Leben wir länger krank?

Chronische Erkrankungen nehmen unaufhaltsam zu. Neuere Daten deuten darauf hin, dass wir künftig einen größeren Teil unserer Lebenszeit bei eingeschränkter Gesundheit verbringen.

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Eine illustrierte Figur geht am Stock mit gebeugtem Rücken.

Schon häufig haben andere Journalist:innen und ich zu der Frage geschrieben, wie sich das Leben verlängern lässt. Texte über die „Methusalem-Formel“ und „Jungbrunnen-Medikamente“, die den Tod hinausschieben, verkaufen sich in den Medien wunderbar. Nicht so begeistert waren Redaktionen indes, als ich ihnen einen Text über neuere Forschungen anbot, der der Frage nachgeht, ob wir nicht einfach nur länger krank leben – mit Medikamenten und Beschwerden. Drei Ablehnungen bekam das Thema, ehe es kürzer und anders zugeschnitten im Schweizer Onlinemedium higgs.ch erschien. Deshalb bekommt es hier Raum im Online-Magazin "Unverkäuflich".


Siegried Geyer schickt eines vorweg: „Ich bin ein positiver Mensch.“ Und deshalb hat der Gesundheitssoziologe von der Medizinischen Hochschule Hannover nur mit positiven Ergebnissen gerechnet, als er sich der Frage zuwandte: Leben wir länger gesund? „Ja, natürlich“, dachte er sich.

Aber wissenschaftlich ist der Zusammenhang bisher nicht profund untersucht. Deshalb sammelt Geyer nun seit 2013 mit elf weiteren Forschern in mehreren Projekten Daten. Die Lage beim Lungenkrebs, bei Diabetes mellitus typ 2 – der Zuckerkrankheit – und bei Herzinfarkten haben sie bis dato analysiert.

„Beim Lungenkrebs ist der Trend noch positiv. Die Leute rauchen weniger; sie bekommen weniger Lungenkrebs. Und wenn sie erkranken, können sie heute länger überleben“, sagt Geyer. Aber schon beim Herzinfarkt irritierte ihn etwas: Bei den Älteren über 60 Jahren konnte er zeigen, dass sie weniger unter den Folgen eines Herzinfarktes litten als noch vor Jahren. Aber in der Altersgruppe zwischen 45 und 60 nehmen Herzinfarkte in Deutschland zu und bedingen dann viele Lebensjahre mit geschwächtem oder vorgeschädigtem Herzen. Geyer sagt: „Diese Menschen haben dann Jahrzehnte in kränklichem Zustand vor sich.“ Gerade bei der mittleren Generation dehnt sich also die Morbidität in Bezug auf Herzinfarkte aus.

Noch düsterer wurde das Bild, als der Gesundheitsökonom sich dem Diabetes zuwandte. „Immer mehr Menschen erkranken an der Zuckerkrankheit und zwar leider immer früher – aktuell sind es acht Prozent. Entgegen der Erwartung nehmen die gefährlichen Folgen von Nierenversagen über Herzleiden bis zum diabetischen Fuß trotz Medikamenten nicht wirklich ab.“ Wenn Menschen früher erkranken, sind sie folglich länger krank und sammeln mehr Folgeleiden an.