Infinitesimal: Craig Taborn, solo

Hamburg, Laeiszhalle, 12.2.2019

2 Minuten
Ein Mann am Klavier von der Seite.

Ein Ton zunächst. Ein zweiter. Dann ein dritter. Craig Taborn, der Mann am Klavier da vorne auf der Bühne, geht seinen Solo-Auftritt im kleineren Saal der Laeiszhalle langsam an, bedächtig, und er vermeidet es mit stoischer Konsequenz, in ausgetretene Wege einzubiegen: keine fesche Harmonie, keine wohlfeile melodische Entwicklung, keine Wiederholung, keine vorgefertigte Form, kein Blues, kein Lied, auch keine Sonate. Nur immer weiter, so, wie sich die Ideen entwickeln, das Eine verbindet sich mit dem Andern und verändert sich unter dem Einfluss des Dritten.

Nach und nach füllt Taborn den klanglichen Raum, entwickelt aus den aufeinanderfolgenden Tönen Zusammenklänge, kleine Muster, die er variiert, melodische Ideen, Rhythmen. Fast unmerklich verdichtet sich der Klang, Taborns Spiel wird lauter, drängender, aus den ersten, suchenden Tönen sind längst Klangberge entstanden und immer mehr zeigt der Flügel von seiner klanglichen Vielfalt, von dieser klirrenden Schärfe im Diskant, der Wärme des mittleren Registers und der wuchtigen Resonanz tief unten in den Bässen. So langsam kommt er ins Ächzen und ins Schwitzen und mit ihm Taborn, der dem Instrument so einiges abverlangt, und sein Publikum.

Es ist ein beanspruchender Abend, die lässigen Kennergespräche sind längst verstummt, als Taborn nach einer guten Fünfviertelstunde die Dynamik in einer letzten Klimax noch einmal anzieht und den Klang schließlich verhallen lässt. Nun löst sich die Spannung in Begeisterung, auch der zuvor so ferne Mann auf der Bühne wirkt plötzlich nahbar und gelöst. Zugabe. Ovation. Glück.

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