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Lemke legt Vorschläge zum Umgang mit Wölfen vor – zum Wohl des Wolfs und der Weidetierhalter?
Tötung auf Verdacht – zum Wohl des Wolfs: Lemke legt Vorschläge zum Umgang mit Wölfen vor
Bundesumweltministerin Steffi Lemke will „Schnellabschüsse“ und die Tötung von Wölfen auf Verdacht erleichtern. Was als Abkehr vom Schutz für die Tiere wirkt, könnte genau diesen erhalten.

Wer Steffi Lemke als Freund der Wölfe in den vergangenen Wochen zugehört hat, dem konnte Angst und Bange um die Tiere werden. „Wir brauchen mehr Abschüsse“ – forderte die Grünen-Politikerin mehr als einmal vor dem Hintergrund der sich häufenden Zahlen von Wolfsangriffen auf Weidetiere. Am Donnerstag legte Lemke nun ihr lang erwartetes Konzept für den künftigen Umgang mit dem ungeliebten Wildtier vor, das mehr als 100 Jahre nach seiner Ausrottung ein erfolgreiches Comeback auch in Wälder und Wiesen Deutschlands geschafft hat. Darin präzisiert sie ihre Forderung nach einer „Entbürokratisierung“ des Wolfsabschusses.

Die Grünen-Politikerin schlägt vor, solche Wölfe schneller und mit weniger Aufwand als bislang üblich zum Abschuss freizugeben, die Schafe, Rinder oder Pferde getötet haben. Im Gegenzug lehnt sie Änderungen am generellen Schutzniveau für die Art etwa im Bundesnaturschutzgesetz ab.
„Schnellabschüsse“ schon beim erstmaligen Überwinden von Schutzzäunen
Sogenannte „Schnellabschüsse“ sollen nach Lemkes Willen künftig bereits dann möglich sein, wenn ein Wolf zum ersten Mal einen Schutzzaun überwunden und ein Schaf oder ein anderes Nutztier getötet hat. Bislang waren meist mehrere aufeinanderfolgende Vorfälle nötig, um eine Ausnahmegenehmigung zur Tötung der geschützten Tiere zu erhalten.
Die Grünen-Politikerin schlägt den zuständigen Landes-Umweltministerinnen und -ministern zudem eine weitere sehr wichtige Erleichterung vor: Wölfe sollen danach künftig auch auf Verdacht getötet werden können.

Denn anders als bisher üblich, sollen Weidetierhalter vor der Erteilung einer Abschussgenehmigung durch die Behörden nicht mehr per DNA-Analyse einen bestimmten Wolf vor seiner Tötung als Urheber nachweisen müssen.
1.000-Meter-Radius soll zur Abschusszone werden
Stattdessen soll für drei Wochen auf einen Wolf angelegt werden dürfen, der sich in einem Umkreis von 1.000 Metern von der Weide aufhält, auf der ein Weidetier getötet wurde. Eine nachträgliche Analyse des Erbguts soll dann Aufschluss darüber bringen, ob tatsächlich der Wolf zur Strecke gebracht wurde, der das Weidetier erbeutet hat. „Schnellabschüsse“ sollen allerdings nur in solchen Gebieten gelten, die zuvor von den Behörden als Gebiete mit „erhöhtem Rissvorkommen“ eingestuft wurden.
Im Kern sind fast alle Maßnahmen aus Lemkes Paket in einzelnen Regelungen der Bundesländer auch heute schon vorgesehen, allerdings mit einem sehr viel stärkeren Aufwand und nicht in der von ihr vorgeschlagenen Kombination. Sie will ihre Vorschläge nun der Landesumweltministerkonferenz zur Beschlussfassung vorlegen. Das Gremium tagt Ende November. Nach ihrer Einschätzung könnten die neuen Regeln schon mit Jahresbeginn 2024 in Kraft treten.

Zugeständnisse, die auch dem Wolf dienen könnten
Lemke kommt mit ihrem Konzept einigen der Hauptforderungen von Weidetierhaltern entgegen. Die hatten vor allem eine Beschleunigung der Wolfstötung nach dem Verlust von Weidetieren gefordert. Die Auswertung von DNA-Analysen und der Prüfprozess für Ausnahmegenehmigungen zum Töten der streng geschützten Art dauere viel zu lang, wurde beklagt.
Die bisherigen Regeln hätten „Unsicherheit, Auslegungsfragen und viele bürokratische Hürden aufgebaut“, betonte auch Lemke. „Das führt dazu, dass in der Praxis so gut wie keine Abschüsse stattfinden und der gleiche Wolf mehrfach zuschlägt.“ Ihre Handlungsmaxime laute dagegen, zu tun „was wirkt, und zwar schnell“, sagte Lemke.

13 Abschüsse seit 2000
In der Tat wurden in krassem Kontrast zur heftig geführten Debatte über den Abschuss von Wölfen bislang nur wenige Tiere mit Ausnahmegenehmigungen getötet. Nach Daten der dafür zuständigen Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) wurden seit der Wiederbesiedlung Deutschlands durch den Beutegreifer im Jahr 2000 bislang 13 Wölfe legal im Rahmen des Managements der Art geschossen.
Mehr als 700 Wölfe starben dagegen im Straßenverkehr. Die – wegen der Nachweisschwierigkeiten wahrscheinlich drastisch unterschätzte – Zahl illegal getöteter Wölfe betrug im gleichen Zeitraum 85.
Lemkes Vorschläge könnten Wolf auf Dauer nutzen
Lemke, die als Naturschutzministerin für Artenschutz zuständig ist, vermied am Donnerstag wohl angesichts der sehr erhitzt geführten Debatte um die Rückkehr des Wildtieres starke Pro-Wolf-Aussagen. Im Ergebnis dürfte ihr Vorschlag – wenn er angenommen wird – aber den Schutz der Art hierzulande weiter absichern. Ein immer wieder geforderter präventiver und anlassloser Abschuss von Wölfen zur Verringerung der Gesamtpopulation wäre damit vom Tisch. Dies wäre auch mit europäischem Recht nicht vereinbar. Gleiches gilt für populistische Forderungen nach „wolfsfreien Zonen“.
Lemke sieht in der Verringerung der Nutztierverluste durch Wölfe einen Schlüssel dafür, dass die Akzeptanz für die Wildtierart auf Dauer erhalten bleibt.

Wolfspopulation wächst nur noch langsam
In Deutschland leben nach aktuellen Zahlen derzeit 184 – oft als Rudel bezeichnete – Wolfs-Großfamilien. Zusammen mit Einzeltieren und einzeln lebenden Wolfspaaren ergibt sich eine Zahl von 253 Wolfs-Territorien bundesweit. Forscherinnen und Forscher des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin haben ausgerechnet, dass Deutschland gemessen an den Lebensraumansprüchen der Tiere ein Potenzial für insgesamt 700 bis 1400 Wolfsreviere hat.
Im gerade abgelaufenen Monitoring-Jahr wurden insgesamt rund 1300 Einzeltiere nachgewiesen.
Die größten Wolfsvorkommen gibt es in Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen. Die neuen Zahlen belegen, dass der Anstieg der Wolfspopulation in Deutschland sich deutlich verlangsamt. In den beiden vergangenen Monitoringjahren zeigten die Daten aus dem Wolfsmonitoring der Bundesländer einen geringeren Anstieg der Anzahl an Territorien als in den davorliegenden Monitoringjahren. In den ersten Jahren nach der Wiederbesiedlung verlief die Bestandszunahme exponentiell mit einem jährlichen Zuwachs von rund 30 Prozent.
Zustimmung aus Wissenschaft und Umweltverbänden
Aus der Wissenschaft kam vorsichtige Zustimmung zu Lemkes Konzept. „Der Vorschlag, den Abschuss von Wölfen ausschließlich im Rahmen von überwundenen Herdenschutzmaßnahmen und zum Schutz der Weidetiere zu entbürokratisieren und zu flexibilisieren erscheint vor dem Hintergrund steigender Übergriffe auf Nutztiere eher moderat und nachvollziehbar“, sagte Hannes König, Mitglied des Expertenrates der Internationalen Naturschutzunion IUCN zu Mensch-Wildtierkonflikten. Ob die Vorschläge zur Befriedung der erhitzten Debatte über den Wolf beitragen, müsse sich allerdings erst noch erweisen, zeigte er sich im Gespräch mit RiffReporter eher skeptisch, weil die Debatte hoch emotionalisiert und teilweise politisiert geführt werde.
Zustimmung für Lemke kam von den Umwelt- und Naturschutzverbänden. „Die allermeisten Wölfe respektieren Herdenschutzmaßnahmen“, sagte NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. „Für die wenigen Fälle, in denen trotz Herdenschutz Weidetiere gerissen werden, hat Ministerin Lemke heute sinnvolle Vorschläge für ein effizienteres Handeln gemacht.“
WWF-Artenschutzexpertin Sybille Klenzendorf sagte, ein Miteinander von Wolf und Mensch sei in der Kulturlandschaft nur mit der Akzeptanz von betroffenen Nutzergruppen möglich. „Die Vorschläge von Bundesministerin Lemke sind daher eine Chance, die es von Seiten des Naturschutzes wie auch von Tierhaltern, Landwirten und Jägern zu ergreifen gilt, denn die neue Regel ermöglicht es den Bundesländern in begründeten und gerechtfertigten Einzelfällen gezielter und unmittelbar handeln zu können.“
Die Deutschen Umwelthilfe (DUH) betonte die Bedeutung der Weidewirtschaft aus ökologischer Perspektive und aus Sicht des Tierschutzes.
„Tiere müssen aus den Ställen raus auf die Weiden kommen“, sagte DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Gleichzeitig brauche es Beweidung für den Natur- und Klimaschutz, etwa um Moore und Auen zu renaturieren und das Insektensterben zu bremsen. „Wir begrüßen daher, dass die Ministerin der unsachlichen Debatte um Abschwächungen des Naturschutzgesetzes bis zur Totalausrottung in so genannten wolfsfreien Gebieten heute eine praktikable, wissenschaftlich fundierte und zügig umsetzbare Lösung entgegengesetzt hat.“