Mit harter Hand gegen Umweltzerstörer

Warum Juristinnen und Juristen den Ökozid völkerrechtlich endlich zur Straftat erkären wollen

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter: Markus Hofmann
33 Minuten
ein Waldbrand mit Rauch und Rauchwolken [AI]

Im Sommer 2019 haben im Amazonas grosse Flächen Regenwälder lichterloh gebrannt, und die Welt sah mehr oder weniger tatenlos zu. Zwar drohten europäische Politiker damit, Freihandelsabkommen mit südamerikanischen Staaten in Frage zu stellen, falls diese nichts gegen die Brandrodungen unternähmen. Doch rechtlich war man zum Nichtstun verdammt. Für Verbrechen gegen die Umwelt gibt es keinen internationalen Gerichtshof. Der Natur kommen keine eigenen Rechte zu.

Bei Verbrechen gegen die Menschheit sieht das anders aus. Seit den Nürnberger Prozessen, in denen nach dem Zweiten Weltkrieg die Hauptverbrecher des Naziregimes verurteilt wurden, gilt ein Grundsatz: Die schwersten Verbrechen, welche die Welt als Ganzes berühren, dürfen nicht unbestraft bleiben. Dieser Satz steht heute im Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (auch Römisches Statut genannt). Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression (zum Beispiel Angriffskriege) können seit 2002 vor dieses Gericht in Den Haag gebracht werden. Gerade erst im Juli 2019 ist wieder ein Urteil gefallen: Die Richter sprachen den ruandischen Milizenführer Bosco Ntaganda der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig.

In Umweltfragen sind die Richter in Den Haag aber nur eingeschränkt zuständig, dann nämlich, wenn in einem Krieg weitreichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursacht werden. In Friedenszeiten können Umweltverbrecher völkerstrafrechtlich nicht belangt werden.

Dafür, dass sich dies ändert, kämpfen Umweltjuristinnen und -juristen seit vielen Jahren. Sie wollen, dass auch die massive Zerstörung der Natur zu einem Völkerrechtsverbrechen erklärt wird, das die Weltgemeinschaft genauso wie einen Genozid ahnden muss. Wer einen sogenannten Ökozid begeht, soll in Zukunft einer internationalen strafrechtlichen Verfolgung nicht mehr entgehen können: Dem Täter würde eine Gefängnisstrafe drohen, und er müsste den Schaden wiedergutmachen, mit Geld und indem er die zerstörte Natur wiederherstellen müsste.

Vom Tatbestand des Ökozids, ist er denn einmal festgeschrieben, erhofft man sich auch eine präventive Wirkung; er soll potenzielle Täter von ihrem Tun abhalten, genauso wie Mord oder Diebstahl durch das nationale Strafrecht nicht nur im Nachhinein gesühnt, sondern im besten Fall im Vornherein verhindert werden sollen.

Verantwortliche für Brandrodungen im Amazonas oder andere schwere Umweltkatastrophen sollen nicht mehr ungeschoren davonkommen: Sie sollen nicht nur für die Schäden bezahlen müssen, sie sollen auch ins Gefängnis wandern..

2012 startete eine Europäische Bürgerinitiative mit dem Ziel, den Ökozid in der EU unter Strafe zu stellen: Die Initiatoren verlangten, die umfangreiche Beschädigung, Zerstörung oder den Verlust von Ökosystemen in einem bestimmten Gebiet zu verbieten. Die angestrebte EU-Richtlinie hätte sich sowohl gegen Privatpersonen als auch Unternehmen gerichtet. Doch nach nur wenigen Monaten war die Initiative Geschichte, sie hatte kaum Unterstützung gefunden und wurde zurückgezogen.

Davon lassen sich die Anwältinnen und Anwälte, die sich dafür einsetzen, schwere Umweltzerstörungen zu einem Verbrechen zu erklären, nicht entmutigen. Ihr Ziel lautet: Der Ökozid soll als fünftes Verbrechen neben Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen der Aggression ins Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs aufgenommen werden.

Die Idee ist nicht neu, sie hat eine Jahrzehnte alte Geschichte, ja, ihre Verwirklichung war sogar schon einmal zum Greifen nah.

Am Anfang steht ein Krieg

Vor fast 50 Jahren benutzte der amerikanische Botaniker Arthur W. Galston zum ersten Mal den Begriff „ecocide“ (Ökozid). Damit verurteilte er 1970 den Einsatz von Entlaubungsmitteln durch die USA im Dschungelkrieg von Vietnam. Die Herbizide – darunter das Dioxin-haltige Biozid „Agent Orange“ – führten nicht nur zu einer massiven Umweltzerstörung. Bis heute leiden die betroffenen Menschen in Vietnam und angrenzenden Ländern auch unter schweren gesundheitlichen Schäden. Noch immer kommen dort Kinder mit Fehlbildungen auf die Welt, die durch „Agent Orange“ verursacht worden sind.

Zwei Jahre später an der ersten Umweltkonferenz der Uno in Stockholm 1972 nahm der damalige schwedische Premierminister Olof Palme den Ball auf und sagte, dass das Verbrechen des Ökozids dringend der Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft bedürfe. Konkreter und drastischer in der Wortwahl wurde Richard Falk, Rechtsprofessor an der Elite-Universität von Princeton. Er bezeichnete „Agent Orange“ als „ein Auschwitz für die Werte der Umwelt“ und schlug vor, den Ökozid gleich wie den Genozid in einem internationalen Abkommen für strafbar zu erklären.

Mitte der 1980er Jahre fiel diese Idee dann auf fruchtbaren Boden. Die Völkerrechtskommission der Uno war gerade damit beschäftigt, die Grundlagen für den zukünftigen Internationalen Strafgerichtshof zu schaffen. In die Vorentwürfe für das heutige Römer Statut fand auch der Tatbestand der Umweltzerstörung Eingang. Angesichts der Umweltprobleme sei es gerechtfertigt, auch Verbrechen, die sich gegen die Umwelt richteten, ins Statut aufzunehmen, hiess es. Unter der Leitung des deutschen Juristen Christian Tomuschat wurde ein Vorschlag ausgearbeitet: Wer grossflächige, langfristige und schwere Schäden an der Umwelt verursacht oder solche befiehlt, soll bestraft werden.

Doch diese Bestimmung schaffte es nicht in das Schlussdokument. Wohl vor allem unter dem politischen Druck von Atommächten wurde sie während den Verhandlungen zunächst stark verwässert und anschliessend ganz fallengelassen. Der Tatbestand der Umweltzerstörung wurde im Römer Statut, das im Juli 2002 in Kraft trat, auf Kriegszeiten beschränkt.

Eine Anwältin findet ihre Bestimmung

Polly Higgins fiel es eines Tages wie Schuppen von den Augen: Diese Rechtslage genügte nicht. Higgins, eine schottische Anwältin für Arbeitsrecht, verteidigte vor 15 Jahren einen Klienten, der bei der Arbeit schwer verletzt worden war. Während sie im Gerichtsaal auf den Richterspruch wartete, schaute sie zum Fenster hinaus und dachte, wie sie später sagte (siehe Video unten): „Auch die Welt wird verletzt und beschädigt, und nichts wird dagegen getan. Die Erde benötigt dringend eine gute Anwältin.“

Der Gedanke liess sie nicht mehr los. Polly Higgins hing ihre erfolgreiche Anwaltskarriere an den Nagel und betrieb ab dann Lobbying für die Rechte der Natur. Sie tourte um die Welt, hielt Vorträge vor Umweltorganisationen und Regierungsmitgliedern, schrieb Artikel sowie das Buch „Eradicating Ecocide“, das 2010 erschien. Im selben Jahr reichte sie bei der Uno einen Vorstoss ein: Der Ökozid sei im Römer Statut zu verankern.

Als Ökozid definiert Polly Higgins die grossflächige Zerstörung natürlicher Lebensräume in einem Ausmass, das die friedliche Nutzung des betroffenen Gebiets durch seine Bewohner stark einschränkt oder einschränken wird. Ein solcher Ökozid kann von Menschen verursacht werden etwa durch eine Ölkatastrophe. Er kann aber auch natürliche Gründe haben wie zum Beispiel ein Erdbeben. Während im ersten Fall der Verursacher – zum der CEO eines Unternehmens – zur Rechenschaft gezogen werden müsste, wären im Fall einer Naturkatastrophe die derzeit 123 Mitgliedstaaten des Römer Statuts verpflichtet, den Betroffenen Hilfe zu leisten.

Polly Higgins fand in der Umweltbewegung und unter Umweltjuristen viel Aufmerksamkeit für ihr Anliegen. Doch bevor sie diesen Frühling im Alter von 50 Jahren an Krebs starb, hatte sie keinen Staat zu überzeugen vermocht, einen Antrag zur Erweiterung des Römer Statuts zu stellen. Ein solcher wäre nötig, um ein Revisionsverfahren einzuleiten. Anschliessend müssten Zweidrittel aller Mitgliedsstaaten des Strafgerichtshofs der Statutenänderung zustimmen.

Der Planet überschreitet die Belastungsgrenzen

Polly Higgins Kampf führen andere weiter. Zum Beispiel die französische Juristin Valérie Cabanes. Sie und ihre Mitstreiter von „End Ecocide on Earth“ bauen auf den Vorarbeiten von Higgins auf. Allerdings definiert Cabanes den Ökozid umfassender als Higgins. Während bei der britischen Juristin der Schaden an der Umwelt weitreichend (mehrere Hundert Quadratkilometer), langfristig (mehrere Monate) sowie schwer sein muss (signifikante Schäden menschlichen Lebens und natürlicher sowie wirtschaftlicher Ressourcen), geht Cabanes von einem schweren Schaden an den globalen Umweltgütern oder einem ökologischen System der Erde aus.

Valérie Cabanes stützt sich dabei auf das Konzept der planetaren Grenzen von 2009. Für neun Dimensionen wie den Klimawandel, die Versauerung der Ozean, den Süsswasserverbrauch oder die Unversehrtheit der Biodiversität werden Belastungsgrenzen berechnet. Bleiben die menschlichen Aktivitäten innerhalb dieser Grenzen, ist alles in Ordnung. Werden sie aber überschritten, droht das System zu kippen und in der Folge könnte es zu abrupten sowie unumkehrbaren Veränderungen kommen. Ausser bei der Versauerung der Ozeane und beim Süsswasserverbrauch sind alle Grenzen bereits jetzt überschritten worden.

Das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen hat in verschiedene Gremien und auch in der Politik Eingang gefunden, so etwa bei der Uno. Auch in der Schweiz stösst es auf Anklang: Das Bundesamt für Umwelt untersuchte, wie weit die ökologischen Fussabdrücke der Schweiz mit den Belastbarkeitsgrenzen des Planeten vereinbar sind. Und in Deutschland verweist der Wissenschaftliche Beirat der deutschen Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinen Studien auf die planetaren Belastungsgrenzen. Cabanes plädiert nun dafür, dass sich der Internationale Strafgerichtshof bei der Anwendung des Ökozid-Tatbestandes ebenfalls auf dieses Konzept stützen sollte.

Das Bestehende verbessern

Die Idee, das Römer Statut zu erweitern, teilen aber längst nicht alle Rechtsexperten. Zu den Skeptikerinnen gehört Astrid Epiney, Völkerrechtsprofessorin an der Universität Freiburg (Schweiz). Zum einen bezweifelt sie, ob man den Tatbestand des Ökozids genügend genau definieren könnte, so dass er rechtsstaatlichen Kriterien Rechnung trägt. Zum anderen weist sie daraufhin, dass gerade Umweltschäden oft sehr komplexe Ursachen hätten. Hier dem CEO eines Unternehmens oder dem Minister eines Staates eine individuelle Strafbarkeit nachzuweisen, wäre wohl äusserst anspruchsvoll.

Zudem würde die Beweisführung voraussichtlich Jahre in Anspruch nehmen, gibt Astrid Epiney zu bedenken: „Schon heute nehmen die Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof sehr viel Zeit in Anspruch. Bei Umweltverbrechen wäre dies noch mehr der Fall, womit ein solches Verfahren kaum effektiv wäre.“ Fraglich sei auch, ob der Tatbestand des Ökozids eine abschreckende und damit präventive Wirkung entfalten würde.

„Statt einen neuen Straftatbestand zu schaffen, sollte die Energie dafür verwendet werden, die bestehenden völkerrechtlichen Umweltabkommen besser durchzusetzen“, meint Astrid Epiney: „Hier gibt es nämlich noch sehr viel zu tun.“ Auf die Ergänzung des Römer Statuts könnte man verzichten und stattdessen einen Umweltgerichtshof schaffen, der sich genau um dies kümmern würde.

Vernachlässigen dürfe man etwas nicht, sagt Astrid Epiney: „Bevor man ein Problem – und sei es noch so gravierend – im Völkerrecht regelt, braucht es in den demokratischen Rechtsstaaten eine Einigung darüber. Diese müssen sich zu griffigem Umweltrecht durchringen. Erst wenn das gelungen ist, hat auch eine globale Umweltregelung eine Chance. Dies bedeutet freilich nicht, dass das Umweltvölkerrecht nicht auch Impulse für die nationalen Rechtsordnungen geben oder dass eine internationale Einigung entscheidend sein kann; jedoch ist in jedem Fall ein entsprechender Wille der Staaten notwendig.“

Ob die Ideen von Polly Higgins, Valérie Cabanes und ihren Mitstreiterinnen dennoch eine Chance haben, könnte sich demnächst zeigen. Im Dezember 2019 kommen die Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshof zu einer Tagung zusammen. Die Juristin Valérie Cabanes hofft, dass Staaten Afrikas oder Inselstaaten des Pazifiks, die die massiven Umwelt- und Klimaänderungen derzeit am meisten zu spüren bekommen, ihr Anliegen ins Gremium tragen und die Bekämpfung des Ökozids auf die Tagesordnung setzen.

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Links:

https://www.stopecocide.earth/

https://ecocidelaw.com/

https://www.earth-law.org/

Literatur:

Valérie Cabanes: Un nouveau droit pour la terre. Pour en finir avec l’écocide. Édition du Seuil, Paris 2016.

Polly Higgins: Eradicating Ecocide. Laws and governance to prevent the destruction of our planet. 2nd edition, Shepheard-Walwyn, London 2015.

David Zierler: The Invention of Ecocide: Agent Orange, Vietnam, and the scientists who changed the way we think about environment. The University of Georgia Press, Athens (Georgia) 2011.

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