Ländern ist auch in der Schweiz der Bestand der Feldhasen in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen. In der Schweiz und in Deutschland gilt der Feldhase als bedrohte Art. Besonders die intensive Landwirtschaft macht ihm zu schaffen. Denise Karp wollte herausfinden, welche landwirtschaftlichen Strukturen den Junghasen das Überleben erleichterten. Doch dazu mussten die Junghasen zuerst einmal gefunden werden – kein leichtes Unterfangen bei seltenen, kleinen sowie gut getarnten Tieren.
Denise Karp probierte verschiedene Suchhilfen aus: neben Drohnen mit daran befestigten Wärmebildkameras auch Spürhunde. Doch die Biologin, die zu Beginn ihrer Forschungsarbeit noch über keinerlei Erfahrungen mit Hunden verfügte, stiess auf viel Skepsis. Hunde würden Junghasen gar nicht finden, da diese zu ihrem Schutz vor Räubern kaum einen Eigengeruch verströmten, hiess es. Und würde ein Hund dann doch einen jungen Hasen aufstöbern, so würde er ihn wohl gleich fressen wollen. Wahrlich keine ideale Voraussetzung für ein Projekt, das zum Ziel hat, die Überlebensrate von Junghasen zu erhöhen.
Die Doktorandin liess sich jedoch nicht durch die Zweifler von einem Versuch abhalten und machte sich selbst daran, einen Hund zum Junghasen-Spürhund auszubilden. Mit der Unterstützung eines Diensthundeführers der Polizei schaffte es Denise Karp tatsächlich, dass ihr Hund namens Django Junghasen fand – und dies erst noch, ohne sie zu fressen.
„Allerdings“, muss Denise Karp aus wissenschaftlicher Sicht eingestehen, „sehr effizient war die Suche mit Django nicht.“ Die Drohne mit der Wärmebildkamera war im Fall der seltenen und auf eine grosse Fläche verteilten Junghasen die bessere Wahl. „Man muss bei jedem Projekt abwägen, inwieweit es sinnvoll und effizient ist, einen Spürhund einzusetzen“, sagt sie.
Um noch mehr Erfahrungen und Resultate für diese Methode der biologischen Datenerfassung zu gewinnen, hat Denise Karp nun zusammen mit Jelena Mausbach, einer Biologin der ETH Zürich, die Gruppe „Artenspürhunde Schweiz“ gegründet. Diese soll Hunde für weitere Naturschutz- und Forschungsprojekte trainieren. Neben Fischottern und Junghasen stehen derzeit auch Fledermäuse auf dem Trainingsprogramm. Und demnächst sollen weitere Arten dazu kommen wie vielleicht der Hermelin. In Mitteleuropa verfolgt der Verein „Wildlife Detection Dogs“ seit 2015 dasselbe Ziel. Die Biologinnen nutzen diese Plattform zum Austausch.
Doch in Deutschland und der Schweiz ist das systematische Suchen mit Hunden nach seltenen Arten zu Naturschutz- und Forschungszwecken ein eher neues Phänomen. Was überrascht: Denn die Methode hat schon eine lange Geschichte. Bereits 1890 suchte man mit Hunden auf Neuseeland nach Kiwis und Kakapos. Dort fing man diese Vögel ein und setzte sie auf umliegenden Inseln aus, die frei waren von den aus Europa eingeschleppten Ratten und Katzen, die den einheimischen Vögeln nachsetzten und sie auffrassen. In den letzten 30 Jahren ist der Einsatz von „Conservation Dogs“ sowie die wissenschaftliche Literatur darüber stark angestiegen. Das Interesse an Artenspürhunden wuchs auch ausserhalb der angelsächsischen Welt.
Mittlerweile hat sich das Artenspektrum, auf das die Hunde angesetzt werden, erweitert: auf gegen 300 Säugetierarten – darunter sogar Wale, deren Kot die Spürhunde von Schiffen aus riechen –, 20 Vogel- und Reptilienarten, über 30 Insektenarten sowie etliche Amphibien, Pflanzen sowie Pilze. Den Artenspürhunden begegnet man nicht nur in freier Natur, sondern auch am Flughafenzoll, wo sie nach illegal eingeführten Tieren und Pflanzen fahnden. In letzter Zeit kommen die Hunde mit der feinen Nase zudem unter Windkraftanlagen zum Einsatz, wo sie den Boden nach Vögeln und Fledermäusen absuchen, die Schlagopfer der drehenden Rotoren geworden sind. Und in der Schweiz haben Hunde für Schlagzeilen gesorgt, die den Asiatischen Laubholzbockkäfer erschnuppern können, eine invasive Insektenart, die in kurzer Zeit die von ihnen befallenen Laubbäume zum Absterben bringt.
Miruna, so scheint es, erschnuppert derzeit gar nichts. Sie spürt wohl, dass man etwas von ihr verlangt, was sie gerade nicht schafft, und das verunsichert sie möglicherweise noch mehr. Ein kleines Kothäufchen an einem Ufer mit Tausenden von Versteckmöglichkeiten zu finden, braucht viel Übung. Als Motivationsspritze legt Lara Schaufelberger nun etwas Kot in der Nähe von Miruna aus, den die Hündin auch gleich findet. Und dafür wird sie sofort belohnt mit einem Ball, den Schaufelberger zum Apportieren wegwirft, sowie mit etwas fleischigem Brotaufstrich aus der Tube.
Doch das fruchtet nicht viel. Erst am Ende der Trainingsstrecke, nach einer halben Stunde, entdeckt Miruna dann doch noch eine Losung und zeigt diese an, in dem sie sich aufrecht daneben setzt. Das mündliche Lob, den Ball und das Häppchen aus der Tube nimmt Miruna freudig entgegen.
Danach trottet sie ermüdet Lara Schaufelberger und Denise Karp hinterher, die die Otterlosungen auf dem Rückweg wieder aufsammeln. Kein Kotstückchen soll von dem in der Schweiz noch seltenen Tier verschwendet werden. Denn in einer Woche ist es wieder soweit. Dann findet das nächste Training mit Miruna statt. Wer weiss, vielleicht gelingt ihr sogar einmal ein Erstnachweis eines Fischotters an einem Schweizer Gewässer. Die Mühen des Trainings in der sengenden Sonne hätten sich dann mehr als gelohnt.