Die zwei Seiten des Fortschritts

Bericht von einer öffentlichen Debatte in Karlsruhe

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
4 Minuten
Blick in eine leere Lagerhalle

Die Rentner von heute haben einen dramatischen Wandel erlebt: neue Technik, neue Investoren, Automatisierung und Rationalisierung. Was erwarten sie von der digitalen Zukunft? Eine Diskussion am früheren Industriestandort Karlsruhe-Durlach.

Mit zittrigen Knien sei er vor 58 Jahren als Lehrling in die große Fabrik gegangen, erzählt der Maschinenschlosser Hans Pfalzgraf. „Man hat uns damals nicht gerade zu übertriebenem Selbstbewusstsein erzogen.“ Doch die Badische Maschinenfabrik in Karlsruhe-Durlach, die Spezialmaschinen etwa zur Produktion von Streichhölzern herstellte, wurde rasch seine Heimat: „Wir fühlten uns aufgehoben wie in Abrahams Schoß.“ Die Chefs kannten jeden Mitarbeiter beim Namen und die Mitarbeiter waren stolz auf ihre Fabrik.

Heute ist Pfalzgraf im Ruhestand und sitzt für die SPD im Karlsruher Gemeinderat. Ein Team von Historikern und Kommunikationswissenschaftlern des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) hat ihn und drei weitere Experten eingeladen, um im Durlacher Seniorenclub darüber zu sprechen, wie sich die Arbeitswelt verändert hat und verändern wird. Etwa 30 Gäste sind an diesem Sonntag gekommen und diskutieren mit. Im Projekt „Zurück in die Arbeitswelten der Zukunft“ wollen die Forscher auf diese Weise untersuchen, wie sich die Vorstellungen über die Zukunft gewandelt haben. Weitere Runden dieser Art in Halle an der Saale, Jena und Dortmund sollen folgen.

Die Badische Maschinenfabrik wurde seit den 1980er-Jahren mehrfach aufgeteilt und verkauft. Ein Schicksal, das sie mit anderen Unternehmen teilt: Auch von der Firma Pfaff Nähmaschinen ist in Durlach nur ein kleiner Nachfolger geblieben. Doch der dörflich wirkende Stadtteil mit seinen rund 30.000 Einwohnern steht heute gut da: Wohnungen dort sind begehrt, die Arbeitslosigkeit in Karlsruhe liegt bei nur drei Prozent. Die digitale Wirtschaft wächst; in ehemaligen Gebäuden der Firma Pfaff sind Büros für diese jungen Unternehmen entstanden.

Mehr Arbeit für weniger Personal

Hans Pfalzgraf hat diesen Wandel als Betriebsrat über viele Jahre begleitet. Er habe den Kollegen immer Mut gemacht, sich auf neue Technologien einzulassen und sich zu fragen, wie man von ihnen profitieren könne, erzählt er. „Ich sehe deshalb auch bei der Digitalisierung nicht ganz schwarz.“ Für diese Aussage wird er in der Diskussion als „Optimist“ bezeichnet, denn nicht wenige im Saal sind ausgesprochen besorgt. Gründe gibt es genug: Im Mittelpunkt stehen nicht die Menschen, sondern die Aktienkurse. Die Welt verändert sich schneller, als die Gesellschaft reagieren kann. Und selbst wenn viele davon profitieren sollten, so sind es längst nicht alle. Die Durlacher Ortsvorsteherin Alexandra Ries, die eigentlich die Chancen des technologischen Wandels betonen möchte, berichtet von den steigenden Mieten. Sie versuche durch Nachverdichtung zusätzlichen Wohnraum bereitzustellen, erzählt sie, doch das sehe nicht jeder gern. „Dann heißt es: Die Baulücke könnten wir doch so lassen, oder: Das Grün ist doch ganz schön.“

Diskussion in Durlach (von links nach rechts): Alexandra Ries, Rolf-Ulrich Kunze, der Moderator Philipp Schrögel, Hans Pfalzgraf und Bettina Krings
Diskussion in Durlach (von links nach rechts): Alexandra Ries, Rolf-Ulrich Kunze, der Moderator Philipp Schrögel, Hans Pfalzgraf und Bettina Krings
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