Wenn es beim Arzt um wichtige Entscheidungen geht, ist mehr als Empathie gefragt

Ärzt:innen schauen lieber in den Computer als ins Gesicht ihrer Patient:innen – so das Klischee. Ausgerechnet eine Software soll Gespräche im Sprechzimmer verbessern. Kann das gelingen?

vom Recherche-Kollektiv Plan G:
11 Minuten
Ein junges Paar hört einer jungen Ärztin zu, die auf ein Tablet zeigt, das sie in ihrer Hand hält. Sie sitzen in einem hellen räum vor einer Fensterfront aus Milchglas

Gespräche im Sprechzimmer haben es häufig in sich: Patient:innen stehen oft vor schwierigen Entscheidungen, wenn es um ihre Gesundheit geht. Sollte ich eine Tablette gegen meinen Bluthochdruck nehmen, oder bringt es mehr, wenn ich meinen Lebensstil ändere? Möchte ich meinen Bandscheibenvorfall operieren lassen, oder soll ich es erst noch mal mit Physiotherapie versuchen? Solche und ähnliche Fragen sind nicht immer leicht zu beantworten. Was für eine Person besser ist, hängt auch von ihren Lebensumständen, Wünschen und Bedürfnissen ab. Viele Patient:innen wünschen sich in diesen Situationen vor allem einfühlsame Gesprächspartner:innen. Doch mit Empathie allein kommt man hier nicht weiter.

Der Hausarzt und ehemalige Dozent für Allgemeinmedizin an der Universität Marburg, Norbert Donner-Banzhoff, hat eine Software mitentwickelt, die Ärzt:innen im Gespräch mit ihren Patient:innen solche Gesundheitsentscheidungen erleichtert. Im Interview mit RiffReporter erklärt der Mediziner, was die Software kann, und warum sie das Vertrauensverhältnis zwischen Patient:innen und Ärzt:innen verbessert.

Herr Donner-Banzhoff, Sie sagen, die arriba-Software unterstützt das Gespräch zwischen Patient:innen und ihren Ärzt:innen. Wie kann das sein? Müssen Ärzt:innen damit nicht noch mehr auf ihren Computer-Bildschirm schauen als sowieso schon?

Es stimmt: Ärzte schauen ihre Patienten nicht an, sondern sie gucken die ganze Zeit in den Computer. Das ist sogar nachgewiesenermaßen so. Was dabei aber gerne vergessen wird: Über die Patientin, die jetzt vor ihr sitzt, hat die Ärztin sehr viel wichtiges Wissen in ihrem Computer. Das ist Wissen, auf das auch ihre Patientin großen Wert legt. Wenn die Ärztin zum Beispiel das Medikament Nummer sieben verordnen will, muss sie dafür ja wissen, ob sich das mit den Medikamenten Nummer eins bis sechs verträgt. Von daher ist man als Arzt oder Ärztin bei einem Gespräch in einer widersprüchlichen und auch schwierigen Situation, in der sehr viele Bälle gleichzeitig jongliert werden müssen. Aber Sie haben natürlich recht: Wir müssen für mehr Augen- und weniger Computer-Kontakt sorgen.

Viele Patient:innen wünschen sich aber die volle Aufmerksamkeit ihrer Ärztin. Und viele fühlen sich im Sprechzimmer nicht richtig wahrgenommen.

In meinem Alter hat man den Vorteil, dass man auch auf selbst erlebte Geschichte zurückblicken kann. Und da muss ich sagen: Wir haben klare Fortschritte gemacht. Ärztinnen und Ärzte reden heute anders und sie reden besser mit ihren Patienten als vor vierzig Jahren. Damals musste ich noch mit meinem Vorgesetzten im Krankenhaus diskutieren, ob ich Patienten sagen darf, dass sie Krebs haben. Es gibt ganz objektiv Fortschritte darin, wie Ärztinnen mit ihren Patienten sprechen. Das Thema wird auch im Studium viel intensiver behandelt.

Viele Patient:innen wünschen sich mehr Einfühlungsvermögen von Ärzt:innen. Wie wichtig ist Empathie im Sprechzimmer?

Freundliche Umgangsformen und Empathe sind sehr wichtig, sozusagen die Grundlage. Aber für Gesundheitsentscheidungen ist noch mehr nötig, unter anderem Wissen einzubeziehen. Dabei spielen Zahlen eine große Rolle. Beispiel: die Früherkennung von Krebs. Wie viele haben denn tatsächlich etwas von der Mammografie? Oder anderes Beispiel: Wenn ich dieses Medikament nehme zur Verhütung von Herzinfarkten und Schlaganfällen, vielleicht bis an das Ende meines Lebens, was habe ich denn tatsächlich davon? Also wie viele Herzinfarkte und Schlaganfälle kann ich damit verhüten? Das sind ganz schwierige Fragen, die nicht aus dem Bauch heraus beantwortet werden dürfen.

Screenshot der Software arriba, die das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung mithilfe von 100 gelben und roten Smileys anzeigt
Smileys helfen, das eigene Risiko besser zu verstehen
Screenshot der Software arriba. 100 gelbe und rote Smileys zeigen, welchen Effekt einzelne Maßnahmen auf das Herz-Kreislauf-Erkrankungsrisiko haben
Wie lässt sich das eigene Risiko senken? Die Software zeigt die Effekte ebenfalls durch Smileys an