Eine Überlebenschance für den Waldrapp?

Die Ibis-Art gehört zu den seltensten Vögeln der Welt. Der Verhaltensbiologe Johannes Fritz und sein Team wollen das ändern.

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
15 Minuten
Ein Waldrapp auf einer Wiese.

Seit bald 20 Jahren lässt der österreichische Biologe Johannes Fritz mit einem Team von Experten und Vogelfreunden nichts unversucht, den Waldrapp (Geronticus eremita) nach 400 Jahren, in denen er vom Nordrand der Alpen verschwunden war, wieder heimisch zu machen. Mit ihren geheimnisvoll schillernden Federn und dem irokesenhaften Kopfschmuck sehen die Vögel aus, als seien sie direkt einem Märchen von Cornelia Funke entsprungen. Sie lebten ursprünglich an Felsvorsprüngen und später auch an Burgen und Schlössern als Kulturfolger, wie es auch die Weißstörche sind. Fritz will erreichen, dass dies zwischen Basel und Graz wieder selbstverständlich wird.

Historische Aufzeichnungen darüber, wo der Vogel früher nördlich der Alpen vorkam ist, sind spärlich. Nur aus Städten wie Graz existieren historische Darstellungen und, wie in Salzburg, auch Knochenfunde. Der Waldrapp ist in einem der ältesten und berühmtesten Bildbände über die heimische Tierwelt Europas abgebildet, dem „Vogelbuch“, das der Schweizer Naturforscher Conrad Gessner 1557 herausgegeben hat. Etwa seit dem Dreißigjährigen Kriegs sind die Tiere jedoch nördlich der Alpen ausgestorben. Zu den möglichen Ursachen zählt, dass sie in Hungerzeiten den Menschen als Nahrung dienten und dass eine Klimaabkühlung nördliche Gefilde für sie unbewohnbar machte.

Fritz hat in mühsamer Kleinarbeit und mit riesigem Engagement aus Zootieren eine Population von etwa 100 Tieren aufgebaut; sie stammen von Zootieren ab und leben halbwild. Er hat einem Teil von ihnen – ebenso medienwirksam wie aufwändig – mit Hilfe von Gleitseglern beigebracht, über die Alpen in ein neu definiertes Winterquartier zu fliegen.

Flug ins Ungewisse: Da die Waldrappe verlernt hatten, vom Nordrand der Alpen rechtzeitig gen Süden zu ziehen, versuchen die Mitarbeiter des Schutzprojekts, ihnen dies wieder beizubringen. Dabei kommen zur Begleitung motorisierte Gleitschirme zum Einsatz, deren Konstruktion an das Flugtempo der Vögel angepasst wurde  – Jäger, Stromleitungen, Füchse zählen dazu..
Flug ins Ungewisse: Da die Waldrappe verlernt hatten, vom Nordrand der Alpen rechtzeitig gen Süden zu ziehen, versuchen die Mitarbeiter des Schutzprojekts, ihnen dies wieder beizubringen. Dabei kommen zur Begleitung motorisierte Gleitschirme zum Einsatz, deren Konstruktion an das Flugtempo der Vögel angepasst wurde. Unterwegs lauern aber viele Gefahren – Jäger, Stromleitungen, Füchse zählen dazu.

Doch wie fragil diese Bemühungen sind, zeigte sich in diesem Sommer.

Ein schmerzlicher Verlust

Das Unglück geschah am 21. Juli. An diesem Tag setzten sich vier Waldrappe aus der Brutkolonie im oberbayerischen Burghausen gleichzeitig auf einen Mittelspannungsmast im Gemeindegebiet von Hochburg-Ach in Oberösterreich. Anders als in Deutschland gibt es in Österreich noch keine staatliche Pflicht für Stromnetzbetreiber, ihre Anlagen für Vögel sicher zu machen. Und so hatte sich auch die zuständige Betreiberfirma das Geld dafür bisher gespart.

Es passierte, was passieren musste, wenn große, gesellige Vögel ungesicherte Strommasten zur Rast nutzen: Ein Kurzschluss entstand, und Sekunden später lagen vier tote Vögel auf dem Boden unter dem Mast. Noch schlimmer: Am nächsten Tag wiederholte sich das Unglück, ein weiterer Vogel starb. „Fünf tote Waldrappe sind für uns ein schmerzlicher Verlust", sagt Oliver Habel, der Projektleiter am Standort Burghausen.

Fünf klingt wie eine kleine Zahl. Aber sie fällt ins Gewicht bei einer Vogelart, deren Vorkommen nicht nur in Europa erloschen ist, sondern die weltweit zu den gefährdetsten zählt. Waldrappe sind in freier Wildbahn vom Aussterben bedroht. Früher waren sie in Nordafrika, Kleinasien, Arabien und Teilen Europas weit verbreitet. Die alten Ägypter verehrten sie als Begleiter ins Totenreich und verewigten sie in Hieroglyphen. Heute ist der weltweite Zoobestand mit 1600 Vögeln deutlich größer als der in freier Natur.

Ein toter Waldrapp liegt auf einer Wiese.
Tragischer Tod: Durch einen Kurzschluss auf einem ungesicherten Mast starben am 21. Juli 2018 vier Waldrappe, tags darauf kam ein weiterer Vogel ums Leben. In Österreich ist es nicht vorgeschrieben, Strommasten zu sichern.
Portrait von Johannes Fritz
Schon von Kindesbeinen an wollte Johannes Fritz Verhaltensbiologe werden. Er verwirklichte seinen Traum als Wissenschaftler an der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle. Dort begegneten ihm zum ersten Mal die Vögel, denen er seither sein Leben widmet.
Eine Person fliegt mit einem Motorschirm. Eine Gruppe Vögel fliegt hinterher.
Innovativer Artenschutz: Seit 2004 haben Johannes Fritz und sein Team auf zahlreichen Flügen Waldrappe bei der Migration ins Winterquartier begleitet. In diesen Tagen erreichten erstmals die Tiere der neuen Brutkolonie in Überlingen das vom WWF betreute Naturschutzgebiet in der Toskana.
Künstliche Brutwand für den Waldrapp.
Fred-Feuerstein-Ästhetik: Künstliche Brutwände sollen in Kuchl den Waldrappen die Fortpflanzung erleichtern. Kritiker wenden ein, das Vorhaben sei zu sehr auf Interventionen, künstliche Hilfen und Technologie ausgerichtet.
Foto der Verhaltensbiologin Daniela Trobe
Die Verhaltensbiologin Daniela Trobe widmet ihr Leben voll und ganz der Wiederansiedlung des Waldrapps. Am Standort Kuchl ist sie dafür zuständig, dass die Tiere ihre Jungen aufziehen. Herbst und Winter verbringt sie mit den Tieren in der Toskana.
Portrait von Oliver Habel
Oliver Habel leitet die Bemühungen, im oberbayerischen Burghausen die Brutkolonie aufzubauen. Den Tod von fünf Waldrappen durch Stromschlag empfand er als „schmerzlichen Verlust“. Er glaubt aber, dass nun die Stromnetzbetreiber endlich handeln und die Masten gegen solche Unfälle sichern werden.
Ein Waldrapp im Flug. Im Hintergrund erkennt man eine Burganlage. Unter dem Waldrapp befindet sich ein großes Netz.
In Burghausen erstreckt sich die längste Burganlage der Welt. In einem abgelegenen Winkel sind die Waldrappe zuhause, die wie Weißstörche als Kulturfolger leben. Hinter einem Netz können die Tiere Schutz vor Feinden finden.
Ein Waldrapp.
Die alten Ägypter verehrten den Waldrapp als Totenvogel, der Menschen ins Jenseits begleitet, und verewigten ihn in Hieroglyphen.