Vogeljagd im Libanon: Alptraum und Hofffnungsschimmer liegen nahe beieinander
Auch in diesem Herbst waren Vogelschützer wieder im Libanon unterwegs, um die illegale Jagd auf Greifvögel zu verhindern. Ihre Bilanz: Das Ausmaß der Vogelverfolgung ist dramatisch – aber es gibt auch ermutigende Fortschritte.
Auf ihrer Durchreise in die Überwinterungsgebiete müssen Millionen von Vögeln aus Europa in jedem Herbst den Libanon überqueren. Dort sind sie – wie auch in anderen Ländern der Region – einer massiven Verfolgung durch Wilderer ausgesetzt. Zwar ist die Jagd auf Greifvögel und andere geschützte Arten auch im Libanon verboten, doch an vielen Hotspots des Vogelzugs werden die Gesetze ignoriert.
Im siebten Jahr in Folge war deshalb in diesem Herbst wieder ein internationales Team des Bonner Komitees gegen Vogelmord (Committee Against Bird Slaughter/CABS) für mehrere Wochen im Libanon unterwegs, um während der Hauptdurchzugszeit den illegalen Abschuss von Vögeln zu verhindern. Wir sprachen mit Axel Hirschfeld über die Erlebnisse des Teams und Fortschritte im Kampf gegen die Vogelwilderei. Hirschfeld koordiniert die Libanon-Einsätze seit ihrem Beginn 2017.
Was hat das Team in diesem Jahr erlebt?
Axel Hirschfeld: Wir konnten in diesem Jahr erstmals neue Wilderei-Brennpunkte im Norden des Landes auskundschaften, die bisher nicht zugänglich für Ausländer waren. Die Situation dort ist katastrophal und die Dimension der Abschüsse unvorstellbar. Man steht dort auf Berghängen, die übersät sind mit den Überresten von unzähligen toten Greifvögeln. Ein absoluter Albtraum für jeden Vogelschützer.
Und wie stellt sich die Situation in den Bergen bei Aghbe im Zentrallibanon dar, wo das Komitee schon seit mehreren Jahren alljährlich präsent ist, um die Einhaltung des Zugvogelschutzes zu unterstützen?
Auch dort befindet sich ein „Flaschenhals“, ein Konzentrationspunkt, an dem besonders viele Vögel in geringer Höhe durchziehen und deshalb besonders anfällig gegenüber Wilderern sind. Dort sind seit 2017 in jedem Jahr Teams von uns unterwegs, um das Geschehen zu überwachen – und wir können sagen, dass unsere Aufklärungsarbeit und die Polizeieinsätzeder letzten Jahre mittlerweile konkrete Früchte tragen. Die Wilderei ist dort mittlerweile spürbar zurückgegangen Genau das wollen wir auch im Norden erreichen
Wie stellt man fest, ob die Wilderei nachgelassen hat, schließlich ist das Abschießen von Greifvögeln auch im Libanon illegal?
Das hört man an der Anzahl der Schüsse, man sieht es an der stark gesunkenen Anzahl an herumliegenden Patronenhülsen. Und am Allerwichtigsten: Wir finden dort nur noch einen Bruchteil an toten oder angeschossenen Vögeln.
Welche Vogelarten sind im Libanon besonders stark betroffen?
Geschossen wird auf alle Arten, die tagsüber ziehen und in Schussreichweite kommen. Wespenbussarde, Rohrweihen, Schwarzmilane und Adler werden gezielt und zu Tausenden für den Kochtopf oder als Trophäen geschossen. Das gleiche gilt für Schwarz- und Weißstörche, Pelikane oder Kurzfangsperber. Darüber hinaus gibt es einen riesigen Markt für Singvögel, die zu Millionen mit Leimruten und Netzen gefangen werden.
Gab es in diesem Jahr konkrete Erfolge, konnten viele Vögel gerettet werden?
Wir finden jeden Tag angeschossene Tiere, die dann in eine Pflegestation unserer Antiwilderei-Teams, der Anti Poaching Units, kommen. Außerdem befreien wir jedes Jahr Geier und Adler, die illegal als „Haustiere“ oder in privaten Zoos gehalten werden. Auch auf Märkten werden immer wieder – zwischen Kaninchen und Hundewelpen – lebende Greifvögel und Eulen angeboten.
Was geschieht mit diesen Tieren, wenn es gelingt, sie zu befreien?
Leider sind viele so schwer verletzt, dass sie nie wieder fliegen können. Sie kommen in Pflegestationen. Einige müssen auch eingeschläfert werden. Trotzdem können wir immer wieder auch Erfolge in Form von erfolgreichen Auswilderungen feiern. Aber unsere größten Erfolge sehen wir gar nicht, oder nur, wenn wir hoch in den Himmel schauen: nämlich jeden einzelnen Vogel, der dank unserer Arbeit nicht mehr abgeschossen wird. Wieviel das sind, kann niemand genau sagen aber ich bin mir sicher, dass es jedes Jahr viele Tausend sind.
Der Libanon hat alle relevanten Abkommen zum Schutz durchziehender Vogelarten unterzeichnet. Wie verhalten sich die staatlichen Stellen gegenüber Vogelwilderern?
Wenn wir die Polizei rufen, ist in der Regel innerhalb einer Stunde ein Patrouillenfahrzeug vor Ort. Wilderer, die auf frischer Tat erwischt werden, werden mit auf die Wache genommen und müssen in den meisten Fällen Geldstrafen bezahlen. Wie hoch die ausfällt, ist aber oft Verhandlungssache. Für Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen oder die Beschlagnahme illegal gehaltener Tiere geht, gibt es spezielle Umwelt-Richter, an die wir uns wenden können.
Wird das Thema Wilderei von der Justiz und generell im Lande ernst genommen oder herrscht eine Haltung: Es gibt wichtigere Probleme?
Nein, letzteres können wir nicht bestätigen. Obwohl es für die meisten Menschen im Land gerade tatsächlich wichtigere Probleme gibt. Das Thema Wilderei ist durchaus als Problem erkannt. Aber natürlich gibt es – wie in anderen Ländern auch – auch Situationen, in denen wir uns ein noch konsequenteres Vorgehen wünschen.
Wie stark ist der Vogel- und Naturschutzgedanke im Libanon? Gibt es einen zivilgesellschaftlichen Protest gegen die Wilderei?
Ja, den gibt es und viele dieser Menschen arbeiten mit uns und unseren Partnerverbänden zusammen. Die wollen wirklich etwas verändern und dabei helfen, ihre Landsleute vom „Wert“ der Zugvögel zu überzeugen. Zum Beispiel mit Vogelbeobachtungs-Festivals und Foto-Ausstellungen. Das klappt vielerorts erstaunlich gut.
Der Libanon ächzt unter einer enormen Wirtschaftskrise. Bremst das die Vogelwilderei oder verstärkt es sie sogar?
Die Preise für Benzin und Munition haben sich verdreifacht, was anfangs sicherlich einen aus Vogelschutzsicht positiven Effekt auf die Wilderei hatte. Leider sind mittlerweile aber auch die Nahrungsmittelpreise stark angestiegen, so dass sich die Wilderei wieder lohnt – insbesondere bei größeren Vögeln mit viel Fleisch.
Nach jetzt sechs Jahren Arbeit im Libanon. Wie fällt Ihre Bilanz im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren aus?
Positiv. Wir sehen, dass unsere Arbeit Erfolg hat und konnten unser Netzwerk im Land weiter ausbauen. Außerdem können wir mittlerweile in Gegenden arbeiten, die noch vor ein paar Jahren absolute Tabuzonen für Ausländer waren. Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang die Berge rund um Akkar und Tripoli im Norden des Landes. Dort sterben die meisten Vögel und dort wollen wir in den nächsten Jahren verstärkt aktiv werden.