RiffReporter Weihnachtskalender 2024 – Zadie Smith und ihr Roman „Betrug“

Zadie Smith erzählt aus historischer Perspektive von Täuschung, Selbsttäuschung und schwer erträglichen Wahrheiten

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Das Buch fotografiert auf einem Kirschholztisch: Das in Blau- und Grüntönen gehaltene Cover zeigt verschieden verzierte Zuckerlöffel, die eng nebeneinander gelegt an an die Ladepläne der Sklavenschiffe erinnern. .

Mein Geschenktipp handelt von einem um sich greifenden Phänomen, das rational schwer zu fassen ist - von Populismus. Der hatte offenbar bereits im 19. Jahrhundert Konjunktur. Die Schriftstellerin Zadie Smith zeichnet in ihrem Roman „Betrug“ den spektakulären Prozess des Hochstaplers Arthur Orthon nach, der sich als Roger Charles Tichborne ausgibt und Anspruch auf das Erbe des in Jamaika verschollenen Adligen erhebt.

In einem Interview sagte Zadie Smith, sie habe den historischen Abstand gebraucht, um ihre eigene Zeit zu begreifen. Die Mutter der 1975 in London geborenen Schriftstellerin stammt aus Jamaika. Der Vater, ein weißer Arbeiter, verließ die Familie früh. Sie selbst lehrte Literatur in den USA, ist Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Letters und der American Academy of Arts and Sciences.

Anhand des historischen Justizdramas zeigt sie, wie die Mittellosen mit den nicht ganz so Mittellosen gegen die Elite aufstehen und unter tatkräftiger Unterstützung der Medien den Tichborne-Prozess in die Länge ziehen. Die Unzufriedenheit ist so groß, dass die aufgeputschten Massen, entgegen aller Vernunft, in einem fettleibigen Metzger den verschwundenen britischen Dandy erkennen wollen. Doch sind Täuschung und Selbsttäuschung nicht nur auf der Straße und in der Politik allgegenwärtig.

Berührend und komisch

Unter den Zuschauerïnnen ist Eliza Touchet, eine gebildete Frau, die für die Abschaffung der Sklaverei eintritt, sich aber der emotionalen Teilnahme der Massen an dem Prozess nicht gänzlich entziehen kann. Für die Wahrheit gebe es keine Sprache, heißt es an einer Stelle des Romans. Auch Eliza scheitert bei dem Versuch, ihren persönlichen und politischen Ambitionen gerecht zu werden. Sie fungiert als Erzählerin der turbulenten Geschichte, die sich über vier Jahrzehnte erstreckt. Im Ton der Romane ihrer Vorläufer William Makepeace Thackeray und Charles Dickens führt die Autorin ihren Leserïnnen Verhältnisse vor, die bei aller Tragik berührend, aber auch komisch sind.

Eliza ist zugleich emanzipiert und an die Frauenrolle gekettet. Ihre Gedanken hingegen sind trotz der historischen Kulisse brandaktuell. Die Witwe verfügt über eigenes Geld. Doch ist es so wenig, dass sie auf die Verwandtschaft angewiesen bleibt und als Haushälterin ihres Cousins, des Schriftstellers William Harrison Ainsworth, ihr Leben fristet. Warum das so ist, und was diese Lage womöglich mit den britischen Kolonien in Jamaika zu tun hat, wird in diesem allseits hochgelobten Buch nach und nach enthüllt.

Zadie Smith, Betrug, 528 Seiten, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2023, Hardcover 26 Euro, Taschenbuchausgabe 14 Euro.

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