Stühlerücken beim NABU
Einer der weltweit größten Verbände im ehrenamtlichen Naturschutz steht vor einem Führungswechsel. Olaf Tschimpke muss gehen. Ein alter Bekannter soll neuer Präsident werden.
Unermüdlich eilt Olaf Tschimpke dieser Tage von Termin zu Termin. Soeben hat er sich mit IG-Metall-Chef Jörg Hoffmann getroffen, erzählt er am vergangenen Freitag – es ist noch früher Vormittag. Natürlich wird er auch bei der großen Demo der mächtigsten europäischen Industriegewerkschaft am kommenden Mittwoch vor dem Brandenburger Tor sprechen. Aber nicht nur mit Arbeitnehmervertretern ist Tschimpke im Gespräch. Auch die Bosse vernachlässigt er nicht, wenn es darum geht, einen breiten gesellschaftlichen Konsens für einen ökologischen Wandel mit mehr Natur- und Umweltschutz zu schmieden. „Ich setze mich auch mit den VW-Chefs hin und diskutiere die Zukunft der Automobilbranche.“
Und natürlich ist Tschimpke im Gespräch mit den Wichtigen der Politik: „Die Union kämpft wieder darum, umweltpolitischen Anschluss zu finden“, berichtet er als Fazit aus einem Treffen mit Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Und selbstverständlich Angela Merkel. „Das Kompetenzzentrum Naturschutz und Erneuerbare Energien ist eine persönliche Idee von mir gewesen, die ich der Kanzlerin in einem persönlichen Gespräch vorgetragen habe und das es heute gibt“, sagt er nicht ohne Stolz.
Der 63-Jährige NABU-Chef sprüht dieser Tage geradezu vor Energie und Engagement. Wie am Freitag, als er fast zwei Stunden lang vor der Presse detailliert und faktensicher auch die kleineren Verästelungen der Energiewende – von der steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung bis zum Moorschutz – analysiert.
Die sichtbar auflebende gesellschaftliche Stimmung pro Naturschutz euphorisiert Tschimpke regelrecht: Das erfolgreiche bayerische Volksbegehren Artenschutz, der aufrüttelnde IPBES-Expertenbericht zum Schwund der Artenvielfalt und die freitäglichen Proteste von Schülerinnen und Schülern: Umweltschutz ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen: „Ich bin sicher, wir haben heute eine Offenheit für vernünftige nachhaltige Entwicklung“, sagt Tschimpke. Jetzt gehe es darum, das ganze in konkrete Politik umzumünzen. „Wir müssen auch mal politische Signale setzen“, fordert er, „wir müssen endlich mal was auf die Straße bringen.“
Tschimpke räumt den „Fahrersitz“ nicht freiwillig
Wenn es dann ab dem Jahresende darum geht, im Vorfeld der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und bei internationalen Großereignissen wie der UN-Biodiversitätskonferenz in China konkrete Politikänderungen „auf die Straße zu bringen“ wird im Fahrersitz des weltweit größten Naturschutzverbandes allerdings jemand anderes sitzen als Tschimpke. Denn trotz Mitgliederwachstum, solider Finanzlage und gesellschaftlichen Rückenwinds durch „Fridays for Future“: Der seit 2003 amtierende NABU-Präsident hat an der Spitze des Verbandes keine Zukunft. Nicht ganz freiwillig, sondern vor allem auf Betreiben der einflussreichen Landesverbände verzichtet der Niedersachse bei der anstehenden Bundesvertreterversammlung im Herbst auf eine neuerliche Kandidatur, wie die Flugbegleiter erfuhren. Tschimpke bestätigt im Gespräch mit uns seinen Verzicht, will sich aber nicht eingehender dazu äußern.
Alles sei abgestimmt mit den Landesverbänden, sagt er etwas unwillig auf den Machtwechsel an der Spitze des Verbandes mit 720.000 Mitgliedern und Förderern angesprochen. „Wir haben da intern anständig diskutiert. Ich selber habe überlegt, was ist mein persönlicher Weg und der bessere Weg für den NABU. Es geht ja immer darum, einen vernünftigen Weg zu finden.“ „Das ist auch in Ordnung so“, schiebt er hinterher. Sein Minenspiel will dazu nicht recht passen. Tschimpke wirkt noch deutlich angefasst vom bevorstehenden Ende seiner Präsidentschaft nach 16 Jahren. Wenig verwunderlich, denn er hatte fest vor, noch einmal anzutreten, wenigstens für zwei Jahre. Dann wäre er 65.
„Er hat sich mit Händen und Füßen gegen den Verzicht gewehrt“, sagt ein stellvertretender Landesvorsitzender, „Der Olaf hätte freiwillig niemals verzichtet“, beschreibt es der Vorsitzende eines der größeren Landesverbände. Erst die – je nach Sichtweise – Ankündigung oder Androhung einer möglichen Kampfkandidatur und die Einigung auf eine andere Position innerhalb des Verbandes für Tschimpke hätten den Weg für den Wechsel an der Verbandsspitze freigemacht, berichten mehrere Teilnehmer der internen Gespräche übereinstimmend.
Machtwechsel sollte erst im Herbst öffentlich werden
Bundesgeschäftsführer Leif Miller bestätigt, dass es im Verband Widerstand gegen eine neuerliche Kandidatur Tschimpkes gab. Zugleich weist er die Darstellung einiger Insider aber zurück, Tschimpke habe nur aus Furcht vor einer Niederlage im Falle einer Kampfkandidatur eingelenkt und auf eine neuerliche Kandidatur verzichtet. "Er hätte gerne noch bis zum Erreichen des Rentenalters die Position des Präsidenten gehabt. Aber da hat der Verband gesagt: Nee, wir würden aber schon jetzt ganz gerne jemand (neues) haben", sagt Miller im Gespräch mit den Flugbegleitern. Natürlich habe es im Vorfeld der entscheidenden Sitzung zwischen Landesverbänden und dem Präsidium auch Debatten gegeben. Dass es in einem Verband auch mal Streit gebe, sei normal und Teil eines demokratischen Prozesses, zu dem er sich nicht weiter äußere. Wichtig sei, dass alle Beschlüsse auf dem Weg zu einer neuen Spitze einstimmig gefallen seien, betont er.
Die schließlich getroffene Vereinbarung sieht so aus: Tschimpke verzichtet auf eine neuerliche Kandidatur und wechselt stattdessen mit gleichen Bezügen von rund 150.000 Euro an die Spitze der „NABU International Naturschutzstiftung“, die sich um die zahlreichen weltweiten Kooperationsprojekte des Verbandes kümmert. Der bisherige Stiftungsvorstand Thomas Tennhardt wird in dieser Funktion abgelöst, bleibt aber hauptamtlicher Leiter des Fachbereichs Internationales.
Eigentlich hätte die Rochade an der Spitze des größten deutschen Naturschutzverbandes noch ein paar Monate bis kurz vor der Neuwahl im November aus der Öffentlichkeit herausgehalten werden sollen. Die Flugbegleiter sind das erste Medium, das darüber berichtet. „Wir wollen keine ‚lame duck’ an der Verbandsspitze“, begründet ein Insider das bisherige Stillschweigen. Die Entscheidung für den Wechsel an der Spitze fiel bereits im zeitigen Frühjahr. Man habe auch eine gesichtswahrende Lösung für den langjährigen Chef finden wollen, was gelungen sei. Denn gegenüber Tschimpke gibt es kein böses Blut.
Eine erfolgreiche Arbeit über viele Jahre hinweg attestieren ihm einhellig alle NABU-Leute, mit denen wir gesprochen haben – sowohl in den Landesverbänden wie auf Bundesebene. Und die Bilanz des Präsidenten lässt sich sehen: Eine Verdoppelung der Mitgliederzahlen und eine Steigerung des Etats von 20 auf 50 Millionen Euro. „Es gab keinen erfolgreicheren Präsidenten in der Geschichte des NABU“, sagt Miller. „Niemand stellt in Frage, dass der NABU unter seiner Leitung einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht hat“, sagt auch der niedersächsische Landesvorsitzende Holger Buschmann. Aber warum muss Tschimpke, der 2003 selbst in einer Kampfabstimmung erstmals an die Spitze des NABU kam, dann abtreten?
Warum muss Tschimpke gehen? „Ein bisschen wie bei Merkel“
„Nach einer langen Amtszeit lässt die Kraft allerdings nach, so dass ein neuer Elan notwendig ist“, sagt Buschmann. Deutlicher wird ein anderer NABU-Offizieller: „Es ist ein bisschen wie bei Angela Merkel nach so vielen Jahren.“
Hört man sich in dem Verband um, wird besonders häufig auf mangelnde Impulse durch die Spitze hingewiesen. „In den Landesverbänden sank zuletzt die Zufriedenheit mit der Arbeit des Bundesverbands“, sagt etwa Buschmann. Zwar werde anerkannt, dass der NABU finanziell gut dastehe und in dieser Hinsicht gute Arbeit geleistet worden sei. „Die Einbindung der unterschiedlichen Ebenen wie die Landesverbände und die Basis vor Ort ist dagegen ausbaufähig.“ Es müsse stärker gelebt werden, dass der NABU seine große Stärke dadurch habe, dass er als Verband sich auf so viele und so engagierte Ehrenamtliche stützen könne wie kein anderer. „Dem muss unbedingt Rechnung getragen werden“, fordert Buschmann. Es muss ganz klar sein, wie wichtig die Basis und das Ehrenamt für den NABU sind, formuliert er seine Erwartungen an den neuen Präsidenten.
So oder ähnlich äußern sich viele weitere Nabu-Vertreter.
Zuletzt 2015 in Leipzig mit einem Martin-Schulz-Ergebnis von 100 Prozent wiedergewählt, wuchs verbandsintern die Kritik am Vorsitzenden seitdem an. Bei der letzten Bundesvertreterversammlung im vergangenen Jahr wurde dann auch offen Unmut geäußert. Die Kritik, vor allen aus den Ländern: Unter Tschimpke sei der NABU zu zahm gegenüber der Bundesregierung. Zu zentralistisch und zu ideenlos sei der Verband von der Spitze her. Die Finanzausstattung der Landesverbände sei zu schlecht und vor allem: Es fehle eine Zukunftsstrategie in Zeiten, da Menschen auf der einen Seite immer naturbewusster werden, zugleich aber wenig Zeit und Lust auf Verbandshuberei haben und sich lieber in konkreten Projekten engagieren. Auch werde die Bedeutung der Arbeit der vielen Ehrenamtler nicht ausreichend gewürdigt.
Wer wird neuer NABU-Präsident?
Die wichtigste Frage lautet nun: Wer soll Tschimpke folgen? Wie viele Bewerberinnen und Bewerber es für den Top-Job im deutschen Verbandsnaturschutz bei der Bundesvertreterversammlung im November in Berlin geben wird, ist naturgemäß offen. Kandidaturen können bis kurz vor der Wahl angemeldet werden. Die einflussreichen Landesverbände und der Rest der Verbandsspitze haben sich aber auf ihren Wunschnachfolger verständigt. Es ist ein alter Bekannter im NABU: Jörg-Andreas Krüger, Jahrgang 1968, derzeit in der Geschäftsleitung des WWF Deutschland zuständig für die Klima- Energie- und Landwirtschaftspolitik. Krüger hatte zuvor viele Jahre lang beim Nabu gearbeitet, dort sogar seinen Zivildienst absolviert. Vor seinem Wechsel zum WWF war er beim NABU bis 2013 Leiter des wichtigen Fachbereichs für Naturschutz und Umweltpolitik. Auch den Posten des stellvertretenden Bundesgeschäftsführers hatte er schon inne. Krüger kennt den NABU also sehr gut auch von Innen.
„Der NABU ist mein Verband“, sagt er mit Blick darauf, dass er schon seit Kindesbeinen dem Verband angehört. „Jörg-Andreas hat die Symphatie der Landesverbände und er hat die Symphatie des Bundesverbandes, aber es ist ein demokratischer Prozess“, sagt auch Miller. „Er ist der geborene Kandidat für das Präsidentenamt nach Olaf Tschimpke.“
Kandidat Krüger: Ich gehe auch ins Risiko
Krüger bestätigt im Gespräch mit den Flugbegleitern seine Kandidatur. „Ich habe mich entschieden, zu kandidieren.“ Er stelle sich der Wahl, auch, wenn das Ergebnis offen sei. „Es ist eine echte Wahl, ich gehe da auch ins Risiko“, sagt er. Denn zu Ende August wird er seinen Posten beim WWF aufgeben, um etwas zeitlichen Abstand zwischen die Arbeit in zwei Verbänden zu bringen und sich ganz auf seine Kandidatur vorzubereiten. Was reizt ihn an dem Spitzenposten? „Ich habe den Eindruck, dass in Deutschland eine neue Umweltbewegung Fahrt aufnimmt, Umwelt- und Naturschutz gewinnen gerade einen ganz neuen Stellenwert.“ In dieser Situation habe der NABU eine Schlüsselstellung als Verband mit sehr vielen ehrenamtlich engagierten Menschen, wenn es darum gehe, einen Dialog auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu führen. „Das ist die Stärke des NABU und es ist für mich spannend, mich dabei zu engagieren.“ Und verbandsintern? „Innerhalb des NABU stellen sich Fragen wie: Wie kann es gelingen, das Ehrenamt auf Dauer aktiv zu halten.“
In der Berliner Bundesgeschäftsstelle blickt man hoffnungsvoll auf den neuen alten Chef, sollte er es denn werden. „Mit dem Neuen wird eine neue Zeit anbrechen, auf die wir uns freuen: Ein Präsident, der in den Themen ist und vielleicht auch ein Geschäftsführer, der in den Themen ist“, sagt einer.
Welche inhaltlichen Themen sieht Krüger als besonders wichtig an? Den Kampf für eine ökologischere Landwirtschaft nennt er als akute Priorität und die Energiewende: „Wie schaffen wir es, den Ausbau der Erneuerbaren Energien in einer Weise zu machen, die nicht die vielen schlechten Seiten hat, die wir zur genüge kennen?“
Energiewende heißt auch und vor allem Windkraft. Wie steht Krüger zum von vielen als unökologisch und rücksichtslos empfundenen forcierten Ausbau des Windstroms?
„So nicht – das muss die Botschaft ganz klar sein.“ Es gelte, alle Formen der Landnutzung mitzubetrachten. „Wir haben Landschaften, die sind vom Belastungsniveau her als Ökosystem zu 120, 150 Prozent belastet.“ Und beständig kämen neue Belastungen hinzu: “So kann das nicht funktionieren. Biodiversität zu schützen, heißt eben auch, sie zuhause zu schützen, selbst wenn wir hierzulande nicht so eine weltweit bedeutsame Artenvielfalt haben wie es sie in Costa Rica oder Brasilien gibt. Aber wir haben eine Verantwortung, die müssen wir auch in Deutschland leben.“
Einen Schlüssel sieht der gelernte Landschaftsarchitekt in einer besseren Planung auf regionaler Ebene. Es bedürfe eines neuen Anlaufs, nachdem in den letzten Jahrzehnten „wahnsinnig viel Porzellan zerschlagen worden ist“. Die bevorstehende erste große Welle des Auslaufens der Förderung für alte Windräder und das anstehende Repowering vieler Anlagen bieten nach Krügers Überzeugung einen guten Hebel: „Das muss man nutzen, um die schlimmsten Standorte einfach nicht mehr existieren zu lassen.“ Hier klingt der mutmaßliche neue Nabu-Präsident ganz wie der alte: „Unser Petitum ist anständige Regionalplanung. Wenn man Chancen hat, im Zuge des Repowerings etwas zu korrigieren, sollte man sie nutzen.“ Das sagte Olaf Tschimpke am vergangenen Freitag.