Werde Erde

Fieldwriter Gerhard Richter sitzt auf einem Grab, aber sein Körper sträubt sich. Warum will er nicht zu Erde werden?

von Gerhard Richter
9 Minuten
ein Grabstein auf einem grasbewachsenen Feld [AI]

Hier könnte mein Grab sein. Genau hier, wo ich nun sitze und tippe, könnt´ ich ruhen, modern und vergehen. Ich könnte wieder zu Erde werden.

Aber diese Erde will mich nicht. Und ich will nicht zu dieser Erde werden. Sie ist mir weder Herkunft noch Heimat, noch Zukunft. Mein Körper sträubt sich.

Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, hier unten, anderthalb Meter unter den Beinen meines Klappschreibtischs zu liegen. Aber irgendwie schwebt hier zwischen den Gräbern der Gedanke in der Luft, ich solle Erde werden. Was wird denn das jetzt für eine Geschichte?

Dieser Friedhof liegt direkt am Dorfrand. Er ist sehr still und schlicht. Eine rechteckige Rasenfläche mit viel Moos, etwa so groß wie ein halber Fußballplatz, umrandet von einem rostigen Maschendrahtzaun an Betonpfählen. Vor und hinter dem Zaun wachsen drei Eichen und zwei zierliche Kiefern, die kaum Windschutz oder Schatten bieten. Die Gräber sind Regen, Wind, Hitze und Kälte schutzlos ausgesetzt. An dem Eingangstürchen steht eine kleine Aussegnungshalle mit breiter Tür, zwei hübschen Bogenfenstern und Ziegeldach. Am Rand des Friedhofs ragt kniehoch ein verzinktes Rohr mit Wasserhahn aus dem Boden. Daneben eine hölzerne Sitzbank und zwei Gießkannen aus Blech. Ein Rechen lehnt am Zaun. Am hinteren Ende des Friedhofs stehen zwei Würfel aus Metallgitter, halbgefüllt mit verwelkten Blumen und fauligen Kränzen. Dieser Friedhof ist aufs Notwendigste reduziert.

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