Großtrappenschutz in Deutschland: Gerettet, aber nicht über dem Berg

Kurz vor der Jahrtausendwende war die Großtrappe in Deutschland fast ausgestorben. Heute gibt es wieder über 300 Vögel. Ein Interview über den „märkischen Strauß“, die Bedeutung von Insekten und Vogelschutz vor und nach der Wende

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
10 Minuten
Männliche Großtrappe bei der Balz

Es ist eine der größten Erfolgsgeschichten im deutschen Artenschutz: Das Überleben der Großtrappe in ihren letzten Refugien in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Mit weniger als 60 Vögeln stand der schwerste flugfähige Vogel Europas in Deutschland kurz vor der Jahrtausendwende vor dem Aussterben. Aus dieser verschwindend kleinen Restpopulation ist seitdem durch intensiven Schutz wieder eine immer noch kleine, aber sich teilweise wieder selbst tragende Population entstanden. Maßgeblichen Anteil daran hat der Förderverein Großtrappenschutz e.V., der seit mehr als 30 Jahren um das Überleben der Art kämpft.

Über den Schutz des „märkischen Straußes“ sprachen wir mit einem der Pioiniere des Großtrappenschutzes schon in der DDR und Gründungsvorsitzenden des Vereins, Heinz Litzbarski, und und dessen heutigem Vorsitzenden Marcus Borchert.

Wie viele Trappen gibt es heute in den drei deutschen Einstandsgebieten in Brandenburg und Sachsen-Anhalt?

Heinz Litzbarski: Zur Frühjahrszählung in diesem Jahr waren es 315 Großtrappen verteilt auf drei Einstandsgebiete im Havelländischen Luch, den Belziger Landschaftswiesen und dem Fiener Bruch.

Das ist ein beachtlicher Erfolg, aber eine verschwindend kleine Zahl, wenn man auf die einstige Verbreitung der Art blickt.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren Großtrappen in großräumigen Agrarlandschaften Deutschlands weit verbreitet. Kurz vor dem 2. Weltkrieg ergaben Zählungen noch einen Bestand von gut 4.000 Vögeln. Aber schon da hatten die Großtrappen schon den größten Teil ihres Lebensraums verloren. Und der Trend ging ungebremst weiter, 1975 waren es dann beispielsweise nur noch 850 Vögel.

Sie und ihre Mitstreiter haben sehr früh erkannt, woran diese katastrophale Entwicklung im Wesentlichen lag – nämlich am Insektenmangel in der Agrarlandschaft, der praktisch zum völligen Ausfall beim Bruterfolg der Trappen führte. Wann haben Sie gezielt mit dem Insektenmonitoring begonnen und welche Ergebnisse brachte das?

Das war bereits 1985. Wir haben zur Zeit der Kükenaufzucht den Bestand von Arthropoden einmal auf intensiv gedüngtem und typisch intensiv bewirtschaftetem Saatgrünland ermittelt und dies mit der Situation auf extensiv genutztem Grünland verglichen. In dieser Saison haben wir praktisch nichts anderes gemacht, als Insekten gefangen und gewogen und ausgewertet. Parallel haben wir bei von uns aufgezogenen Küken den Insektenbedarf ermittelt. Schon im Herbst desselben Jahres wussten wir Bescheid: Was hier kreuchte und fleuchte, reicht nicht aus für die Trappen.

Wie sahen die Ergebnisse genau aus?

Während 100 Kescherschläge – das war unsere Maßeinheit – im typischen Intensivgrünland nicht einmal ein Gramm Insekten und Spinnen erbrachten, waren es im blütenreichen Extensivgrünland mehr als elf Gramm. Schon mit drei, vier Tagen benötigt ein Küken etwa 25 Gramm Wirbellose, das entspricht 800 Insekten der Größe eines Marienkäfers oder von mehr als 300 Heuschrecken mittlerer Größe. Nach zehn Tagen sind es schon mehr als 1.000 Heuschrecken. Die lassen sich auf konventionell bewirtschafteten Ackerflächen nicht finden – die Küken verhungern. Es war glasklar, warum die Trappen seit Jahrzehnten so gut wie keinen Nachwuchs hatten und nach und nach ausstarben.

Eine Gruppe männlicher Trappen in der Balzarena
Großtrappen finden sich zur Gruppenbalz zusammen. Foto: Thomas Krumenacker

Mit Ihrer Auswertung haben Sie schon 30 Jahre vor der berühmt gewordenen Krefelder Insektenstudie in der DDR auf die Folgen der Intensivlandwirtschaft auf die Insektenbiomasse und damit für Agrarvögel hingewiesen. Hatte das Folgen?

Mit unserem Material sind wir dann nach Berlin in das Ministerium für Land-Forst- und Nahrungsmittelwirtschaft gegangen, wie heute auch war der Naturschutz da irgendwo zwischengemogelt. Wir haben die Ergebnisse beim Minister vorgestellt und der rief kurze Zeit später tatsächlich die Chefs der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zusammen, denen ich die Lage erklären sollte.

Wir schlugen vor, innerhalb der Agrarflächen blütenreiche Trappenstreifen auszusparen, also das anzulegen, was man heute Blühstreifen nennt. Am Ende der Veranstaltung rief der Minister den Erhalt der Großtrappe zum „Prüfstein für die sozialistische Landwirtschaft“ aus. Aber wir waren solche großartige Parolen gewöhnt und glaubten nicht daran, dass das irgendwelche Folgen haben würde.

Und hatte es die?

Im darauffolgenden Frühjahr folgte die Überraschung. Das Ministerium stellte zwei Millionen DDR-Mark für Extensivierungsgrünland bereit. Auf 2000 Hektar bekamen die Landwirte pro Hektar 1000 Mark Entschädigung. Das war natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein, aber mehr als nichts. Und der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: schon im gleichen Frühjahr gab es wieder die erste Trappenbrut seit vielen Jahren im Gebiet.

Hat dieser Erfolg wissensbasierter Aufklärung über die Lage in der Landwirtschaft damals das Überleben der Großtrappe in Deutschland gerettet?

Zumindest war es ein wichtiger Baustein für die Sicherung der fast ausgerotteten Art.

Wie war Ihrer Einschätzung nach der Stellenwert des Naturschutzes in der DDR generell?

Auf die katastrophalen Folgen der Niedermoorentwässerung haben Fachleute schon damals hingewiesen, ohne dass es irgendetwas bewirkt hätte. Es wurden auch Trappenschongebiete eingerichtet, aber die Einhaltung der Auflagen wurden nie kontrolliert, sodass es de facto kaum einen Schutz gab. Die DDR-Grünlandwiesen hatten praktisch keine Amphibien, obwohl es damals noch sehr viel nasser war als heute. Das war tot. Die Übernutzung war auch die Folge aus der Tatsache, dass wir in der DDR kaum Importe hatten. Alles, was wir aßen und tranken – auch das, was das Vieh fraß – musste auf der eigenen Scholle erzeugt werden. Das Havelland, die Hochburg der Trappen, wurde als „Milchader für Berlin“ bezeichnet. Entsprechend intensiv wurde gewirtschaftet. Es hat Jahre gedauert, bis das Leben in die Wiesen nach dem Ende der Intensivnutzung zurückkam.

Grafik der Bestandsentwicklung
Aufwärtstrend:: Die Trappenbestände steigen seit Beginn des Schutzprogramms stetig an. In diesem Jahr gibt es aber eine Delle.

Nach der Wende machte das Trappenschutzprojekt bundesweit Schlagzeilen, weil die ICE-Strecke zwischen Berlin und Hannover mitten durch das Trappengebiet führen sollte – und nun auch führt. Die Bahn wollte einen Tunnel für viele hundert Millionen Mark bauen, doch ausgerechnet die Trappenschützer waren dagegen. Wieso?

Die Bahn plante, einen sechs Kilometer langen Tunnel für eine Milliarde Mark zu bauen. Wir waren zutiefst erschrocken, als wir davon gehört haben. Sie müssen sich die Situation vorstellen, es war 1991, zwei Jahre nach der Wende: Die Arbeitslosigkeit lag über 30 Prozent, die Agrarbetriebe waren zusammengebrochen, keiner wusste, wie es weitergeht. Die Kindergärten und Läden waren dicht. Und in diese Lage hinein soll plötzlich der Naturschutz für eine Milliarde einen Tunnel bekommen, weil hier 20 oder 30 Trappen rumhüpfen. Das schien uns absurd und verantwortungslos.

Das war nicht die einzige befremdliche Variante …

Es gab auch die Idee einer Nordumfahrung – das hätte bedeutet, dass die Trasse durch Teile des Havelländischen Luchs auf Stelzen und Betonbrücken über sogenannte Talbrücken geführt hätte. Für die Trappen hätte auch das nichts gebracht, denn einen Schutz gegen Leitungsanflug hätte es damit auch nicht gegeben. Auch diese Idee war natürlich absurd.

Dann haben ausgerechnet die Trappenschützer der Bahn viel Geld gespart mit einer sehr pragmatischen Lösung. Wie sieht die aus und hat sie sich als erfolgreich erwiesen?

Wir waren überzeugt, dass es andere Lösungen geben muss als diese Milliardengräber, die teilweise obendrein von zweifelhaftem Nutzen waren. Wir haben dann mit unseren Kollegen im Trappenschutz anderer europäischer Länder beraten, schließlich führt auch die Fernzug-Verbindung zwischen Madrid und Lissabon durch Trappengebiet. So kamen wir auf die Wall-Variante, die schließlich realisiert wurde. Die Bahntrasse ist jetzt beidseitig von Erdwällen verdeckt. Das hat die Bahn statt einer Milliarde Mark nur 24 Millionen gekostet und wirksam ist die Variante auch. Bis heute haben wir keine einzige tote Trappe durch den Bahnverkehr zu beklagen.

Männliche Großtrappe bei der Balz im Gegenlicht
Die Balz der Großtrappen beginnt schon in der Dämmerung Foto: Thomas Krumenacker
Großtrappen-Männchen in einer Wiese
Ein Großtrappen-Männchen behält sein Revier im Blick

Sprechen wir über den Schutz der Großtrappe heute. Mit Blick auf die Intensivlandwirtschaft hat sich die Lage seit der Wiedervereinigung ja nicht wirklich verbessert. Nur wenn naturschutzfreundlich gewirtschaftet wird, können Insekten und damit viele Agrarvogelarten überleben – auch die Großtrappe. Landerwerb gehört deshalb zum Kern des Trappenschutzes. Wie viel Land wird heute in den verbliebenen Siedlungsgebieten trappenfreundlich bewirtschaftet und welche Auflagen gibt es für die Landwirtschaft?

Bereits mit Gründung unseres Vereins war uns klar, dass wir nur über Landerwerb einen entscheidenden Hebel in der Hand haben, die letzten Refugien der Trappen zu bewahren. Die Bedingungen der Nachwendezeit haben uns da einige Gelegenheiten geboten als westdeutsche Landwirte nach der Rückübertragung ihrer Grundstücke erkannten, dass sich die Bodenverhältnisse hier nicht mit denen in vielen westdeutschen Agrarlandschaften vergleichen lassen und deshalb ihr Land an uns verkauften. Auch Partner aus dem Westen wie die Frankfurter Zoologische Gesellschaft haben uns unterstützt, und auch durch ein Projekt des EU-Naturschutzprogramms LIFE konnten wir Flächen kaufen. Jetzt, 30 Jahre später, wird auf mehr als 4.200 Hektar trappengerechte Landwirtschaft betrieben. Das geschieht auf Flächen in unserem Eigentum, aber auch solchen im Besitz des Landes und des Naturschutzfonds Brandenburg. Allein im Havelländischen Luch sind es fast 3.000 Hektar.

Kann eine so anspruchsvolle Vogelart wie die Großtrappe heute in Deutschland überhaupt noch überleben?

Marcus Borchert: Sie kann es, aber nur in einer naturschutzorientierten Bewirtschaftung, wie wir sie beispielsweise in den Trappengebieten haben. In der Normallandschaft ist das ausgeschlossen. Wenn es keinen grundlegenden Wandel in der Landwirtschaft gibt, der nicht abzusehen ist, kann die Großtrappe nicht außerhalb speziell gemanagter Gebiete überleben.

Welche Vorgaben werden den Landwirten gemacht?

Marcus Borchert: Sie müssen bei ihren Bewirtschaftungsterminen Rücksicht auf die Trappen nehmen und zumindest im Grünland auf den Einsatz von Agrochemikalien ganz verzichten. Auf Ackerflächen ist ein gewisses Maß an Düngung möglich.

Neben der möglichst ökologischen Landbewirtschaftung ist der Schutz vor Fressfeinden – Prädatoren – eine tragende Säule des Trappenschutzes. Wie viel Fläche wird mittlerweile durch Zäune vor Bodenprädatoren wie Fuchs, Waschbär, Marderhund und Dachs geschützt?

Marcus Borchert: Wir haben in diesem Jahr den siebten Schutzzaun fertiggestellt. Damit sind jetzt etwa in allen drei Einstandsgebieten 130 Hektar Land umzäunt.

Auf manche Besucher wirken die Zäune etwas künstlich. Gelegentlich ist von Gehegen die Rede. Geht es nicht ohne?

Marcus Borchert: Der Begriff rührt daher, dass einige Teile früher Bestandteil eines Auswilderungsgeheges waren. Die ursprüngliche Funktion des Geheges gibt es nicht mehr. Die Zäune sind ein Angebot an die Großtrappen, dort ungestört vor Bodenprädatoren zu brüten und es wird angenommen. Die Vögel sind in ihrer Entscheidung völlig frei, es werden keine Großtrappen eingesperrt.

Heinz Litzbarksi: Innerhalb der Schutzzäune halten wir uns extrem zurück, wir beringen oder besendern dort nicht einmal. Alles soll möglichst natürlich stattfinden.

Wird das Angebot angenommen und welche Arten profitieren noch von den geschützten Räumen hinter dem Zaun?

Marcus Borchert: Wir finden innerhalb der Schutzzäune etwa genau so viele Brutplätze wie außerhalb. Außerhalb ist die Dunkelziffer aber deutlich höher, da die Suche dort viel komplizierter ist. Die Bedeutung für andere Arten wird oft etwas unterschätzt, aber die ganze Palette der Offenlandarten, die in der Agrarlandschaft vorkommen, profitiert: von einstigen Allerweltsvögeln wie Feldlerche und Wiesenpieper, Grauammer und Braunkehlchen bis hin zu Sumpfohreule, Wiesenweihe und der ganzen Gilde der Feuchtwiesenbrüter wie Brachvogel und Kiebitz. Aber auch Pflanzen- Insekten-, Reptilien und Amphibienarten.

Eine Gruppe Trappen überfliegt den Schutzzaun
Die Trappen können die Schutzzäune ohne Probleme überwinden

Der Aufschwung der Trappenpopulation ist maßgeblich auch das Ergebnis von Aufzucht und Auswilderung von Trappen aus Eiern, die Gelegen außerhalb der Schutzzäune entnommen werden. Wie viele Trappen werden derzeit noch ausgewildert?

Marcus Borchert: Das schwankt natürlich, aber in diesem Jahr haben wir etwa 60 Eier an 40 Brutplätzen eingesammelt, die sonst so gut wie sicher Beute von Prädatoren geworden wären. In optimalen Jahren haben wir zwei Auswilderungsgruppen von um die 20 Jungvögel.

Haben die Trappen außerhalb der Zäune keinerlei Chance?

Marcus Borchert: Es hat sich in den letzten Jahren auch einiges außerhalb der Schutzzäune getan. Bruterfolg ist nicht ganz aussichtslos, auch wenn nur wenige Küken bis zum Flüggewerden überleben. Aber natürlich ist klar, dass wir langfristig von den Aufzucht- und Auswilderungsprojekten wegkommen müssen – auch wenn wir noch einige Zeit brauchen werden, bis die Lebensräume so sind, dass wir das nicht mehr brauchen.

Schon jetzt gibt es große Fortschritte auf diesem Weg in einem der Trappengebiete …

Heinz Litzbarski: Die Teilpopulation im Havelländischen Luch trägt sich schon seit 20 Jahren selbst. Dort haben wir zuletzt im Jahr 1997 Trappen ausgewildert. Die Population hat sich seitdem mindestens vervierfacht – von 20 Vögeln auf mehr als 100. Das wäre allerdings ohne Schutzzaun undenkbar.

Neben den Schutzzäunen – welche weiteren Formen des Prädationsmanagements gibt es in den deutschen Trappengebieten?

Marcus Borchert: Auch wenn die Zäune eindeutig die wichtigste Schutzmaßnahme sind, kann es nicht unser Ziel sein, Naturschutz nur hinter dem Zaun zu betreiben. Deshalb sind wir bestrebt, durch Jagd die Prädatorenbestände auch außerhalb der Zäune zur Zeit von Brut und Jungenaufzucht möglichst gering zu halten.

Das betrifft vor allem den Fuchs, aber auch Dachs, Marderhund und Waschbär. Daneben haben wir auf Landschaftsebene beispielsweise an einer Stelle ursprünglich nicht standorttypische Pappelreihen entfernen lassen, um die Prädationsgefahr durch Seeadler zu verringern. Auch Ablenkfütterungen haben wir eine Zeitlang unterhalten.

Großtrappen-Weibchen in Weitwinkelaufnahme
Das Havelländische Luch bietet den Trappen noch ausreichend Lebensraum

Wie geht es weiter mit dem Trappenschutz in Deutschland? Gibt es Hoffnung auf die Wiederbesiedlung neuer Gebiete?

Heinz Litzbarski: Eine natürliche Wiederbesiedlung scheint uns ausgeschlossen. Die hat es auch in Ländern mit vielen Trappen wie Spanien nie gegeben. Bei dieser extrem standorttreuen Art bedarf es des Anstoßes durch Wiederansiedlung über die Freilassung von Vögeln.

Marcus Borchert: Dazu laufen gerade die Vorbereitungen in einem ehemaligen Einstandsgebiet in Sachen-Anhalt auf einer 14 Hektar landeseigene Fläche in einem Naturschutzgebiet. Mit Fördermitteln des Landes konnten wir bereits einen Schutzzaun errichten und wir sind optimistisch, im kommenden Jahr dort mit der Auswilderung beginnen zu können.

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