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Berlins verfehlte Stadtplanung: Der neue Gendarmenmarkt als Symbol der Leere
Stadtplanung wie aus dem Hades: Der Berliner Drang zur untoten Leere
Kommentar: Der Gendarmenmarkt ist mehr als die grotesk misslungene Neugestaltung eines Platz. Er ist ein Sinnbild für die Leere in den Köpfen der Berliner Stadtplaner und für ihren aggressiven Hass auf alles Lebendige, Schöne, Organische

Ein geschichtsträchtiger Platz im Herzen der Hauptstadt, eingerahmt von einem Konzerthaus, zwei domartig emporragenden Museen und stattlichen Bauten. Es bietet sich die Chance, diesen Platz neu zu denken, neu zu gestalten, grundlegend zu sanieren. Am Tag der Eröffnung des neuen Platzes stellen die Honoratioren der Stadt sich in einer Reihe auf. Der Bürgermeister verkündet: „Der Gendarmenmarkt, einer der schönsten Plätze Berlins, ja einer der schönsten Plätze Europas, erstrahlt in neuem Glanz.“ Seine Stellvertreterin fügt hinzu: „Berlin hat sein schönstes Wohnzimmer zurück: der Gendarmenmarkt erscheint in neuem Glanz und ist zu einem der modernsten Stadtplätze Europas geworden.“
Doch hinter, vor und neben den Honoratioren ist – nichts, oder genauer gesagt das Nichts. Der „neue“ Gendarmenmarkt ist, mit Ausnahme weniger Sitzgelegenheiten, eine kahle, konturlose, steinerne Fläche ohne jeden Ansatz von Gestaltung. Zwar hieß die Agentur, die mit der Neugestaltung beauftragt war, „Grün Berlin“, doch von Grün fehlt jede Spur. Botaniker, die hier die Stadtnatur erforschen wollen, müssten auf Mikroalgen spezialisiert sein.
Der steinerne Horror vacui
In Physik wie Kunst kennt man den Horror vacui, die Angst vor der Leere und den Drang, sie zu füllen. Jetzt gehören zum Horror vacui auch Politiker, die Magiern gleich ein veritables Nichts als ein Etwas zu inszenieren versuchen. Es gab bei der Einweihung keine Menschenmenge, aus der heraus ein kleiner Junge wie im Märchen hätte rufen können: „Aber der Platz ist doch nackt!“
Graues Grauen: Das Entsetzen ist groß, wie es sein kann, wie mehrere Senate in Folge, darunter zwei von den Grünen kontrollierte, diese urbane Leerstelle schaffen konnten. Alles an diesem Platz ist falsch, mit Ausnahme der Wasserentsorgung. Dass Regenwasser gesammelt und im Untergrund versickert wird, führt der Berliner Senat als Argument an, warum der neue Gendarmenmarkt „klimagerecht“ sei. Geschaffen wurde hingegen ein Anschauungsobjekt, zu welchen Absurditäten ein rein technisch verstandener Klimaschutz führen kann. An der Oberfläche sind die Bewohner und Besucher der Stadt der prallen Sommerhitze schutzlos ausgesetzt, man kann sich bestens vorstellen, wie Vögel, die im Juli oder August am falschen Tag nichtsahnend auf dieser Hitzeinsel landen, einfach verdampfen. Dass der Platz es an heißen Tagen wirklich auf eine Bodentemperatur von 50 oder 60 Grad Celsius bringen wird, lässt kaum die Assoziation eines „städtischen Wohnzimmers“ zu. Aber alles in Ordnung, das Regenwasser wird versickert!
So schön ist der neue Gendarmenmarkt, dass jetzt ein Banner aufgehängt werden musste mit dem großbuchstabigen Hinweis: „Unser schönster Platz!“

Von der organischen Fantasie zum grauen Hades
In der Berliner Gemäldegalerie hängt ein Bild aus einer Zeit, in der der neue Gendarmenmarkt als modern gegolten hätte. Es heißt „Architektonische Perspektive“, wird Francesco di Giorgio Martini zugeschrieben und wird auf 1490 datiert. Auch hier sehen wir einen Platz, auf dem Menschen wirken, als müssten sie in die Rolle von Schachfiguren schlüpfen, und auf dem jedes Grün fehlt. Aber drei Dinge sind zu bedenken: Es handelt sich um die idealisierte Ansicht einer Idee; die Menschen in dieser Frühzeit der Aufklärung hatten das verständliche Ansinnen, inmitten einer noch üppig wachsenden Natur kleine Inseln geometrisierter Rationalität zu schaffen – und am Ende des Platzes liegt das kühlende Meer.
Nichts davon im Berlin von heute: Es wird den Bewohnern und Besuchern ein Platz ohne jede Idee übergeben; es bräuchte für die überhitzten Stadtzentren dringend Inseln des Lebendigen – und die kühlende Ostsee ist vom Gendarmenmarkt dreihundert Kilometer entfernt. Auch das schon an sich falsche, aber in Berlin beliebte Argument, dass doch die glorreiche Vergangenheit der Stadt rekonstruiert werden müsse, geht ins Leere: Zahlreiche historische Aufnahmen zeigen den Gendarmenmarkt begrünt mit Beeten und Sträuchern.
Neu gepflanzte Bäume, Beete, Sträucher – es gibt sie im Zentrum Berlins hauptsächlich in der Fantasie, etwa des Künstlers Jan Kamensky, der zeigt, wie der Gendarmenmarkt auch hätte gestaltet werden können. Wie leicht dieses Paradies zu haben gewesen wäre! Noch schmerzhafter anzuschauen ist Kamenskys Video, in dessen letzter Sekunde der Schnitt von der organischen Fantasie zum realen grauen Hades erfolgt.

Aber wenn es doch nur der Gendarmenmarkt wäre. In Wahrheit spiegelt die Leere auf dem Platz die Leere in den Köpfen der Berliner Stadtplaner wider. Es herrscht in Berlin ein regelrechter Hass auf alles Lebendige, Geschwungene, Grüne. Die letzten Zeugnisse eines organischen Denkens, Planens und Bauens stammen von Hans Scharoun, dem legendären Stadtbaudirektor der Nachkriegszeit, der in der Nähe des Potsdamer Platzes mit Philharmonie und Staatsbibliothek zwei Gebäude hinterlassen hat, die die meisten Neubauten der letzten dreißig Jahre an Modernität und Zukunftsgewandtheit übertreffen.
Doch seit dem unheilvollen Wirken von Hans Stimmann als von der SPD nominierter Stadtbaudirektor und zuständiger Staatssekretär zwischen 1991 und 2006 ist es Berliner Maxime, die Stadt totzugeometrisieren, totzuhistorisieren, totzublockrandbebauen. Ein Heer von untoten Klongebäuden ist entstanden, die allen preußelnden Vorgaben Stimmanns gerecht werden und sich doch nur anfühlen wie die billige Synthetik amerikanischer Mittelstädte. Noch kein Berliner Stadtplaner ist aus dem bleischweren Schatten Stimmanns getreten und hat dessen fluchhaften Zwang zur steinernen Stadt beiseite gefegt – wofür schon aus Gründen des Lebens und Überlebens in Zeiten des Klimawandels alles spricht, denn in den Hitzewellen der Zukunft wird es in dem Berlin, das heute gebaut wird, unerträglich.
Baumfällungen als gäbe es kein Morgen
Die Berliner Liebe zur untoten Leere ist indes so groß geworden, dass nun am Marx-Engels-Forum gegenüber des zu Ehren von Kolonial- und Kriegsverbrechern aufgebauten Disney-Stadtschlosses für eine „klimagerechte“ Ufergestaltung erstmal 35 teils alte Bäume abgeholzt wurden. Der siegreiche Architektenentwurf sieht aus wie ein Gendarmenmarkt mit Rollrasen. Aber klar, es werden ein paar Bäume nachgepflanzt.
Alte Bäume werden auch andernorts in der Stadt gefällt, als gäbe es kein Morgen – manchmal auch einfach nur für eine temporäre Baustelle, bei der man den Autofahrern keine Umwege oder Engpässe zumuten will. Die ganze bräsige Lieblosigkeit, die hinter solchen und ähnlichen Aktionen steckt, schreit einen förmlich an, wenn man in Wilmersdorf vor dem Gebäude der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung am Fehrbelliner Platz steht, zwischen Autos, Zigarettenstumpen und Dreck. Auch dass es kein Senat und keine Bezirksverwaltung geschafft hat, für eine verkehrsberuhigte Friedrichstraße Ideen zu realisieren, die über auf den Asphalt gekippte Sperrholzmöbel hinausgingen, gehört zu diesem Armutszeugnis, so wie der leblose Platz ausgerechnet vor dem „Futurium“ in Mitte, wo eine bessere Zukunft ersonnen werden soll, und das neue Kulturforum, wo Planer gerade hektisch versuchen, in der Steinwüste noch einen grünen Klecks zu platzieren.

Solche Unorte gibt es überall – aber wenn sie in den 2020er Jahren gezielt so geplant werden, ist das ein Skandal und ein Vergehen am öffentlichen Raum.
Ein stadtplanerischer Schutzschirm aus Paris?
Wer in letzter Zeit Paris besucht hat, weiß, wie anders sich eine Stadt entwickeln kann. Unter der Bürgermeisterin Anne Hidalgo werden systematisch Bäume gepflanzt, Plätze mit städtischer Natur angereichert, Schulstraßen verkehrsberuhigt und begrünt, urbane Schnellradwege und Grüntrassen geschaffen. In Paris kann man erleben, was städtische Moderne im 21. Jahrhundert heißt: Liberté, Égalité, Fraternité, Biodiversité. All das sucht man in Berlin vergeblich. Und wo es solche Orte gibt, müssen sie mühsam verteidigt werden.
Man möchte in Zeiten, in denen Deutschland unter den nuklearen Schutzschirm Frankreichs kriechen will, auch um einen ästhetischen und ökologischen Schutzschirm aus Paris bitten. Wie herrlich wäre es, wenn das Stadtplanungsteam von Anne Hidalgo in Berlin freie Hand und zehn Jahre Zeit bekäme. Auch das ist nur ein Traum, eine Seifenblase. In der Berliner Realität wird ein das Untote verherrlichender Senat die Stadt immer weiter entleeren, Radwege demontieren, Straßenbäume fällen – und nicht einmal merken, was fehlt.
Berlin, wo einst die Moderne mit erfunden wurde, wird zum traurigen Sinnbild einer kümmerlichen, tristen, nicht kunstvoll, sondern künstlich wirkenden Anti-Moderne.