Disorazol Z1: Magdeburger Forscher weckt Hoffnung auf neues Krebsmedikament

Das weltweit verbreitete Bakterium Sorangium cellulosum wurde erst spät von der Wissenschaft entdeckt. Das natürliche Lebewesen ist eine kreative Chemiefabrik für Substanzen mit besonderen Eigenschaften. Nun ist die Synthese eines seiner komplizierten Wirkstoffe erstmals im Labor gelungen.

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Ein Mann im Anzug sitzt an seinem Schreibtisch und zeigt ein Modell des Moleküls Disorazol Z1, das zum Medikament gegen Krebs werden könnte.

Die Geschichte des Kampfs gegen Krebs ist voll von großen Schlagzeilen und unerfüllten Ankündigungen. Vor wenigen Tagen, Anfang April, lieferte die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg eine weitere Episode und verkündete einen wissenschaftlichen Durchbruch. Der Chemiker Dieter Schinzer hat einen Naturstoff im Labor hergestellt, der ein Kandidat für eine Krebstherapie der Zukunft sein könnte. Die Substanz heißt Disorazol Z1 und ist möglicherweise einer der aggressivsten Wirkstoffe der Welt, um Zellteilung zu verhindern. Das haben erste Tests ergeben. Wenn sich Krebszellen nicht mehr teilen, kann ein Tumor nicht mehr wachsen, der Krebs wäre besiegt.

Wirkstoff gegen Krebs muss erst Tests durchlaufen

Diese Aussicht hat einige Medien zu spektakulären Schlagzeilen getrieben. Zu Unrecht. Krebs ist durch den Erfolg im Labor natürlich nicht besiegt. Disorazol Z1 muss wie alle anderen Wirkstoffe zunächst eine lange Phase von Tests durchlaufen. Die beginnt mit Experimenten an Krebszellen und gesunden Zellen im Labor, führt dann über Tierversuche zu den ersten klinischen Studien, bei denen die Verträglichkeit des Mittels untersucht würde. Das kann zehn Jahre dauern und länger. Hinzu kommt: In der derzeitigen Form kommt der Wirkstoff für eine Therapie nicht in Betracht. Die Verbindung ist so toxisch, dass sie das Wachstum aller Zellen zerstört – und damit auch gesunden Zellen extrem schadet.

Wie Disorazol zum Medikament werden könnte

Disorazol Z1 könnte nur dann als Krebsmittel verwendet werden, wenn es den Forschenden gelingen würde, diese gefährliche Wirkung zu maskieren, bis das Molekül an den Tumorzellen haftet, in sie eindringt und dort seine Wirkung entfaltet. Medikamente, die nach diesem Prinzip den Krebs bekämpfen, heißen Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADC) und sind bereits in der Krebstherapie im Einsatz. Die hohe Agressivität von Disorazol Z1 könnte die ADC-Medikamente verbessern, aber niemand weiß, ob der Ansatz sich auf dieses Molekül übertragen lässt. Und es wird sicher noch einige Jahre dauern, bis eine passende Verschleierung gefunden, angebaut und getestet wurde. Das bestätigt Dieter Schinzer: „Mich ärgert, dass das so gehypt wird“, sagt er in einem Interview. „Wir haben von einem Durchbruch in der Chemie, nicht in der Medizin gesprochen.“

Bodenbakterium produziert außergewöhnliche aktive Gifte

Trotzdem ist Disorazol Z1 ein spektakuläres Molekül mit einer faszinierenden Geschichte. Die gefährliche Substanz stammt aus einem unauffälligen Bodenbakterium, das auf der ganzen Welt verbreitet ist: Sorangium cellulosum. Es gehört zu den Myxobakterien und lebt in organischen Abfällen wie Ziegenmist. Die meisten WissenschaftlerInnen mögen diese Bakterienart nicht, denn sie lässt sich im Labor nur schwer kultivieren. Eine Zellteilung kann bis zu 16 Stunden dauern, da braucht es viel Geduld, bis die Forschenden größere Mengen herstellen können. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum diese Art außergewöhnliche Gifte produziert: Weil sie sich relativ langsam vermehrt, muss sie sich schützen, damit sie überlebt.

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