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Vorarbeiten für Krefelder Studie 2.0: Dramatischer Rückgang der Insektenbestände setzt sich fort
Krefelder Forscher: Kein Ende des Insektensterbens in Sicht
Die Krefelder Insektenforscher arbeiten an einer Fortschreibung ihrer berühmt gewordenen Studie zum Verschwinden der Insekten. Im Interview gibt der Vereinsvorsitzende Thomas Hörren erstmals Einblicke in die Zwischenergebnisse.

Als die Mitglieder des Krefelder Entomologischen Vereins 2017 nach jahrzehntelangen Zählungen erstmals einen massiven Rückgang der Insekten wissenschaftlich belegen konnten, war das Echo gewaltig. Ihre „Krefelder Studie“ katapultierte das Thema Insektensterben über Nacht aus den wenig beachteten Fachzirkeln auf die Titelseiten von Zeitungen, in Talkshows und auf die politische Bühne. Die große Koalition aus Union und SPD brachten als Konsequenz 2021 ein Insektenschutzgesetz auf den Weg. Nun meldet sich das Team aus Wissenschaftlern aus Krefeld erneut zu Wort. Im Fachjournal „Nature“ weisen sie die These zurück, dass der Insektenschwund mittlerweile gestoppt sei. Aktuelle Untersuchungen für eine bevorstehende „Krefeld-2-Studie“ zeigten vielmehr, dass sich das Insektensterben – und damit eine Hauptursache für den Artenschwund auch unter anderen Tiergruppen wie Vögeln – ungebremst fortsetze. Über den Stand ihrer Forschung, neue Erkenntnisse zum Ausmaß des Insektensterbens und politische Schlussfolgerungen sprachen wir mit dem Vorsitzenden des Entomologischen Vereins Krefeld, Thomas Hörren.
Herr Hörren, wie steht es aktuell um das Insektensterben in Deutschland?
Es gibt keine Hinweise auf eine Erholung der Insektenbestände in den letzten Jahren. Im Gegenteil: der Einbruch vieler Insektenpopulationen setzt sich fort - und ein Boden ist nicht abzusehen.
Worauf stützen Sie diese Einschätzung?
Wir haben unsere Messungen seit „Krefeld“ deutlich ausgeweitet. Bis heute haben wir weit über 600 neue Untersuchungsstandorte einbezogen, an denen wir mit denselben Methoden wie für 'Krefeld 1' die Biomasse von Fluginsekten gemessen haben. Überwiegend sehen wir sehr dort sehr niedrige Biomassewerte unter Insekten.
Eine Erkenntnis aus der Krefeld-Studie war, dass die Insekten selbst in Naturschutzgebieten rapide zurückgehen, also dort, wo sich die Natur eigentlich regenerieren soll. Haben Sie seitdem auch erneut Schutzgebiete unter die Lupe genommen?
Wir haben unser Messnetz über ganz Deutschland verteilt und wieder überwiegend Naturschutzgebiete einbezogen. Auch dort sehen wir sehr geringe Biomassewerte, die sich einreihen in die alarmierenden Befunde aus Flächen außerhalb von Schutzgebieten.
Gibt es Hinweise darauf, dass sich der Rückgang der Insekten weiter verstärkt hat?
Leider ja. Wir kennen keinen einzigen Standort mehr, an dem wir aktuell noch ähnliche Biomassewerte finden, wie wir sie zu Beginn unserer Untersuchungen Anfang der 90er Jahre gemessen haben. Und auch damals war das Insektensterben ja bereits im vollen Gang.
Können Sie das mit Zahlen belegen?
1990 lagen wir noch bei rund 10 Gramm Insekten pro Tag und Falle in Nordrhein-Westfalen und zur Zeit der Veröffentlichung der Krefeld-Studie 2017 waren es noch zwei Gramm. Heute sind es dort im Mittel unserer Fallen gerade noch 1,3 Gramm Insekten pro Tag. Wir sehen also einen anhaltenden und deutlichen Abwärtstrend, ohne dass sich ein Plateau abzeichnet. Der Trend scheint auch nicht nur regional zu sein. Denn anders als für 'Krefeld 1' haben wir in den vergangenen Jahren nicht nur in Nordrhein-Westfalen und Rheinland Pfalz untersucht, sondern bundesweit in elf Bundesländern.

In welchen Lebensräumen sind die Verluste am größten?
Hier sind unsere Analysen noch nicht abgeschlossen, aber ich kann sagen, dass viele bedeutsame Lebensräume besonders stark vom Rückgang betroffen sind. Das betrifft zum Beispiel die eigentlich besonders insektenreichen Heiden, Kalkmagerrasen-Wiesen oder auch Moore.
Die EU wollte eigentlich durchsetzen, dass der Einsatz von Insektengiften in der Landwirtschaft bis 2030 um die Hälfte verringert wird. Unter dem Druck der Bauernproteste wurde dieser Plan kassiert. Wie groß ist die Rolle der Pestizide beim Insektensterben?
Insektizide werden eingesetzt, um Insekten zu schädigen. Das ist ihr Zweck. Wir sehen entsprechend sehr viele Auswirkungen auf alle möglichen Organismen. Es gibt inzwischen sehr gute Übersichtsstudien, die aufzeigen, wie sehr Pestizide die Biodiversität auch unter solchen Organismen schädigen, die nicht Ziel des jeweiligen Mittels sind. Sie können entweder sterben, oder sie können einen geschwächten Reproduktionserfolg haben. Pestizide sind neben den Nährstoffeinträgen eines der ganz großen ökologischen Probleme – und das auf enormer Flächen in unserer Landschaft.
Sind Pestizide auch der Grund, warum Naturschutzgebiete ihr Versprechen nicht einhalten können, die Natur – in diesem Fall die Insekten – zu schützen?
Überall, wo wir an der Grenze zu Naturschutzgebieten eine landwirtschaftliche Nutzung haben, können wir diese Stoffe auch in den Schutzgebieten feststellen. Und natürlich interagieren sie auch dort mit Insekten und anderen Lebewesen. Doch das Risiko wird fast durchweg auch von Behörden ignoriert. Pestizide sind eine nicht gemessene Emission In unserer Landschaft, die aber Organismen nachhaltig beeinträchtigen.
Brauchen wir einen Puffer zwischen Flächen mit Pestizideinsatz und Naturschutzgebieten?
Wir brauchen entweder Pufferzonen, in denen nicht gespritzt wird, oder insgesamt eine räumlich angepasste Strategie mit Auflagen dazu, wie in der Nähe und natürlich auch innerhalb von Naturschutzgebieten Landwirtschaft betrieben wird. Beides gibt es derzeit kaum. Wir haben in einer schon vor vier Jahren veröffentlichten Studie nachgewiesen, dass Dutzende Pestizid-Wirkstoffe aus der angrenzenden Landwirtschaft bis in die Kernzonen Naturschutzgebieten nachzuweisen sind. Das hat Folgen für das ganze Ökosystem - für Vögel, Pflanzen und Böden. Solange wir die Risiken durch Pestizide nicht in unsere Landschaftsplanung integrieren - solange werden wir auch keine Erholung in der Biodiversitätskrise erreichen können. Ein ähnliches Problem gibt es auch mit Düngern.

In diesem Wochen formiert sich eine neue Bundesregierung. Was kann man denn da jetzt schon für Schlussfolgerungen daraus ziehen?
Wenn sie sich vornehmen möchte, die von Deutschland unterschriebenen internationale Abkommen zum Erhalt von biologischer Vielfalt einzuhalten, dann muss sich wirksame Maßnahmen auf den Weg bringen. Wir müssen zum Beispiel klar feststellen, dass das Insektenschutzprogramm der Bundesregierung nichts gebracht hat. Es klingt banal, aber wenn wir allein durchsetzen würden, dass der Schutz der Biodiversität im Bundesnaturschutzgesetz Vorrang vor anderen Interessen hat, und dass der Erhalt von biologischer Vielfalt erste uneingeschränkte Priorität vor Land- und Forstwirtschaft in Schutzgebieten hat – dann wäre schon viel erreicht. Wenn sich Schutzgebiete aber in der Praxis kaum von der sonstigen Landschaft unterscheiden, müssen wir uns nicht wundern, wenn sie ihren Zweck nicht erfüllen.
Wann werden Sie ihre „Krefeld-2“-Studie veröffentlichen?
Voraussichtlich im kommenden Jahr. Wir stecken mitten in der Arbeit, werden aber auch in diesem Jahr noch weitere Proben nehmen.