8 Milliarden Menschen, aber immer noch nur 1 Erde: Der phänomenale Aufstieg des Homo sapiens

Die Weltbevölkerung hat eine neue Wegmarke erreicht. In den kommenden Jahrzehnten soll unsere Zahl sogar auf zehn Milliarden wachsen. Wie ist es dazu gekommen? Ein Blick zurück in die Menschheitsgeschichte

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Eine riesige Menge von Menschen in Tschechien

Am 15. November 2022 war es soweit: Die Bevölkerungsexperten der Vereinten Nationen riefen den Tag zu dem Datum aus, an dem die Zahl der Menschen auf der Erde die Marke von acht Milliarden erreicht hat. Im Jahr 1800 bevölkerte erst eine Milliarde Menschen die Erde, viele Gebiete waren noch unbewohnt. Inzwischen sind wir Menschen überall – und sind zur wichtigsten Kraft der Veränderung auf der Erde geworden. Wissenschaftler sprechen schon vom „Anthropozän", der Erdepoche des Menschen.

Aber wie konnte es dazu kommen?

Wir lernen in der Schule, dass wir Menschen aus Afrika kommen. Das stimmt. Auf dem Kontinent sind unsere menschenähnlichen Vorfahren entstanden und auch unsere Art selbst – Homo sapiens, ein Lebewesen, das sich von Afrika aus inzwischen auf der gesamten Erde ausgebreitet hat, sogar bis in die Antarktis.

Die Atome und Moleküle, aus denen wir acht Milliarden bestehen, haben aber eine viel längere Vorgeschichte. Unsere Reise durch Zeit und Raum hat aber schon viel früher begonnen als mit dem Aufbruch unserer Vorfahren „out of Africa“. Sie wandern schon seit der Zeit des frühen Kosmos umher. [1] Jedes Atom in unserem Körper hat vor uns bereits Hunderten anderen Lebewesen dazu gedient, ihre Körper aufzubauen. Die Stoffe, aus denen wir bestehen, sind schon vor Millionen Jahren als Fische umhergeschwommen. Sie lagen im Humusboden alter Regenwälder oder dienten Bakterien als Baustoff ihres Daseins.

Auch unsere Baupläne sind wesentlich älter als die 300.000 Jahre, seit denen es Homo sapiens gibt. Hunderte Millionen Jahre biologischer Evolution haben die Art und Weise geformt, wie unsere Körper aufgebaut sind, wie wir mit unseren Gehirnen denken und wahrnehmen. Die Frühgeschichte von uns Menschen reicht von den ersten Vielzellern mit Nerven hin zu Fischen am Küstensaum, von den ersten Vierbeinern zum mäuseähnlichen Ursäugetier, vom ersten Primaten bis zu den Vor- und Frühmenschen. Wir von der Menschenart Homo sapiens sind wiederum nur ein Zweig am blühenden Strauch menschenähnlicher Lebewesen, die die Evolution hervorgebracht hat. Aber alle anderen sind ausgestorben, wir haben als einzige überlebt – und uns in unvergleichlicher Weise vermehrt.

Wir Menschen sind so vielseitig wie wenige andere Lebewesen

Doch es ist für unsere Existenz – und auch für die Jahrhundertfrage, wie wir mit unserer Umwelt in Einklang kommen – enorm wichtig, dass wir aus der Erde stammen und im Erdsystem unsere Gestalt bekommen haben. Wir setzen eine evolutionäre Reise fort, die vor uns der Urprimat, das eichhörnchenartige Purgatorius, zur Zeit der Dinosauriergemacht hat; Eosimias, einer der frühesten Anthropoiden, vor 40 Millionen Jahren; dann der schimpansengroße Kamoyapithecus von vor 25 Millionen Jahren, der vielen Forschern als erster Menschenaffe gilt; die letzten gemeinsamen Vorfahren mit Schimpansen, die vor rund 7 Millionen Jahren in Afrika lebten; und schließlich die ersten menschenartigen Lebewesen wie Sahelanthropus und Australopithecus, die den evolutionären Weg zur Gattung Homo ebneten.

Aus Bruchstücken zusammengesetzter Schädel: Replika eines Schädels von Sahelanthropus tchadensis.
Wir sind ein Zweig des menschlichen Stammbaums: Replika eines Schädels von Sahelanthropus tchadensis.

Unsere Leben heute sind durch eine unsichtbare Linie mit dieser gesamten Vergangenheit und ihren jeweiligen ökologischen Umständen verbunden, vom Meteoriteneinschlag, der die Dinosaurier auslöschte und das Zeitalter der Säugetiere ermöglichte, bis zur Ausbreitung von Savannen im südöstlichen Afrika durch natürliche Klimaveränderungen.

Was uns Menschen einmalig dazu befähigt, zu Akteuren in den Dimensionen der Erdgeschichte zu werden, ist neben unserem Bewusstsein eine uralte Eigenschaft: Unser unglaublicher Generalismus – unsere Fähigkeit, uns immer neuen Umständen anzupassen, von der heißen Wüste bis zum Polarkreis, vom Leben am Meer bis zur Existenz im Gebirge. Dieser Generalismus schlug seit dem Ende der letzten Eiszeit in eine neue Qualität um: die Fähigkeit, uns unsere Lebensräume selbst zu gestalten. [2]

In Graslandschaften lernten wir aufrecht zu gehen

Unsere biologische Konstitution ist zu einem guten Teil ein Nachhall aus den vergangenen drei Millionen Jahren, in denen die Erde zyklisch deutlich kälter war als heute. Zur Abkühlung trug damals bei, dass Nord- und Südamerika am Isthmus von Panama zusammenstießen, was den Fluss warmen Wassers aus dem Pazifik gen Afrika unterbrach, bis sich der Golfstrom ausbildete. Zudem wuchs der Himalaya immer weiter, was asiatische Flüsse nicht mehr gen Süden, sondern gen Nordmeer lenkte und so deren Salzkonzentration verringerte. Salzarmes Wasser gefriert leichter, was zur Vergletscherung der Arktis beitrug. [3]

Der Meeresspiegel fiel in diesen langen Zeiträumen um bis zu hundertdreißig Meter, weil das Wasser im Eis gebunden wird, dann stieg er wieder an, weil Rückkopplungseffekte zu Wärmephasen führten. Das Ostafrikanische Grabenbruchsystem, in dem die frühen menschenartigen Wesen lebten, hob sich in dieser Zeit immer weiter empor, so dass der Lebensraum trockener wurde und Wälder Savannen wichen – in denen aufrechter Gang erhebliche Vorteile brachte.

Die frühen Menschen lebten also in Zeiten umwälzender Veränderungen der Natur, die sie umgab. Während andere Arten durch diese Zeiten hindurch unverändert blieben und nur darauf reagierten, was geschah, erwiesen sich unsere Vorfahren als flexibler und innovativer, als fähig, immer neue Nischen zu finden oder zu schaffen. Die Umweltveränderungen begünstigten bei den Vor- und Frühmenschen im Gegensatz zu hochspezialisierten Arten eher ökologische Flexibilität und Generalismus, die Fähigkeit, unter vielen Umständen zurechtzukommen und sich aus vielen Quellen zu ernähren.

So sozial wie egoistisch, so liebevoll wie grausam

Der Weg in die Welt von heute, in der Menschen in arktischer Kälte und tropischer Hitze leben, Gebirgshöhen wie Flussdeltas besiedeln und als Slumbewohner in Indien ebenso überleben können wie als Börsenhändler in klimatisierten Büros in New York, beginnt vor gut zwei Millionen Jahren mit einem Allesfresser-Menschenaffen, der sich als besonders flexibel erweist. Sein Gehirnvolumen wächst aufgrund von genetischen Veränderungen schneller und anders als bei anderen engen Verwandten, die es in größerer Zahl gab. Er beginnt, Steinwerkzeug zu nutzen und wird zum evolutionären Startpunkt der Gattung Homo. [4]

Ein Zweig dieser neuen Lebensform verbreitete sich vor 2 Millionen Jahren vom Osten Afrikas aus nordwärts zur Mittelmeerküste und von dort dann tief nach Asien, bis nach Indonesien und China. Dann wanderten die Ur-Menschen – immer nur um ein paar Kilometer pro Generation – in Europa ein, wo sie nachweislich die Fähigkeit erworben haben, Feuer zu machen. Das älteste rekonstruierbare Feuer, das von Menschen entzündet wurde, liegt vierhunderttausend Jahre zurück. Die Neandertaler gehören zu den Ergebnissen dieser ersten Ausbreitungswelle.

Antike Höhlenmalerei auf der Tiere zu erkennen sind.
Die Malereien in der Höhle von Chauvet (hier zu sehen als Replika im benachbarten Museum) sind ein frühes Zeugnis der Beziehung von Mensch und Natur, ebenso wie der kreativen Veranlagung des Menschen.
Portrait einer Ziege vor blauem Himmel.
Nach den Wölfen gehörten Ziegen zu den ersten Wildtieren, die unsere Vorfahren domestiziert haben – mit weitreichenden Folgen.
Luftaufnahme einer modernen Großstadt. Durch sie fließt ein großer Fluss, überall sieht man Hochhäuser.
Aus den ersten Siedlungen, die nach dem Ende der letzten Eiszeit entstanden, sind heute Megalopolen wie Schanghai geworden.
Das phänomenale Wachstum der Menschheit: 1804	1000000000, 1975	4000000000, 2022	8000000000, Prognose 2080	10000000000
Ab jetzt soll sich das Wachstum der Menschheit der UN zufolge abflachen.
Der Journalist Paul Salopek steht am Rand eines Berges und schaut in die Ferne. Dort sind viele Felder zu erkennen.
Eine Reise um die Welt zu Fuss: Der Journalist Paul Salopek wandert den Weg unserer Vorfahren um die Erde nach.

Dieser Artikel beruht auf dem Buch „The Anthropocene" (Synergetic Press 2014) von Christian Schwägerl, der englischen Ausgabe von „Menschenzeit" (Riemann-Verlag, 2010). Er ist erstmals im März 2019 bei RiffReporter erschienen und wurde im November 2022 aktualisiert. Die im Text genannten Quellen finden Sie hier.

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