Vogeljagd auf Malta: Raubzug gegen die Natur auf Kosten ganz Europas
Während die EU Millionensummen in den Schutz bedrohter Vogelarten steckt, werden viele der Tiere während ihres Zuges auf Malta abgeschossen. Naturschützer werfen der Regierung des kleinsten EU-Landes vor, den Raubzug gegen die Artenvielfalt aus politischem Kalkül zu unterstützen.
Diese Recherche ist das Ergebnis einer internationalen Kooperation zwischen RiffReporter und dem maltesischen Online-Magazin „The Shift“. Sie wurde von IJ4 EU (Investigative Journalism for Europe) gefördert und ist Teil einer Serie von grenzüberschreitendem investigativem Journalismus.
Die EU investiert dreistellige Millionensummen, und Zehntausende Menschen überall in Europa opfern Jahr für Jahr ihre Freizeit dafür: Der Schutz gefährdeter Vogelarten gehört zu den wichtigsten Maßnahmen im Kampf gegen Artensterben und Biodiversitätskrise. Doch der illegale Abschuss von Vögeln auf ihrem Zugweg ausgerechnet im kleinsten EU-Mitgliedsstaat Malta untergräbt den Erfolg des europäischen Artenschutzes. Die maltesische Regierung sieht tatenlos zu. Naturschützer werfen ihr vor, der Jägerlobby im Buhlen um ihre Stimmen einen Freibrief auszustellen.
Die Halbinsel Delimara an der Südostspitze Maltas ist eine der idyllischsten Gegenden auf der kleinen Mittelmeerinsel.
Sanft geschwungene Hügel, die einen weiten Blick über die Bucht von Marsaxlokk erlauben, zwischen Felsen versteckte Strände und ein Kloster samt Kathedrale machen den Ort zu einem Magneten für Besucherinnen und Besucher aus ganz Europa. Doch kaum haben die letzten Touristen mit der anbrechenden Dunkelheit das Gelände rund um die „Kathedrale unserer Lieben Jungfrau des Schnees“ verlassen, tauchen gänzlich unheilige Gestalten auf und verwandeln die Oase der Stille und des Gebets in einen Ort des Schreckens: Mit Gewehren bewaffnete Vogeljäger durchstreifen truppweise das Plateau auf der Suche nach Zugvögeln, die hier nach einem langen und anstrengenden Flug über das offene Meer erschöpft niedergehen, um einen Schlafplatz für die Nacht zu finden.
Im Visier haben die Schützen häufig nicht nur legal jagdbare Arten wie Wachteln und Tauben. Oft haben sie es auf überall in Europa streng geschützte und in ihren Beständen stark bedrohte Vogelarten abgesehen – allen voran auf Greifvögel wie Rohr- und Wiesenweihen.
Maltesische Naturschützer und Aktivisten des Bonner Komitees gegen den Vogelmord dokumentieren das nächtliche Treiben der Vogeljäger in Delimara und andernorts auf der Insel seit Jahren. Ihre Protokolle, Fotos und Videos belegen, dass die Greifvögel, für deren Überleben in anderen EU-Mitgliedstaaten millionenschwere Artenschutzprogramme laufen, gezielt während des Schlafs in der Nacht beschossen werden. Die Jäger agieren dabei weitestgehend unbehelligt. Ein Teil der getöteten Vögel wird anschließend achtlos liegen gelassen. Die meisten Tiere werden mitgenommen, um als Trophäen ausgestopft und verkauft zu werden.
Das ganze Ausmaß dieser auch auf Malta illegalen Biodiversitätsverbrechen ist mangels staatlicher Kontrolle unbekannt.
Stichproben der Patrouillen von Vogelschützern nahe der Kathedrale geben aber Hinweise: So fanden von den Vogelschützern herbeigerufene Polizisten bei einer einzigen morgendlichen Kontrolle während der – nach EU-Recht verbotenen, aber auf Malta von der Regierung erlaubten – Frühlingsjagd auf einer Fläche von wenigen Hundert Quadratmetern innerhalb kurzer Zeit allein fünf über Nacht geschossene Rohrweihen. Vier davon waren noch am Leben. Wie viele getötete Vögel die Häscher in der Nacht abtransportiert haben, bleibt ihr Geheimnis.
Delimara ist kein Einzelfall. Zur Zugzeit, im Herbst, im Winter und im Frühling, ist der Widerhall von Gewehrfeuer allgegenwärtig auf der Insel.
Die Landschaft ist übersät mit tausenden Vogelfanganlagen und Jagdunterständen. Unter dem Schutz der legalen Jagd auf wenige Vogelarten wird nach Untersuchungen von Wissenschaftlern und Naturschützern in Wirklichkeit auf alles gefeuert, das fliegt. Seltene Vogelarten wie die meisten Greifvögel seien als Trophäen besonders beliebt und erzielten auf dem Markt die höchsten Preise. Für einige Arten – wie die Wiesenweihe – könnte die illegale Verfolgung allein auf Malta die aufwendigen Schutzbemühungen in Herkunftsländern wie Deutschland zunichtemachen, warnen Wissenschaftler.
Szenenwechsel. Wenige Wochen vor Beginn der diesjährigen Herbst-Jagdsaison auf Malta 1700 Kilometer nordöstlich in der Zülpicher Börde, Nordrhein-Westfalen: Goldgelb-gefärbte Weizen- und Gerstenfelder so weit das Auge reicht. Die Ebene am Übergang von Rheinland und Eifel ist nicht nur eine der Kornkammern Deutschlands. Sie ist auch der Brutplatz einiger der letzten Wiesenweihen Nordrhein-Westfalens.
Der schlanke Greifvogel verbringt die Zeit zwischen Ende April und Mitte August in seinem Brutgebiet – den Rest des Jahres ist er auf Achse zwischen Europa und den afrikanischen Staaten südlich der Sahara. Wiesenweihen sind in der höchsten Kategorie der Roten Liste als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft. Weniger als 450 Brutpaare gibt es noch in Deutschland. Entsprechend kämpfen Vogelschützer wie hier in der Zülpicher Börde um das Überleben jedes einzelnen Brutpaares.
„Die Wiesenweihen sind so etwas wie die Kronjuwelen dieser Landschaft“, sagt Marvin Fehn. Der 28-jährige Naturschützer steht gemeinsam mit Hirschfeld und weiteren Mitgliedern des Komitees gegen den Vogelmord an diesem Julimorgen am Rande eines riesigen Gerstenfeldes. In dessen Mitte – nur mit dem Fernglas zu erkennen – flattert ein rot-weißes Markierungsband im Sommerwind. Angebracht haben es Fehn und seine Mitstreiter Monate zuvor. Das bunte Plastik markiert das Nest einer Wiesenweihe. Aus der Entfernung nicht zu erkennen ist, dass die Vogelschützer rund um das Nest auch einen Elektrozaun errichtet haben, der die Brut der seltenen Tiere vor Füchsen schützen soll.
An diesem Morgen gilt es, den Bruterfolg der Vögel zu überprüfen. Um eine Störung durch Menschen am Nest zu vermeiden, bleiben die Vogelschützer am Ackerrand stehen und schicken eine Drohne gut 200 Meter weit in niedrigem Flug über das Getreide bis zum Nest. Im Display der Kamera lassen sich Minuten später vier schon voll befiederte Jungvögel bestaunen, die gebannt auf das Fluggerät starren. Bruterfolg! Zufrieden ziehen die Vogelschützer weiter zur nächsten Kontrolle.
Artenschutz auf Höhe der Zeit: Was für Außenstehende so bestechend einfach aussieht, ist das Ergebnis eines aufwendigen und langwierigen Schutzprojekts.
Wenn die Wiesen- und Rohrweihen zwischen Ende April und Anfang Mai aus den Überwinterungsgebieten zurückgekehrt sind und ihre Nester bauen, beginnt für die Weihenschützerinnen und -schützer in der Börde die Hochsaison. Als Erstes müssen sie in tagelanger geduldiger Beobachtung herausfinden, wo in dem 600 Quadratkilometer großen Gebiet die wenigen verstreuten Paare der Greifvögel ihre Nester bauen. Anders als etwa Adler, Falken oder Bussarde brüten Weihen auf dem Boden.
Seit einigen Jahren haben sich die Greifvögel die Agrarlandschaft als Ersatzlebensraum für ihre selten gewordenen natürlichen Habitate in Feuchtwiesen und Mooren erobert: Eine überlebenswichtige Anpassungsleistung an die beständig von Menschen veränderte Umwelt. Doch die erfolgreiche Anpassung geht mit einem hohen Risiko einher. Im Frühling ähneln die Getreidefelder mit ihrem saftig-grünen und erst grashohen Bewuchs stark dem ursprünglichen Lebensraum. Doch zum Ende der fast dreimonatigen Brut- und Aufzuchtzeit der Jungvögel liegt das Nest quasi unsichtbar inmitten des inzwischen dichten und hochgewachsenen Getreides. Dann besteht die Gefahr, dass die gesamte gut versteckte Brut bei der Getreideernte durch Mähdrescher vernichtet wird.
Um dies zu verhindern, greift mit dem Entdecken eines Nests ein genaues Protokoll bei den Weihenschützern: Der Neststandort wird sofort mit hohen Stangen und einem Flatterband markiert und der örtlichen Naturschutzbehörde gemeldet. Die Behördenmitarbeiter finden dann aus dem Bodenkataster heraus, wem der Acker gehört. Sie kontaktieren die Besitzer und schließen Verträge mit ihnen ab. Der Deal lautet: Landwirte sparen bei der späteren Ernte das Nest und eine 25 mal 25 Meter große Fläche darum herum aus und erhalten dafür eine Entschädigung.
Der Kreis Euskirchen zahlt sogar eine Erfolgsprämie für jede ausgeflogene Weihe
Vogelschutzorganisationen wie das Komitee finanzieren aus Spenden die aufwendige Nestersuche sowie das Monitoring, die Naturschutzbehörde und damit die Steuerzahlerinnen und -zahler finanzieren die Elektrozäune, und schließlich zahlen die Behörden in manchen Gebieten auch noch einen Erfolgsbonus an die Landwirte, um den Schutz der geflügelten Raritäten noch attraktiver zu machen. Der Kreis Euskirchen beispielsweise spendiert den Landwirten neben einer Basisprämie für die Verschonung des Nests beim Mähen einen Erfolgsbonus von 100 Euro für jeden ausgeflogenen Jungvogel. Für jedes einzelne geschützte Nest einer Rohr- oder einer Wiesenweihe bezahlen die Steuerzahler zwischen 500 und 900 Euro – je nachdem, wie viele Jungvögel am Ende ausfliegen.
Bayern hat sich durch Schutzmaßnahmen zur Hochburg der Wiesenweihen in Mitteleuropa gemausert
Das Geld ist gut angelegt. „Würden wir dieses aufwendige Prozedere aufgeben, würden mit einem Schlag zwei Drittel unserer Brutpaare zerstört“, sagt Norbert Schäffer. Der Vorsitzende des bayerischen Naturschutzverbandes LBV muss es wissen. Seinem Verband ist es in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht nur gelungen, die Wiesenweihe in Bayern vom Aussterben zu bewahren.
Mit ähnlichen Methoden wie in Nordrhein-Westfalen haben es vor allem ehrenamtliche Naturschützerinnen und Naturschützer des Verbandes geschafft, den Bestand auf deutlich über 200 Paare zu bringen. Bayern hat damit die größte und erfolgreichste Brutpopulation der Wiesenweihe in ganz Mitteleuropa. Das bayerische Modell soll nun sogar Vorbild für ein vom Bundesumweltministerium finanziertes bundesweites millionenschweres Weihenschutzprogramm werden.
Wilderei auf Malta kommt „on top“ zu Klimawandel und Lebensraumzerstörung
Wie dünn der Faden ist, an dem die weitere Existenz der seltenen Greifvögel in Deutschland trotz aufwendigen Schutzes hängt, zeigt der Verlauf der diesjährigen Brutsaison in der Zülpicher Börde: Ein einziger Tag mit heftigen Hagelschauern am 22. Juni zerstörte auf einen Schlag die Hälfte aller Bruten beider Vogelarten in der Region.
Die Zahl extremer Regenfälle hat sich im Zuge des Klimawandels auch im Rheinland in den vergangenen Jahren erhöht – der Weltklimarat rechnet mit einer weiteren Häufung. Zum Abschluss der diesjährigen Brutsaison Ende August bilanzieren die Weihenschützer in der Zülpicher Börde fünf erfolgreiche Bruten für dieses Jahr: Insgesamt acht junge Wiesenweihen aus zwei Bruten und 12 Rohrweihen aus drei Nestern werden vom Eifelfuß aus ihre lange Reise in die afrikanischen Winterquartiere antreten und dabei auch auf Malta einen Zwischenstopp einlegen müssen.
„Schwer erträgliche Vorstellung“
Der Gedanke, dass „ihre“ Vögel Opfer von Vogelwilderern auf Malta werden könnten, ist für engagierte Vogelschützer wie Fehn „schrecklich und nur schwer erträglich“. „Wir haben sie bewacht, beschützt und uns um sie gesorgt“, sagt er. „Wir empfinden jeden einzelnen Vogel als unseren Schützling.“
„Alles im Leben der Weihen ist extrem zerbrechlich“, bilanziert auch Hirschfeld. „Wir betreiben einen großen Aufwand, bis die Nester gefunden und gesichert werden – und Tage später kann ein einziges Unwetter, ein Fuchs oder ein unachtsamer Mähdrescher alles kaputtmachen. Jeden Tag wehren wir irgendeine Gefahr ab – und trotzdem reicht das nicht, um sie vor den Wilderern auf Malta zu schützen.“
Vom Storch bis zum Singvogel: Gefahr für gefiederte Vielfalt auf Malta
Dort trifft es nicht nur Weihen. Praktisch alle Vogelarten, die die kleine Insel auf ihrem Zug ansteuern, sind in Gefahr: Vom großen Storch bis zum kleinsten Singvogel.
Besonders häufig geraten aber Greifvögel ins Visier der Jäger. Einer von ihnen, der in Brandenburg geschlüpfte Schreiadler „Sigmar“, hat vor einigen Jahren traurige Berühmtheit erlangt. Der Greifvogel war im Rahmen eines Artenhilfsprojekts für Deutschlands am stärksten gefährdete Adlerart nahe Berlin ausgebrütet und aufgezogen worden. Seinen Vornamen trug er wegen einer Patenschaft des damaligen Bundesumweltministers Sigmar Gabriel. Der prominente Pate half dem Jungvogel nichts, als er auf seiner ersten großen Reise nach Afrika über Malta von Wilderern angeschossen wurde.
Vogelschützer fanden ihn schwer verletzt in einem Feld. Mehrere Schrotkugeln hatten ein Bein zersplittert und Knochen gebrochen. „Sigmar“ wurde unter großem Medienecho per Flugzeug von Malta zurück nach Berlin transportiert, wo er trotz Behandlung in der Tierklinik der Freien Universität kurze Zeit später eingeschläfert werden musste. Er wurde nicht einmal sechs Monate alt.
Das Schicksal „Sigmars“ ist ein besonders krasses Beispiel dafür, wie die illegale Vogelverfolgung im EU-Mitgliedstaat Malta aufwendige und teure Schutzprojekte in anderen EU-Ländern sabotiert. Denn auch für das Überleben der letzten Schreiadler in Deutschland und anderen Regionen Europas hat die EU im Rahmen zahlreicher Förderprogramme in den vergangenen Jahrzehnten einen hohen zweistelligen Millionenbetrag ausgegeben.
Mehr als eine Milliarde Euro für den Artenschutz
In der aktuellen Programmperiode von 2021 bis 2027 stellt die EU-Kommission für Umwelt- und Klimamaßnahmen (Life) mehr als fünf Milliarden Euro zur Verfügung. Naturschutz- und Artenhilfsprojekte machen nach früheren Erfahrungen etwa ein Viertel davon aus. Auch aus vielen anderen Quellen fließt Geld für den Erhalt der gefiederten Artenvielfalt: Allein der Schutz der Wiesenweihe in Deutschland schlägt nach groben Schätzungen in jedem Jahr mit einer halben Million Euro zu Buche.
Vögel aus Deutschland besonders stark betroffen
Wie stark die Verfolgung auf der winzigen Insel – Malta hat nur gut ein Drittel der Fläche Berlins – besonders auch für Vögel aus Deutschland ist, zeigt die Analyse eines internationalen Wissenschaftlerteams aus dem Jahr 2015. Die Forscher werteten alle bekanntgewordenen Fälle aus, in denen ein auf Malta geschossener Vogel einen Ring aus einem anderen europäischen Land trug. Obwohl die Ringsammlung der maltesischen Vogelwarte nur einen mikroskopisch kleinen Teil der tatsächlich geschossenen Vögel erfasst – nur wenige Vögel sind überhaupt beringt, und geschossene Vögel mit Ringen werden nur in Ausnahmefällen der Vogelwarte gemeldet – lassen die Ergebnisse der Studie Rückschlüsse auf das Ausmaß illegaler Verfolgung geschützter Arten und die Herkunft der Opfer zu.
Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass weit über 90 Prozent der beringten Vögel nicht hätten geschossen werden dürfen, weil sie streng geschützt sind.
Anhand der Ringe konnten die Forscher nachweisen, dass Vögel aus 32 europäischen und vier afrikanischen Ländern auf Malta geschossen wurden. Mehr als 90 Prozent aller Vögel stammte aber aus Ländern der EU. Vögel aus Deutschland trifft es offenbar besonders stark. „Unsere Analyse zeigt, dass bestimmte Länder offenbar besonders von der illegalen Jagd auf Malta betroffen sind“, schreiben die Autoren. Vögel aus Finnland, Schweden und Deutschland seien besonders stark vertreten. „Das deutet darauf hin, dass die Erhaltungsmaßnahmen, die in diesen Ländern durchgeführt werden, durch die illegale Jagd in Malta besonders berührt werden.“ Besonders schwer ins Gewicht falle, wenn es sich – wie bei den deutschen Weihen und Adlern – nur noch um kleine Brutbestände in den betroffenen Ländern handele.
„Malta fehlt es an Glaubwürdigkeit“
Illegale Vogelverfolgung ist ein Problem in vielen Ländern entlang des Mittelmeeres. Doch in vielen Ländern gehen die Behörden inzwischen dagegen vor. Auch LBV-Chef Schäffer, dessen Verband auch im internationalen Artenschutz tätig ist, attestiert einer zunehmenden Zahl von Staaten den Willen, dem illegalen Treiben Einhalt zu gebieten. „Aber, was insbesondere Malta betrifft, bin ich skeptisch, ob die Beteuerungen der Regierung ernst gemeint sind“, sagt Schäffer im Gespräch mit RiffReporter.
„In Malta ist das Problem seit langem bekannt, und es handelt sich um ein kleines Gebiet, sodass ich erwarten würde, dass die maltesische Regierung das Problem in den Griff bekäme, wenn sie es wirklich wollte.“ Dass sich die Lage seit Jahren nicht bessere, „deutet stark darauf hin, dass die Behörden es nicht ernst meinen.“
„Freifahrtschein für Vogelwilderer“
Nicholas Barbara, der Leiter der Naturschutzabteilung des Vogelschutzverbandes BirdLife Malta, geht noch einen Schritt weiter. Er wirft der Regierung des Inselstaates vor, die illegale Verfolgung geschützter Vogelarten durch die Aufweichung der Jagdbestimmungen in den vergangenen Jahren absichtlich erleichtert zu haben. Der Jagd in jeglicher Form werde ein „Freibrief“ ausgestellt, um sich die Stimmen von Jägern und ihren Familien an den Wahlurnen zu sichern, ist er sich sicher. Dass man sich damit frontal gegen EU-Recht und die Bemühungen anderer Staaten um den Arten- und Biodiversitätsschutz stelle, werde mit einem Schulterzucken hingenommen.
Längere Jagdzeiten am Abend als Deckmantel für Wilderei?
Als Beispiel für die aktive Unterstützung der Vogelwilderei durch die Regierung nennt der Vogelschützer die Verlängerung der täglichen Jagdzeiten in die Nachmittags- und Abendstunden. Nach der Regierungsübernahme der jagdnahen Labour-Partei vor zehn Jahren wurde die bis dahin geltende Jagdruhezeit ab 15.00 Uhr auf 19.00 Uhr verschoben. Diese Maßnahme macht nach Einschätzung von Experten für die legale Jagd keinen Sinn, weil diese – etwa auf Arten wie Wachteln und Tauben – in den Stunden um die Morgendämmerung stattfindet.
Die neue Jagdzeit vom späteren Nachmittag bis zum Abend hingegen diene vor allem dazu, Jägern mit Waffen eine legale Präsenz in der Natur zu ermöglichen: just zu dem Zeitpunkt, an dem die streng geschützten Greifvögel auf der Insel zur Rast eintreffen. Dies mache nur Sinn, wenn damit der illegalen Jagd ein legaler Deckmantel verpasst werden solle, glaubt Barbara.
Ausdünnung der Kontrolleure
Die Ausweitung der Jagdzeiten verschärft auch das Problem der Kontrolle. Die dafür zuständige Umweltschutzeinheit (EPU) der maltesischen Polizei gilt schon seit langem als chronisch überlastet. Nach einer Übersicht der Jagdbehörde WBRU wurden in der Herbst-Jagdsaison 2022 immerhin die 18 EPU-Beamten durch 41 Beamte anderer Polizeibehörden, Ranger und der Armee unterstützt. So standen für die Kontrolle der Jagdaktivitäten 59 Einsatzkräfte zur Verfügung.
Kaum noch ein Polizist kontrolliert das Jagdgeschehen
In diesem Jahr wurde die Unterstützung abgezogen. Verblieben sind nur 15 EPU-Beamte, die im Schichtbetrieb arbeiten. „Das bedeutet, dass während der Hauptzeit des Vogelzugs höchstens eine oder zwei Polizeistreifen auf ganz Malta im Einsatz sind“, kritisieren die Vogelschützer. Auf der zu Malta gehörenden Schwesterinsel Gozo seien in diesem Jahr überhaupt keine Umweltstreifen zur Kontrolle der Jagd unterwegs gewesen. 2023 sei „eines der schlechtesten Jahre gewesen, was die Polizeipräsenz angeht“, sagt Barbara.
Schwächen die Behörden absichtlich ihre Patrouillen, um Vogelwilderern freie Bahn zu geben? Darüber hätten wir gern auch mit den Behörden gesprochen. Die maltesische Polizei lehnte aber jegliche Stellungnahme zu Zahl und Einsätzen ihrer Umweltstreifen ab. Eine von The Shift durchgeführte Analyse der Daten aus den amtlichen Jahresberichten der Regulierungsbehörde bestätigt aber die Angaben von Vogelschützer Barbara. Sie belegt einen stetigen Rückgang der durchschnittlichen Anzahl der zur Jagdaufsicht eingesetzten Beamten.
Wichtige Wählergruppe
Dass die Jägerlobby eine wichtige Rolle in der maltesischen Politik spielt, ist offensichtlich. Mit rund 10.000 lizenzierten Jägern weist Malta eine der höchsten Jägerdichten weltweit auf. Angesichts von nur rund 350.000 Wahlberechtigten stellen Jäger, Fallensteller und ihre Familien eine wichtige Gruppe dar. Viele der führenden Politiker sind selbst Jäger und Fallensteller – und bekennen sich stolz dazu. Entsprechend gut ist der einflussreiche Jagdverband FKNK auf die Regierung zu sprechen. Jäger und Fallensteller könnten die Natur in Malta in ihrer „schönsten Form genießen“, schwärmt FKNK-Geschäftsführer Lino Farrugia im Gespräch mit The Shift. Das sei ein „gottgegebenes Privileg“, auf das von Seiten der Umweltschutzorganisationen mit „Neid und Gehässigkeit“ gegenüber Jägern und Fallenstellern reagiert werde, beklagt der Jagdfunktionär.
Das Problem der illegalen Verfolgung geschützter Vögel auf Malta sei marginal. Das liege an der Aufklärungsarbeit seines Verbandes, aber auch an der „echten Hilfe der derzeitigen Regierung“ für die Jägerschaft, betont der Funktionär mit Blick auf die geltenden Vorschriften. Die Zahl der Jagdverstöße beziffert Farrugia auf „ein paar Dutzend“ pro Jahr.
„Die illegale Verfolgung in unserem Land ist unter Kontrolle, wie in jedem anderen europäischen Land auch“, beteuert Farrugia. Ein Angebot, die Jagdpraxis in der Natur zum Höhepunkt der Jagdsaison gemeinsam mit Reportern von The Shift zu beobachten, lehnte der Jagdverband indes ab.„
Regierungsbehörde räumt große Probleme mit illegaler Verfolgung geschützter Vögel ein
Anders als der Jagdverband bestreiten die Fachleute der für Abschussquoten und Jagdlizenzen zuständigen Regierungebehörde das Problem der illegalen Verfolgung nicht. Aus ihren Berichten geht hervor, dass ein erheblicher Teil der getöteten oder verletzt aufgefunden und an einen amtlichen Veterinär übergebenen Vögel eigentlich nicht hätte gejagt werden dürfen. In ihrem Bericht zur vergangenen Jagdsaison meldet die Behörde, dass während der Herbstjagdsaison 2022 rund 300 verletzte Wildvögel aus 61 verschiedenen Arten an den Amtstierarzt überwiesen worden seien. Jeder dritte dieser Vögel habe einer geschützten Art angehört und hätte nicht bejagt werden dürfen.
“Das Problem der illegalen Tötung geschützter Vögel ist nach wie vor offenkundig und verdient daher weiterhin die dringende Aufmerksamkeit aller Beteiligten auf nationaler Ebene, da dringend konzertierte Anstrengungen unternommen werden müssen, um diese Form der Kriminalität aktiv einzudämmen", heißt es in dem Regierungsdokument.
Die aktuelle Saison startet mit vielen getöteten Greifvögeln
Auch Mark Sultana, langjähriger Vogelschützer und Geschäftsführer von BirdLife Malta, zeichnet ein düsteres Bild der aktuellen Lage auf seiner Insel.
„Geschützte Vögel werden jeden Tag auf Malta getötet, und zwar kontinuierlich.“ Sultana stützt sich unter anderem auf die Daten von Vögeln aus internationalen Schutzprojekten, die mit GPS-Sendern überwacht werden und plötzlich vom Radar verschwinden, sobald sie über Malta fliegen. Erst kürzlich sei so der Abschuss eines Schwarzmilans und eines Wespenbussards nachgewiesen worden. Auch in den letzten Tagen und Wochen haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von BirdLife Malta den illegalen Abschuss zahlreicher weiterer Vögel dokumentiert. Auf der Liste allein der ersten Wochen der noch bis Januar laufenden Saison finden sich Flamingos, Wespenbussarde, Rohrweihen, Schmutzgeier, Zwergadler, Schlangenadler und Rötelfalken.
„Dunkelziffer eher bei 98 als bei 95 Prozent“
Daran, dass das Ausmaß der illegalen Verfolgung von Vögeln auf Malta noch viel größer ist als angenommen, hegen auch international erfahrene Naturschützer wenig Zweifel. „Weit über 90 Prozent der Wilderei-Verbrechen auf Malta werden nie bekannt“, ist sich Hirschfeld vom Komitee gegen den Vogelmord nach vielen Jahren Erfahrung auf Malta sicher. „Die Dunkelziffer liege eher bei 98 als bei 95 Prozent“, sagt der Vogelschützer.
Die langsamen Mühlen der EU
Die EU kennt die Probleme auf Malta seit langem und versucht, die Insel mit Strafandrohungen zur Einhaltung geltenden europäischen Rechts zu bewegen. Seit seinem Beitritt zur EU wurden gegen Malta bereits sechs verschiedene Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstößen gegen das EU-Recht in Bezug auf die Jagd und den Fallenfang eingeleitet – ohne, dass es zu einer grundlegenden Wende gekommen wäre.
Aktuell ist Malta mit zwei Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission konfrontiert. Das erste, das sich auf die maltesische Ausnahmeregelung für den Finkenfang zu sogenannten Forschungszwecken bezieht, wird derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt. Das zweite bezieht sich generell auf die Versäumnisse Maltas bei der Durchsetzung der Vorschriften zum Schutz von Wildvögeln. Hier könnte ein Verfahren vor dem EUGH schon bald folgen. Ein letztes Mahnschreiben hatte die Kommission im Februar dieses Jahres vor der Frühjahrsjagdsaison verschickt.
Malta erlaubt Jagd auf Turteltaube – trotz dramatischer Bestandseinbrüche
Besonders heftig tobt derzeit der Streit um die von Malta entgegen europäischem Recht erteilte Genehmigung für eine Bejagung von Turteltauben auf dem Frühjahrszug. Die Jagd im Frühling ist besonders verheerend für Populationen, weil dadurch Vögel unmittelbar vor der Reproduktion getötet werden. Die Turteltaube steht in vielen Ländern der EU vor dem Aussterben.
EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius bekräftigte bei einem Besuch in Malta im Juli seine Kritik am Vollzug des Vogelschutzes durch die Regierung und erklärte, die EU habe „keine andere Wahl“, als Strafmaßnahmen zu ergreifen, weil Malta sich beharrlich weigere, EU-Recht einzuhalten. Maltas Naturschutzpolitik konterkariere „die kollektiven und engagierten Bemühungen der Kommission, der Mitgliedstaaten und von Naturschutzverbänden, den Rückgang der Population zu stoppen und die Erholung der Art einzuleiten“, sagte Sinkevičius.
Bundesumweltministerium: illegale Verfolgung kann einen merklichen Einfluss auf die Population haben
Auch die Bundesregierung ist sich der Probleme mit Malta offenbar bewusst, hält sich mit offener Kritik aber zurück. „Auf dem Zug sind Vögel sowieso erhöhten natürlichen Gefahren ausgesetzt“, sagt der Sonderbeauftragte für das Nationale Artenhilfsprogramm im Bundesumweltministerium, Josef Tumbrinck, im Gespräch mit RiffReporter. „Wenn illegale Verfolgung hinzukommt, kann das einen merklichen zusätzlichen Einfluss auf die Population haben.“ Zugleich betont Tumbrinck, dass der Rückgang der Wiesenweihen-Bestände vor allem durch den Verlust von Lebensraum getrieben werde.
Um Verbesserungen auf den Zugwegen zu erreichen, setzt der Artenhilfs-Beauftragte auf internationale Abkommen zum Schutz ziehender Tierarten und zur Bewahrung der Biodiversität, zu dessen Einhaltung sich auch Malta als EU-Staat verpflichtet hat.
„Es gibt vielfältige Wege, wie man mit den betreffenden Regierungen ins Gespräch kommen und sie zu einer besseren Umsetzung von Abkommen und rechtlichen Vorschriften überzeugen kann“, sagt er, und diese würden auch genutzt.„ Wichtig sei neben Aufklärung und konsequenter Strafverfolgung insbesondere der Druck durch die öffentliche Meinung in den betroffenen Ländern selbst. “Wenn die illegale Jagd von der Mehrheit der Bevölkerung kritisiert wird, werden viele der illegal Jagenden vermutlich von ihrem blutigen Tun lassen."
Vogelschützer Schäffer gehen solche Appelle nicht weit genug. „Es ist unerträglich, dass Vögel, denen in einem europäischen Land geholfen wird, dann in einem anderen Land derselben EU illegal geschossen werden“, sagt er. „Besonders schlimm ist es bei Arten wie der Wiesenweihe, wo mit einem kolossalen Aufwand, insbesondere von Ehrenamtlichen, jeder einzelne Horst und jeder einzelne Vogel geschützt wird – und dann diese Vögel getötet werden. Das ist absolut unerträglich. Das muss aufhören. Es gibt keine Entschuldigung dafür.“