Lehren aus Wuhan: „Ärzte und medizinisches Personal sollten nur sechs Stunden arbeiten“

Interview mit Eckhard Nagel, Präsident des Chinesisch-Deutschen Freundschaftskrankenhauses in Wuhan

8 Minuten
Das Bild zeigt medizinisches Personal, das einen Patienten in einem Bett durch die Klinik schiebt. Das Symbolfoto ist unscharf und soll Eile darstellen.

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Der Arzt Eckhard Nagel hat einen besonderen Blick auf die Coronakrise. Er ist seit 2018 einer von zwei Präsidenten des Chinesisch-Deutschen Freundschaftskrankenhauses im Tongji Klinikum in Wuhan – der Metropole, in der die Pandemie ihren Lauf nahm.

Nagel lebt in Bayreuth, wo er als Professor für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften wirkt. Von 2010 bis 2015 war er Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Essen. Der Öffentlichkeit ist Nagel auch als langjähriges Mitglied des Deutschen Ethikrats und Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages bekannt. Er berät die Bundesregierung in Fragen der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich.

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Herr Nagel, Sie sind in ständigem Kontakt mit dem deutsch-chinesischen Freundschaftskrankenhaus in Wuhan. Machen Sie das hauptsächlich wegen Ihrer Führungsfunktion dort oder können Sie auch etwas für die Situation in Deutschland mitnehmen?

Nagel: Wir müssen lernen, wie sich die Pandemie durch die Welt bewegt. Deshalb ist der Erfahrungsaustausch mit den Ärzten in Wuhan so wichtig. Diese sind uns an Erfahrungen erheblich voraus und haben Hunderte, oftmals Tausende Patienten gesehen. Wir hatten in Bayreuth am vergangenen Freitag dagegen 500 Betten freigemacht, aber nur 22 Corona-Patienten, von denen acht auf der Intensivstation betreut werden. Wir müssen jetzt den Blick auf die nächste Phase richten – und von anderen lernen.

Was sind aus Ihrer Sicht die Lehren aus den chinesischen Erfahrungen?

Nagel: An erster Stelle steht sicher die Erfahrung, was eine Quarantäne für eine ganze Millionenstadt bewirken kann – und das für sechs Wochen. Die Ausgangsbeschränkungen waren viel strenger als bei uns, die Menschen konnten nicht mehr selbstständig einkaufen oder an die frische Luft gehen. Für viele Menschen gerade in den Hochhäusern bedeutete dies eine enorme Belastung. Es war eine riesige logistische Leistung, alle zu versorgen. Aber es hat die Ausbreitung des Virus offenbar erfolgreich eingedämmt.

Und was lernen wir daraus?

Nagel: Unser großer Vorteil ist, dass wir die Erfahrungen aus Wuhan nun kennen – die Zahlen, die Entwicklung, die Ursachen. Entscheidend ist bei uns nicht, dass wir so radikal wie China vorgehen müssen, sondern dass wir konsequent und schnell reagieren. Wir wissen, dass die Zahlen der Neuinfektionen 14 Tage nach einem Shutdown heruntergehen. Aber wir wissen auch, dass man die doppelte Zeit braucht, um die Infektionswege wirklich zu unterbrechen. Zweitens hat man in Wuhan gelernt, wie die Infektionswege bei Covid-19 funktionieren. Mittlerweile wissen wir, wie hochinfektiös das Virus zwischen Menschen ist. Nun ist auch klar, wie die Schutzmaßnahmen im Alltag, aber auch bei der Arbeit auszusehen haben.

Was heißt das für den Krankenhausbetrieb?

Nagel: Man hat in Wuhan eine klare Relation zwischen der Länge der Arbeitsschichten und der Überlebenswahrscheinlichkeit der Patienten sowie der Ansteckungswahrscheinlichkeit der Krankenhaus-Mitarbeiter entdeckt. In der ersten hektischen Phase arbeiteten Ärzte und medizinisches Personal in Wuhan oft 12 bis 14 Stunden. Sehr viele Helfer haben sich damals angesteckt. Diese Entwicklung sehen wir auch in Italien und Spanien. Erst als in China sehr viel mehr Personal zur Hilfe kam und die Schichten sich auf sechs Stunden verkürzten, sanken die Ansteckungs- und Sterberaten. Das Personal konnte sich dann sehr viel genauer an die Vorschriften halten. Die Kehrseite der Medaille: Kürzere Schichten bedeuten einen sehr viel höheren Bedarf an Schutzausrüstung.

Was heißt das konkret?

Das Bild zeigt den Interviewpartner, einen hoch gewachsenen Mann mit Anzug und Krawatte.
Der Mediziner Eckard Nagel, hier bei einer Vorlesung an der Universität Bayreuth, zählt zu den Kennern des chinesischen Gesundheitssystems. Er fordert, von den Erfahrungen in Wuhan rasch zu lernen.
Das Bild zeigt Eckard Nagel bei einer Versammlung von Krankenhausmitarbeitern in Wuhan. Die Belegschaft steht in Reih und Glied. Zu sehen sind zahlreiche Menschen. In ihrer Mitte steht Nagel.
Eckard Nagel (Mitte) ist Ko-Präsident des Deutsch-Chinesischen Freundschaftskrankenhauses in Wuhan und steht in engem Kontakt mit dem Krankenhaus, auch wenn er gerade nicht in China ist.
Zu sehen ist eine Nahaufnahme einer Gewebeprobe, in der kleine Kügelchen liegen. Dabei handelt es sich um die farblich hervorgehobenen Viren.
Elektronenmikroskopische Aufnahme einer Probe des ersten Falls von Covid-19 in den USA, erstellt von einem Team der Centers for Disease Control (CDC). Die rundlichen Viruspartikel wurden blau eingefärbt, um sie sichtbarer zu machen.