Kolumne: Schürfen in 6000 Metern Tiefe - Wenn der Meeresboden zur rechtsfreien Zone wird

Keine Regeln, kein Tiefseebergbau. Klingt logisch. Doch was vor kurzem als Erfolg gefeiert wurde, könnte gerade der Anfang einer Katastrophe werden.

vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel:
4 Minuten
Ein pinker tintenfisch, aufblasbar, den greenpeace aufgestellt hat, darunter ein gelber Banner „schützt die Tiefsee“

Die Klima- und Umwelt-Kolumne erscheint alle zwei Wochen - kritisch, nahbar, lösungsorientiert! Hier schreiben Elena Matera und Lisbeth Schröder im Wechsel.

Ich war nie in der Tiefsee, aber neulich hat mich eine Dokumentation für zwei Stunden dorthin gebracht. Kein Licht, keine Geräusche, keine Menschen – nur Leben, das aussieht wie von einem anderen Planeten: eine durchsichtige Seegurke mit einem leuchtenden Strahl im Körper, ein rosafarbenes Tier mit etwas, das wie ein Rüssel aussieht, eine stachelige kleine Pyramide.

ein rosa Tier im Scheinwerferlicht, ansonsten nur Dunkelheit
Ein kurioses rosa Wesen im Film „How deep is your love?“, der unsere Autorin faszinierte

Die Tiefsee: Eine Welt, die eine Fläche von 65 Prozent unseres Planeten bedeckt, durchzogen von Schluchten, durchbrochen von vulkanischen Gebirgszügen. Hier leben Tintenfische, Würmer, selten tauchen sogar Schnabelwale oder See-Elefanten hinab.

Doch diese Welt ist bedroht. Denn nachdem ich in meinem Kinosessel lange den kuriosen Gestalten zugeschaut habe und Forschenden, die diese Wesen durch den Greifarm eines U-Boots in eine Kiste bugsieren, springt der Film am Ende plötzlich zu Konferenzräumen. Politiker:innen diskutieren hinter verschlossenen Türen. Denn in der Tiefsee soll bald gefördert, gebohrt und geschürft werden. Ohne Regeln. Ohne Kodex.

Worum geht es?

Schon lange dienen die Ozeane als Rohstoffquelle – Gold, Zinn oder Titan werden etwa an den Küsten Afrikas abgebaut. Doch der Blick richtet sich zunehmend auf die Tiefsee. Vor allem auf Manganknollen. Das sind steinartige Gebilde, die am Grund wachsen. Die Knollen enthalten neben Mangan auch Metalle wie Kupfer, Nickel und Kobalt – alles was man zum Beispiel für Batterien oder für die Energiewende braucht.

Doch der Abbau der Knollen hätte massive ökologische Folgen: Unsere Ozeane bergen auch einen unbekannten ökologischen Schatz. In einem der Hauptgebiete der Abbaupläne, der Clarion-Clipperton-Zone, leben Schätzungen zufolge 10.000 Arten. Werden manche von ihnen durch das Pflügen des Bodens unwiderruflich verschwinden? Wird dabei CO₂ freigesetzt, das im Sediment gespeichert ist? Darüber weiß man bisher zu wenig. Denn bisher wurden weniger als 0,001 Prozent des gesamten Ozeanbodens untersucht, schreiben Forschende im Fachmagazin Science Advances. Hier einzudringen wäre wie eine Operation am offenen Herzen – ohne zu wissen, wie die Organe funktionieren.

Auch wirtschaftlich ist der Abbau zweifelhaft: Für die Manganknollen existieren noch keine Anlagen, mit denen Kupfer, Nickel und Kobalt extrahiert und aufbereitet werden können, erzählt der Professor Wolfgang Bach der Universität Bremen. Selbst unter optimistischen Bedingungen würde der groß angelegte kommerzielle Bezug erst nach über 20 Jahren beginnen können, heißt es von ihm in einer Mitteilung des Science Media Centers.

Steigender Druck

Obwohl es eigentlich einen sogenannten „Mining-Code“ geben sollte – also ein Regelwerk, das festlegt, unter welchen Bedingungen Rohstoffe vom Grund des Ozeans gewonnen werden dürfen –, ist dieser vorerst nicht beschlossen worden. Die Jahressitzung der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) endete im Juli, ohne einen verbindlichen Kodex zu verabschieden. Umweltschützer begrüßen das: Denn ohne dieses Regelwerk kann die ISA keine Abbauvorhaben offiziell genehmigen. Zugleich wurden damit auch keine vorschnellen Regelungen geschaffen, die womöglich zulasten der Umwelt gegangen wären.

Doch der Druck wächst.

Was passiert, wenn sich Staaten nicht an gemeinsame Regeln halten?

Die USA kann trotz fehlender Regeln einen Alleingang starten. Die Regierung hat im Gegensatz zu vielen anderen Ländern nie ein entsprechendes Seerechtsübereinkommen unterschrieben, das sie an die Beschlüsse der ISA binden würde. Präsident Donald Trump hat im April ein Dekret verabschiedet, das einer kanadischen Firma den Beginn des Tiefseebergbaus in internationalen Gewässern ermöglicht. Und wenn die USA erstmal mit dem Bergbau anfängt, dann werden sehr wahrscheinlich andere Staaten folgen. Oder wie es die Professorin Andrea Koschinsky von der Constructor University Bremen im April ausdrückt: „Sollte der Vorstoß Trumps einen demnächst beginnenden Tiefseebergbau zur Folge haben, und gegebenenfalls andere Interessenten diesem Beispiel folgen, könnten damit die jahrzehntelangen Bemühungen der ISA zunichte gemacht werden.“

Was wäre also, wenn wir etwas zerstören, das wir noch nicht einmal benannt haben? Was wir noch nicht einmal kennen?

Sanktionen greifen in diesem Fall kaum. Doch wir brauchen andere Wege, um diesen Raum zu schützen – politisch, juristisch, gesellschaftlich. Die Tiefsee ist uns ferner als fast jeder andere Ort. Und doch möchte ich noch viel mehr über sie wissen. Denn sie birgt Wunder, Wesen und Zusammenhänge, deren Verlust mehr bedeuten könnte, als wir uns heute erdenken können.

Entdecken Sie die weiteren Ausgaben der konstruktiven Klima- und Umwelt-Kolumne!

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