Mein Freund, der Gletscher

Konservative Politiker entdecken den Klimaschutz – ernsthaft? Ein Interview mit dem Zeithistoriker Andreas Rödder

11 Minuten
Markus Söder, CSU-Vorsitzender und bayerischer Ministerpräsident, steht rechts im Bild am Geländer eines Balkons und blickt in die Kamera. Hinter und unter ihm ist das Zugspitzplateau mit spärlichem Eis zu sehen. Aufgenommen bei einer Klimatour Anfang September auf der Zugspitze.

Foto oben: Markus Söder, CSU-Vorsitzender und bayerischer Ministerpräsident, besucht bei einer Klimatour Anfang September 2019 die Zugspitze. Klimaschutz, fordert er seit kurzem, muss als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenommen werden.

Dass die Klimakrise als Umweltthema behandelt wird, macht manchen Beobachtern der Debatte große Sorgen. Traditionell gelten nämlich die Warnungen vor dreckiger Luft und vergifteten Flüssen, vor Plastik und Feinstaub, vor Atomkraft und Kupferminen als linkes Thema. Das schreckt womöglich viele Konservative ab und kann dazu führen, dass sie faktische Belege der Probleme ignorieren. Seine Partei habe da etwas versäumt, erklärt der Zeithistoriker Andreas Rödder von der Universität Mainz. Sie sei aber dabei. frühere Fehler zu korrigieren.

Allenfalls beim Schutz großer Säugetiere finden die politischen Strömungen eine gemeinsame Basis. Aber Umweltschutz und Klimawandel? Da fehlte die Verständigung lange. Eine solche Grundlage aber brauchen die Gesellschaften ganz allgemein, damit die Klimakrise in allen Parteien ernst genommen wird, und sie zusammen im demokratischen Wettstreit nach den besten Lösungen und Auswegen suchen können. Das ist allemal besser, als einander bloß widersprüchliche Wahrnehmungen der Probleme vor die Füße zu schleudern.

Erst in den jüngsten Monaten und womöglich als Reaktion auf die Schulstreiks der Fridays-For-Future-Bewegung haben auch führende Politiker der Unionsparteien begonnen, Konzepte zum Klimaschutz vorzulegen; Wolfgang Schäuble hat seinen Parteifreunden sogar regelrecht ins Gewissen geredet. Warum haben sie so lange gebraucht, fragen sich viele. Ist es ihnen jetzt so ernst, dass man sich auf eine Diskussion darüber einlassen kann? Vielleicht hilft es, wenn man zu verstehen lernt, wie die jeweils Anderen politisch denken. Man muss einander zunächst einmal zuhören, ohne gleich alles zu kommentieren und zu kritisieren – auch wenn es manchmal schwerfällt oder nicht vollkommen gelingt. In diesem Sinne spricht KlimaSocial mit Andreas Rödder, Zeitgeschichtler an der Universität Mainz und Kenner der konservativen „Welthaltung“.

CS: Sind Umweltschützer für die Konservativen automatisch Linke?

AR: Nein, das müssen sie überhaupt nicht sein. Umweltschutz ist grundsätzlich auch ein konservatives Anliegen.

Wissen das die deutschen Konservativen?

Wir haben in der deutschen Geschichte festgestellt, dass Umweltschutz und Christdemokratie in den späten 1970er-Jahren den Draht zueinander verloren haben. Das geschah während der seinerzeit von beiden Seiten völlig ideologisierten Debatte über die Kernenergie.

Opportunismus oder kühnes Ausgreifen konservativer Politik?

Und das schwappt in die Klimadebatte hinüber?

Ja, weil die Klimadebatte natürlich grundiert ist von der Kernenergie-Frage, durch den rot-grünen Atomausstieg im Jahr 2000 und die Energiewende von 2011. Und die Klimadebatte wird von Seiten der Klimabewegung mit denselben Mechanismen geführt wie in den 1980er-Jahren die um das Waldsterben, nämlich mit einer Haltung von Unbedingtheit. Da herrscht die Vorstellung, es sei fünf vor zwölf oder eigentlich schon fünf nach zwölf und es müsse sofort so und kein bisschen anders gehandelt werden. Diese habituellen Unterschiede kommen wieder zum Vorschein. Wobei ja der CSU-Chef Markus Söder gerade sehr deutlich dokumentiert, dass Klimafrage und christdemokratische Politik keinen Widerspruch darstellen müssen.

Logo für Artikel, die KlimaSocial im Rahmen der globalen Aktion CoveringClimateNow veröffentlicht. Enthält Kreuzwort-Logo von KlimaSocial und Logo der Aktion und den Text: Dieser Artikel erscheint im Rahmen von CoveringClimateNow, einer Initiative von mehr als 250 Medien, die Berichterstattung über die Klimakrise zu verbessern.
Hinweis auf die Aktion Covering Climate Now

Dass er wirklich überzeugt ist, nimmt ihm aber auch nicht jeder ab.

Ja, das ist die große Frage: ob das Ganze als Opportunismus dastehen wird oder als kühnes Ausgreifen einer konservativen Politik, die sich keine ideologischen Scheuklappen aufsetzt. Sie können es ja in zwei Richtungen auslegen.

Ganz allgemein: Wie müsste man heute konservative Klimapolitik machen?

Eine konservative Grundhaltung setzt auf Maß und Mitte und beruht auf einer Skepsis gegenüber der Unbedingtheit, mit der viele in der Klimadebatte auftreten. Zugleich wird der Konservative sofort erkennen, dass wir über die Frage des Klimawandels an sich nicht diskutieren müssen. Es gibt hinreichend Evidenz über den anthropogenen Klimawandel, den muss man nicht in Frage stellen. Also zieht man daraus entsprechende Schlussfolgerungen. Aber es ist wichtig, auf die Vereinbarkeit von unterschiedlichen Zielen zu achten, denn Klimaschutz, der den gesamten Sozialstaat oder den ganzen Industriestandort ruinieren und ein Volk in Massenverarmung stürzen würde, wäre ja auch keine sinnvolle Lösung.

Das beschreibt, was Konservative nicht wollen. Können Sie auch sagen, was sie wollen würden?

Eine liberal-konservative Politik wird insbesondere auf Markt und Innovation setzen und versuchen, unterschiedliche Politikziele von Klimaschutz und Standortsicherung und Sozialstaat und allgemeiner Wohlfahrt miteinander zu verbinden. Es gibt ja gute Gründe über Tempolimits oder über die maximale Größe von Autos nachzudenken. Aber es ist wahrscheinlich klüger, Dinge über Preise und technologische Entwicklungen zu regeln als über direkte Verbote.

Konservative setzen auf Alltagsvernunft statt abstrakte Theorie

Beim Kohleausstieg kommt aber die Ordnungspolitik zum Zuge, weil man den Regionen und den Beschäftigten dort nicht zumuten will, wegen höherer CO2-Preise von Markt gedrängt zu werden. Eigentlich nicht das Mittel der Wahl bei einer konservativen Haltung.

Ja, aber wenn Sie sich an der klassischen deutschen Ordnungspolitik orientieren, ist immer klar, dass der Staat den Rahmen setzen muss, innerhalb dessen der Markt sich entfalten kann. Diese Verbindung von Rahmen und Markt, das ist das Balance-Problem der deutschen Ordnungspolitik.

Können Sie allgemeine Kriterien formulieren, wo Konservative dem Markt noch vertrauen und wo sie sagen, nee, das klappt nicht mehr, da muss der Staat ran?

Das kann man so allgemein und theoretisch nicht sagen. Konservatives Denken setzt ja auf Alltagsvernunft und praktische Erfahrung statt auf abstrakte Theorie. Man wird die Lösung jeweils neu aushandeln und schauen, wo funktioniert's und wo funktioniert's nicht. Und im Grunde permanent nachjustieren, „piecemeal engineering“ ist durchaus ein konservatives Instrument.

Man könnte auch sagen, Konservative stoppeln sich ihre Politik zurecht.

Der Konservative weiß, dass er ohne die treibenden Kräfte des Fortschritts nicht auskommt. Und es wäre für die treibenden Kräfte des Fortschritts gut, wenn sie wüssten, dass ihrer Unbedingtheit die Methoden des Konservativen auch ganz guttun.

Sehen Sie denn, dass die Konservativen in Deutschland, also die Unionsparteien, jetzt ernsthaft Klimapolitik betreiben und ihre Ideen in die politische Debatte einbringen?

Ich habe insgesamt den Eindruck, ja. Soweit ich das beurteilen kann, ist die CDU tatsächlich auf dem Weg – und das gilt für die CSU noch mehr.

Julia Klöckner stapft mit einem Forstbeamten über eine Lichtung mit viel Bruchholz und umgestürzten Bäume. Als Landwirtschaftsministerin ist die CDU-Politikerin für den Wald zuständig. Im März 2019 besichtigte sie die Baumschäden in Brandenburg, die Stürme, Dürre und Borkenkäfer ausgelöst haben. Auf der Homepage ihres Ministerium ist dann diese Erkenntnis zu lesen: „Wir müssen unsere Wälder aufforsten und langfristig an den Klimawandel anpassen.“
Als Landwirtschaftsministerin ist die CDU-Politikerin Julia Klöckner auch für den Wald zuständig. Im März 2019 besichtigte sie die Baumschäden in Brandenburg, die Stürme, Dürre und Borkenkäfer ausgelöst haben. Auf der Homepage ihres Ministerium ist dann diese Erkenntnis zu lesen: „Wir müssen unsere Wälder aufforsten und langfristig an den Klimawandel anpassen.“

„Ohne ideologische Scheuklappen“ haben Sie vorhin gesagt. Ideologie mögen die Konservativen nicht, aber was ist Konservatismus dann? Eine Weltanschauung?

Ich würde sagen, es ist eine Welthaltung. Konservative sind skeptisch gegenüber Ideologien in Form von geschlossenen Theorien, weil Konservative wissen, wie widersprüchlich die Dinge in sich sind und auch wie wandelbar sie sind.

Ewige Werte, die nicht spezifisch konservativ, und konservative Inhalte, die nicht ewig sind

Wie wehrt man sich als Konservativer gegen den Vorwurf, beliebig zu sein, wenn man seine Position im Lauf der Zeit immer mal wieder ändert?

Indem man sagt, ja, das stimmt. Aber die Positionen immer wieder an veränderte Realitäten anzupassen – und damit wird umgekehrt ein Schuh draus – bewahrt Konservative vor Rigorismus und Unbedingtheit. Wer heute noch dasselbe denkt wie vor 50 Jahren, egal ob als Sozialist oder Konservativer, ist nicht mehr à jour. Und ich finde, dass in dieser Gelassenheit auch den eigenen Positionen gegenüber letztlich sogar der Kern der Menschenfreundlichkeit von konservativem Denken steckt.

Die CDU betont in ihrem Grundsatzprogramm eine wertkonservative Haltung. Diese Werte müssen doch einen gewissen Ewigkeitscharakter haben.

Ich sage es immer so: Es gibt ewige Werte, aber die sind nicht spezifisch konservativ, und es gibt konservative Inhalte, die sind aber nicht ewig. Die Werte sind zum Beispiel Anstand, Berechenbarkeit, Zuverlässigkeit, Nächstenliebe. Das Menschenbild der Person oder die Vorstellung des Menschen als Person mit Menschenwürde. Am Ende des Tages können Sie auch sagen, es sind der kategorische Imperativ oder die goldene Regel. Alles das ist überzeitlich – und überparteilich. Anstand und Nächstenliebe, das können Sie ja nun beim besten Willen auch dem vehementesten Verfechter der Willkommenskultur von 2015 nicht absprechen.

Wie konnte eine konservative Partei, die Ideologien ablehnt, in den 1970er-Jahren in eine „völlig ideologisierte Debatte über die Kernenergie“ geraten? Und dann aus ihrer Ferne zu den Umweltthemen bis heute nicht herausfinden?

Vonseiten der Anti-Atomkraft-Bewegung ist die Debatte als Auseinandersetzung gegen die moderne Industriegesellschaft geführt worden. Und die CDU hat in diesem Protest einen Anschlag auf die Grundlagen der Bundesrepublik mit ihrer Wirtschaftsordnung als Industriegesellschaft gesehen.

Zumindest in der Analyse, worum es ging, waren beide Seiten dann ja fast einig. Es wurde vielleicht jeweils ein wenig hoch gehängt.

Deswegen ist diese eigentlich sehr technische Frage der Energiegewinnung zu einer Diskussion geworden, die mit aller gesellschaftlichen und auch physischen Härte ausgetragen worden ist, wenn sie an die gewaltsamen Demonstrationen in Brokdorf oder in Gorleben denken.

Und an die Polizeieinsätze mit Wasserwerfern und Schlagstöcken.

Richtig. Was die CDU darüber verloren hat, ist der Zugang zu demjenigen Teil der Umweltbewegung, der grundsätzlich christdemokratisch ansprechbar ist. Das begann bei den badischen Winzern in Wyhl. Dort wollte die CDU in der Zeit von Hans Filbinger mit einem technokratischen Konservatismus unbedingt ein Atomkraftwerk durchsetzen, und hat den bürgerlichen Protest dagegen gar nicht verstanden. Und darüber ist der CDU eine Klientel verloren gegangen, die heute repräsentiert wird in einer Person wie Winfried Kretschmann, dem grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg. Wenn Sie Kretschmann erleben, der wäre Eins zu Eins kompatibel mit einer christdemokratischen Politik. Hinter ihm und der CDU liegt die Geschichte dieser Auseinander-Entwicklung seit den späten 1970er-Jahren.

Konservative haben sich beim Bewahren der Schöpfung nonchalant zurückgehalten

Das alles ist nun der Sonderfall der deutschen Geschichte, aber auch in anderen Ländern beklagen Stimmen in der Klimadebatte, dass das Klimathema ohne Not zum Umweltthema gemacht und damit sozusagen in die linke Ecke geschoben wurde.

So einfach ist es nicht. Zumindest was die Akteure angeht, sind die Kontinuitäten durchaus evident. Es gibt eine Traditionslinie vom Club of Rome mit dem Bericht über die Grenzen des Wachstums über die Debatten über Waldsterben und Atomenergie zum Weltklimarat. Man erkennt sie jedenfalls in der Art der politischen Argumentation, aber auch in personeller Hinsicht. Das reicht bis in die aktuelle gegenwärtige Politik hinein.

Aber das erklärt doch nicht, warum die Konservativen das Thema nicht auch oder trotzdem als wichtig erkannt haben. Wenn jemand von der linken Seite des politischen Spektrums auf die Konservativen schaut, dann kommt oft der vielleicht naive, vielleicht auch hämische Gedanke, dass Konservatismus doch etwas mit dem Erhalten der natürlichen Lebensgrundlagen zu tun haben müsse, und dass das evidenterweise nicht passiere. Das ist natürlich polemisch. Aber was genau ist daran falsch?

Diese Kritik und diese Problem-Diagnose treffen schon zu. Wenn man sagt, dass Konservative sich beim Thema Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen – christlich formuliert: der Schöpfung – eigentlich ein bisschen nonchalant zurückgehalten und keine zukunftsorientierten Lösungsansätze entwickelt haben, ist das schon richtig.


Wolfgang Schäuble, Bundestags-Präsident und CDU-Mitglied bei einer Rede. Er trägt einen grauen Anzug und sitzt vor einem blauen Hintergrund. –
„Lieber ein nicht perfekter Schritt in die konkrete Richtung, als auf der Suche nach der perfekten Lösung am Ende gar nichts zu machen.“  Wolfgang Schäuble redete seiner Partei bei deren Werkstattgespräch Anfang September 2019 ins Gewissen. Sie solle endlich mal mit dem Klimaschutz anfangen, meinte er und fügte mit sichtlicher Freude – die eigenen Fremdsprachenkenntnisse karikierend – hinzu: „Second bescht ist allemal besser als nossing.“
„Lieber ein nicht perfekter Schritt in die konkrete Richtung, als auf der Suche nach der perfekten Lösung am Ende gar nichts zu machen.“ Wolfgang Schäuble, Bundestags-Präsident und CDU-Mitglied, redete seiner Partei bei deren Werkstattgespräch Anfang September 2019 ins Gewissen. Sie solle endlich mal mit dem Klimaschutz anfangen, meinte er und fügte mit sichtlicher Freude – die eigenen Fremdsprachenkenntnisse karikierend – hinzu: „Second bescht ist allemal besser als nossing.“

Soweit ich es verstanden habe, geht es den Konservativen auch gar nicht um die natürlichen Lebensgrundlagen an sich, sondern um den Umgang mit und die Nutzung von Lebensgrundlagen.

Das macht in der aktuellen Debatte nach meiner Einschätzung keinen entscheidenden Unterschied. Aber Sie haben schon recht, dahinter stehen unterschiedliche Optionen. Denn es geht ja nicht darum, die Natur museal zu konservieren. Beim Thema Wald zum Beispiel stellt sich die sehr konkrete Frage der Nutzung. In der aktuellen Debatte wird die Rede von den „natürlichen Lebensgrundlagen“ hingegen zu einem Allgemeinplatz.

Die Rede von der Wissenschaft unterschätzt ihre Vielfältigkeit

Gehört zur Skepsis gegenüber Unbedingtheit auch der als politische Waffe vorgetragene Zweifel an den Feststellungen der Wissenschaft? Ist das eine Perversion des Gedankens, den Sie geäußert haben, oder eine notwendige Folge?

Konservatives Denken setzt auf Skepsis und Realismus, aber weder auf Unbedingtheit noch auf Ignoranz. Es gibt die Ignoranz derer, die sagen, das sind alles Fake News der Wissenschaft. Mit dieser Ignoranz kann man sich verantwortungsvollerweise nicht gemein machen. Es gibt auf der anderen Seite aber auch die Unbedingtheit, die Sie am deutlichsten manifestiert finden in Greta Thunbergs Ausspruch: Ich will, dass ihr in Panik geratet. Das kann eine 16-jährige Aktivistin sagen, aber dass man sich das zum politischen Motto macht, werden Sie als Konservativer für politisch verantwortungslos halten.

Dieses Zitat mit der Panik wird ja gern genommen, aber die ganze Bewegung und Greta Thunberg selber sagen auch, nehmt die Wissenschaft ernst und gebt euch Regeln, die damit im Einklang stehen.

Wissen Sie, von der Wissenschaft zu sprechen, macht mich als Historiker und als Wissenschaftler – ich bin ja auch einer – sehr skeptisch. Ich bin weit entfernt von jeder Ignoranz, und die Plausibilität des anthropogenen Klimawandels erscheint mir absolut hoch genug, um daraufhin entschieden zu reagieren. Aber die Rede von der Wissenschaft unterschätzt die Vielfältigkeit von Wissenschaften ganz eminent. Das ist eine Anmaßung von Wahrheit, die der Komplexität von Wissenschaften selbst im Bereich des Klimas widerspricht.

Man muss sich ja mal die Vorgeschichte anschauen. Die Wissenschaftler in der Klimaforschung sind vor allem in den USA und in Großbritannien sehr stark unter Druck geraten, teilweise gemobbt worden, und haben sich unter diesem Druck andere Kommunikationsstrategien zurechtgelegt. Sie haben formuliert, dass es einen Konsens über die Grundfragen ihrer Disziplin gibt. Das ist im Wesentlichen anthropogener Klimawandel und wird oft als die Wissenschaft dargestellt. Es ist eine rhetorische Figur. Diese Sprechweise ist also eine Folge der ständigen Angriffe, die auf Wissenschaftler niedergegangen sind aus dem vermeintlich konservativen, in Wirklichkeit aber libertären Lager in den USA. Und dafür werden Forscher und Aktivisten nun wieder von den ehrlichen Konservativen kritisiert.

Das ist eine Frage von Henne und Ei. Hat sich die Klimaforschung radikalisiert, weil sie so kritisiert worden ist, oder hat sich die Kritik radikalisiert, weil die Klimawissenschaft immer absoluter aufgetreten ist?

Tiefe Skepsis gegenüber der Anmaßung von Wahrheit

Naomi Oreskes von der Harvard University hat genau dieses Muster von Angriffen gegen die Wissenschaft als wiederkehrendes Element durch die Jahrzehnte verfolgt, angefangen beim Passivrauchen in den 1960er-Jahren.

Und umgekehrt ist das 20. Jahrhundert voll von verabsolutierten Geltungsbehauptungen von Wissenschaftlern und Experten, von der Eugenik bis zur autogerechten Innenstadt, bei denen einen im Rückblick schaudert.

Jetzt relativieren Sie aber.

Ich würde sagen: das ist erfahrungsbasierter Pragmatismus. Und tiefe Skepsis gegenüber der Anmaßung von Wahrheit. Schauen Sie, die Debatte um das Waldsterben in den Achtzigern hatte eine völlig überzogene wissenschaftliche Kommunikation zur Voraussetzung. Zugleich hat man mit Katalysatoren und Entschwefelungs-Anlagen reagiert. In den 1990er-Jahren stand der Wald dann wieder deutlich besser da als ursprünglich erwartet, und man wusste hinterher nicht, ob die Prognosen falsch gewesen waren oder die Maßnahmen gegriffen hatten. Ich finde, es ist eine interessante Analogie zur heutigen Situation, weil man sagen kann: Egal, es war richtig diese Maßnahmen zu ergreifen. Und heute: Wir lassen uns nicht auf diese Fünf-vor-zwölf-Panik ein. Aber es gibt allen guten Grund, klimapolitisch sehr viel aktiver zu werden, als wir es bisher waren. ◀

Collage aus dem Buchcover und einem Foto des Autors, –
Dr. Andreas Rödder ist Professor für neueste Geschichte an der Universität Mainz. Er hat ein Buch mit einem Plädoyer für einen „zeitgemäßen Konservatismus“ geschrieben (C.H. Beck, 144 Seiten, 14,95 Euro). Rödder ist Mitglied der CDU und war bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz 2011 und 2016 Mitglied im Schattenkabinett von Julia Klöckner.
Dr. Andreas Rödder ist Professor für neueste Geschichte an der Universität Mainz. Er hat ein Buch mit einem Plädoyer für einen „zeitgemäßen Konservatismus“ geschrieben (C.H. Beck, 144 Seiten, 14,95 Euro). Rödder ist Mitglied der CDU und war bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz 2011 und 2016 Mitglied im Schattenkabinett von Julia Klöckner.
Sie haben Feedback? Schreiben Sie uns an info@riffreporter.de!
VGWort Pixel