Experten kritisieren Pläne aus Berlin und Brüssel, den Abschuss von Wölfen zu erleichtern
EU-Kommission und Mitgliedstaaten stellen politische Erwägungen vor wissenschaftliche Erkenntnisse und schaffen damit einen besorgniserregenden Präzedenzfall, warnen Wolfs-Experten aus zahlreichen Ländern
Internationale Experten haben sich einhellig gegen die geplante europaweite Abschwächung des Schutzes für Wölfe ausgesprochen. Das von der EU-Kommission beantragte und unter anderem auch von Deutschland unterstützte Vorhaben, den Wolf bereits im Dezember von einem streng geschützten Art in eine niedrigere Schutzkategorie herabzustufen, sei voreilig und wissenschaftlich nicht ausreichend fundiert, kritisierte die Large Carnivore Initiative for Europe (LCIE) in einer Stellungnahme. Wenn statt auf Wissenschaft auf politischen Druck reagiert werde, entstehe ein gefährlicher Präzedenzfall, der in Zukunft weitere Arten gefährde, argumentieren die Experten.
In der LCIE sind Top-Experten aus Wissenschaft und Management großer Raubtiere zusammengeschlossen. Das Gremium berät die zwischenstaatliche Internationalen Naturschutzunion IUCN, die dafür zuständig ist, die Bedrohungskategorien von Tieren und Pflanzen festzulegen. Die EU-Kommission will den Schutz des Wolfs lockern, um den Weg für die legale Jagd auf die Art freizumachen. Die dazu nötige Umstufung des Wolfes aus der Kategorie „streng geschützt“ in „geschützt“ im Rahmen der Berner Konvention zum Schutz bedrohter Arten soll bereits im Dezember stattfinden.
Entscheidungen contra Wolf aus politischen Erwägungen statt an der Wissenschaft orientiert?
Die LCIE-Experten betonen, dass sie nicht grundsätzlich gegen gerechtfertigte Veränderungen beim Schutzstatus für einzelne Arten seien – weder nach oben noch nach unten. Eine pauschale Herabstufung des Wolfsschutzes für den gesamten Kontinent sei aber nicht angemessen und fuße auf lückenhaften und teilweise widersprüchlichen Grundlagen.
„Entscheidungen zum Schutz und Management von Wildtieren sollten auf fundierter Wissenschaft basieren, nicht aus politischen Gründen erfolgen“, schreibt die LCIE. Konkret verweisen die Expertinnen und Experten darauf, dass EU-Kommission und Mitgliedsländer noch vor zwei Jahren einen von der Schweiz eingebrachten Antrag auf Abschwächung des Wolfsschutzes auch auf Basis der LCIE-Analyse zur Entwicklung der Wolfspopulationen abgelehnt haben. Dieselben Länder und dieselbe Kommission, die damals Nein zu einer Absenkung des Schutzniveaus gesagt hätten, würden auf Basis derselben Grundlagen nun zu einem gegenteiligen Urteil kommen, kritisiert die LCIE.
Dabei habe sich die Situation in der Zwischenzeit nicht wesentlich verändert, heißt es in der Stellungnahme weiter. Weder gebe es wesentlich mehr Wölfe, noch habe die Zahl der Wolfsrisse in der Landwirtschaft deutlich zugenommen oder sei eine größere Gefahr für Menschen entstanden.
Von der Leyen macht nach Tod ihres Ponys Front gegen den Wolf
Die EU-Staaten hatten im September auf Drängen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen harten Anti-Wolfskurs eingeleitet. Auch Deutschland stimmte nach einem Kurswechsel von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zu und verschaffte dem entsprechenden Antrag zugunsten einer Abschwächung des Wolfsschutzes damit die nötige Mehrheit. Naturschutzverbände sprachen von einem schwarzen Tag für den Artenschutz.
Vor allem von der Leyen hatte sich seit längerem vehement für die Möglichkeit starkgemacht, künftig Wölfe jagen zu dürfen. Vor zwei Jahren verlor die CDU-Politikerin auf ihrem niedersächsischen Familiengut ihr Pony „Dolly“ durch einen Wolfsangriff. Selbst in Treffen auf Spitzenebene mit Staats- und Regierungschef soll sie seitdem das Thema häufig auf die Tagesordnung gesetzt haben.
Wende in der europäischen Artenschutzpolitik
Der erwartete Beschluss markiert eine Kehrtwende in der europäischen Artenschutzpolitik, die über Jahrzehnte darauf ausgerichtet war, seltene Tiere umfassend zu schützen, um ihren Beständen eine Erholung zu ermöglichen. Bisher ist der Abschuss von Wölfen laut Berner Konvention von 1979 nur in Ausnahmefällen möglich – vor allem dann, wenn es zu einer Häufung von Angriffen auf Nutztiere in bestimmten Gebieten kommt. Auch von der Leyen argumentierte, mit der zunehmenden Zahl von Wölfen verschärfe sich der Konflikt mit der Nutztierhaltung.
Zur Untermauerung ihrer Argumentation veröffentlichte die Kommission vor einigen Monaten eine neue Analyse der Wolfsbestände in Europa. Danach haben sich Wölfe gut 100 Jahre nach ihrer Ausrottung in vielen Ländern Europas in fast allen EU-Mitgliedstaaten wieder fest etabliert. Die in der LCIE zusammengeschlossenen Experten rechnen mit einem Bestand von 23.000 Individuen.
In Deutschland wäre noch viel Platz für Wölfe
Auch wenn die Zahl der Wölfe in den meisten europäischen Staaten in den vergangenen Jahren teils deutlich zugenommen habe, sei der Erholungsprozess nach ihrer Rückkehr nicht abgeschlossen, argumentieren Wissenschaftler. Viele Wolfspopulationen in Europa seien noch weit von einem guten und dauerhaft tragfähigen Erhaltungszustand entfernt, heißt es in einer von 300 Verbänden in ganz Europa unterzeichneten Stellungnahme. Auch die für Naturschutzunion IUCN sieht sechs der neun grenzüberschreitenden Wolfspopulationen in der EU als weiterhin gefährdet an.
In Deutschland leben nach aktuellen Zahlen derzeit 184 – oft als Rudel bezeichnete – Wolfs-Großfamilien. Forscher des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin haben ausgerechnet, dass Deutschland gemessen an den Lebensraumansprüchen der Tiere ein Potenzial für insgesamt 700 bis 1400 Wolfsreviere hat.
Soll das Comeback einer unbequemen Art rückgängig gemacht werden?
Dass ein Vierteljahrhundert nach der erstmaligen Rückkehr der im vergangenen Jahrhundert ausgerotteten Raubtiere nach Deutschland die legale Bejagung von Wölfen auch in Deutschland wieder möglich werden soll, empört Naturschützer. „Hinter der Lockerung des Schutzes steht letztlich der Versuch, das Comeback der Art nach ihrer Ausrottung rückgängig zu machen“, kritisiert Daniela Freyer von der Naturschutzorganisation Pro Wildlife. Sie fürchtet Abschüsse auch in Deutschland im großen Stil. „Ich gehe davon aus, dass sich dadurch der ohnehin ungünstige Erhaltungszustand der Wölfe sich weiter verschlechtern wird“, sagt Freyer.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke, die sich der Aufweichung des Wolfsschutzes bisher widersetzt und damit Änderungen am hohen Schutzniveau blockiert hatte, verteidigte ihren Kursschwenk im September. Die Wolfszahlen hätten sich in den letzten Jahren so entwickelt, dass die Lockerung des Schutzes aus Sicht des Naturschutzes verantwortbar und aus Sicht der Weidetierhalter notwendig sei, erklärte sie. Noch wenige Monaten zuvor hatte Lemke sich entschieden gegen eine Aufweichung des Wolfsschuztes ausgesprochen. „In Zeiten einer globalen Krise der Artenvielfalt, weisen wir die Tendenz zur Schwächung des rechtlichen Schutzes für den Wolf unmissverständlich zurück“, hatte sie gemeinsam mit einem Dutzend Kollegen beteuert.
Lemke will Extremisten und Populisten keine Munition geben
Lemke hält ihr Abrücken vom strikten Wolfsschutz auch deshalb für verantwortbar, weil sie das Vorkommen der Art in Deutschland inzwischen als gesichert ansieht. Die realen Probleme in einigen Regionen beim Schutz von Weidetieren und die immer schärfer werdende gesellschaftspolitische Polarisierung haben sie dazu bewogen, ihren Kurs zu ändern. Das Thema Wolf wird nach ihrer Analyse zunehmend von extremistischen Gruppierungen instrumentalisiert. In Zeiten, in denen die Demokratie nach ihrer Einschätzung in weiten Teilen des Landes im Feuer steht, sieht die einstige Bürgerrechtlerin angesichts gesicherter Wolfsbestände keinen ausreichenden Grund, weiter für einen strikten Schutz der Tiere zu kämpfen.
Mit der Zusicherung der EU-Kommission, dass sie die Lockerung des Wolfsschutzes nicht als Einfallstor für die Schwächung des Schutzes weiterer Arten nutzen wolle, ist für sie eine Zustimmung möglich geworden. Der Wert solche Zusicherungen scheint indes zweifelhaft. Denn, selbst, wenn sie es wollte, könnte auch von der Leyen nicht verhindern, dass EU-Staaten beantragen, nach dem Vorbild des Wolfes auch andere Arten auf die Abschussliste zu setzen.
Bis Wölfe in der EU regulär bejagt werden dürfen, sind weitere Schritte nötig – die aber als Formsache gelten. Im Dezember dürfte die EU-Entscheidung für die Herabstufung zunächst der Änderung der Berner Konvention, einem völkerrechtlich bindenden Vertrag zwischen 50 Mitgliedstaaten, zur nötigen Zweidrittelmehrheit verhelfen, den Schutzstatus des Wolfes zu verringern.
Dieser Schritt ist wiederum die Voraussetzung dafür, den Schutz auch im europäischen Recht und im Bundesnaturschutzgesetz zu lockern. In Fachkreisen wird damit gerechnet, dass die Umsetzung mehr als ein Jahr dauern wird. Wie ein „Wolfsmanagement“ aussehen könnte, muss ebenfalls noch entschieden werden. Denkbar sind Abschussquoten oder Jagdzeiten.