Mitmachprojekt: Unter Jaguaren, Tapiren und Ameisenbären – vom Home-Office aus

Zoologie: Dank Wildkameras bringen Bürgerwissenschaftlerïnnen vom deutschen Schreibtisch aus ökologische Forschung in Bolivien voran. Dabei wird auch der Verlust von Lebensräumen vieler wichtiger Tierarten sichtbar.

vom Recherche-Kollektiv Tierreporter:
4 Minuten
Eine große Raubkatze, ein Jaguar mit beige-gelbem Fell, das von einem Muster aus braunen Ringflecken bedeckt ist, tritt aus einem dunklem Dickicht.

Ein Felsplateau in Bolivien. Gerade noch hat sich der Jaguar am Boden geräkelt. Jetzt steht er und dreht langsam den Kopf. Der Blick trifft die Kamera. Ohne Eile geht er direkt darauf zu. Schließlich groß im Bild: ein Ohr und Schnurrhaare, die quer über dem Bildausschnitt liegen. Kurze Dunkelheit. Die Raubkatze muss die Linse komplett verdeckt haben. Dann blickt ein Auge formatfüllend in die Linse. Und zu guter Letzt tritt der Jaguar nach links ab.

Die Aufnahmen stammen von einer Wildkamera. Es ist eine von rund dreißig, die der Zoologe Martin Jansen zusammen mit einem Team von Forscherïnnen der Frankfurter Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung und einer bolivianischen Forschungsstation betreut. Martin Jansen hat die Station 2004 mitgegründet: Zunächst hatte er vor allem mit Audiorecordern Frösche automatisch belauscht. Unter anderem wurden damit neun neue Froscharten entdeckt. Bei einer Exkursion mit Studentïnnen hatte er später dann auch Wildkameras dabei zum Ausprobieren. Er hatte nicht erwartet, dass das viel bringt, erzählt er heute.

Ein Königsgeier, ein Vogel mit weißem Rumpf, grauem Hals und Kopf, einem orangen Fleck auf dem Kopf und orange farbenem Schnabel steht auf einem Felssplateau vor Felsblöcken und blickt an linken untern Bildrand direkt zum Betrachter.
Manche Bilder aus den Kamerafallen in Bolivien erinnern an Selfies, hier ein Königsgeier.

Jaguare sorgten für große Überraschung

Doch schon am ersten Tag lieferte eine Kamera das Bild eines Jaguars. Trotz jahrelanger Forschung in dem Gebiet hatte der Zoologe bis dahin noch nie eins dieser schönen Tiere zu Gesicht bekommen.

Die überraschenden Bilder der Großkatze gaben den Ausschlag: Seit 2017 setzen die Forscherïnnen Wildkameras in größerem Umfang ein. Mitarbeiterïnnen in Bolivien lesen sie regelmäßig aus und schicken Videos und Fotos nach Frankfurt.

Da tauchen Jaguare jetzt öfters auf, sogar mit Jungtieren. Tapire, Gürteltiere und Kapuzineräffchen lassen sich ebenso blicken wie Tejus, eine Echsenart und Capybaras, die aussehen wie riesige Meerschweinchen mit langen Beinen; dazu kommen u. a. Ozelot und Puma, verschiedene Arten von Pekaris, also Wildschweine, sowie Königsgeier. 25 große Wirbeltiere, vor allem Säugetiere, werden regelmäßig erfasst.

Also fast alles, was in Südamerika Rang und Namen hat, kann man dort auf den Kamerafallen sehen.

Martin Jansen

Bilderflut aus dem Trockenwald

Die Kameras hängen in einem Trockenwald, einem Wald also mit mehr als zwei Monaten Trockenzeit im Jahr, in der die Bäume ihre Blätter abwerfen. Dieser liegt in der Region Chiquitania im Osten Boliviens. Er beherbergt eine große Artenvielfalt, die Martin Jansen seit Jahrzehnten erforscht.

Aber der Zoologe ist schon länger nicht mehr persönlich dort gewesen. Denn mit den Wildkameras kann er seine Arbeit jetzt auch von Frankfurt aus erledigen.

Ein Tapir mit langer Nase wie ein Rüssel und kurzem Schwarz-grauen Fell tritt aus einem dunklen Dickicht.
Tapire gehören zu den Ökosystem-Ingenieuren. Sie schaffen Lebensräume für viele andere Arten.

Allerdings kommen dort so viele Fotos und Filme an, dass er und sein Team Hilfe bei der Auswertung benötigen – viel Hilfe. Die bekommen sie von Freiwilligen in dem Mitmachprojekt WildLIVE. Das Senckenberg-Institut hat diese Citizen-Science- oder Bürgerwissenschaftsaktion 2020 ins Leben gerufen.

Freiwillige helfen bei Erforschung der Biodiversität

„Strom, Laptop und WLAN ist alles, was man braucht. Man konnte sich anmelden und gleich loslegen“, sagt Wolfgang Dick, der seit 2021 ehrenamtlich bei WildLIVE mitwirkt. Er hatte ein „Engagement gesucht, das man zeitlich flexibel bewältigen kann“. Außerdem sei ihm geistige Inanspruchnahme wichtig, erzählt der ehemalige Personalvermittler.

750 Freiwillige beteiligen sich Ende November 2022 an dem Projekt.

Sie bestimmen Tiere auf Fotos und Filmen. „Eine Software spielt uns Aufnahmen nach dem Zufallsprinzip ein“, erläutert Dick.

Ein Ameisenbär mit langem schwarzgrauem Fell und langer Schnauze tritt aus einem Dickicht grüner Büsche.
Ein Ameisenbär ist selbst für die Bürgerforscherïnnen von WildLIVE ein seltener Anblick.
Nahaufnahme eines Sechsbindengürteltieres vor dunklem Hintergrund.
Zur Fauna Boliviens gehört auch das Sechsbinden-Gürteltier (Symbolbild).
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