Danke, dass ich nicht bin wie jene
Die Verfassungsnews der Woche
Gestern war ich im Kino, „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“, toller Film. Im Vorprogramm lief ein Werbespot unserer linksliberalen Lieblings- und Wohlfühlzeitung taz, in dem eine junge Frau die Metzgerei „Internet“ betritt. Das Interieur ist in beiges Funzellicht getaucht, die Fliegen brummen, und hinter der Theke steht ein blonder Hüne mit wirrem Haar und irrem Blick und einem Hackebeil in der Hand. In der Auslage werden "Lügenwalder", "Wutwurst" und "Salamimimi" feilgeboten. Am Stehtisch schlürft ein ungewaschener Typ mit 80er-Jahre-Kassenbrille irgendetwas Bräunliches in sich hinein, bevor er anfängt, sich die Nasenhaare zu stutzen. "Was ist das?", fragt die Frau, als ihr der Metzger einen Klumpen Fettiges hinhält. "Hass", sagt er. "Darf’s ein bisschen mehr sein?" Näh, sagt die Frau, worauf Metzger und Typ in debiles Gelächter ausbrechen und die Kundin entsetzt von dannen flieht.
Die taz, drunter macht sie’s natürlich nicht, will mit diesem Stück Lichtspielkunst nicht nur ihre vegane Prenzlauer-Berg-Klientel um sich scharen, sondern obendrein "einen nur noch über Hass und Abgrenzung kodierten Internetdiskurs fühlbar (…) machen", lässt sie uns in ihrem Hausblog wissen. Und, in der Tat, das ist ihr gelungen, vielen Dank dafür. Denn was sie damit fühlbar macht, und zwar in fassungslos machender Deutlichkeit, ist das Maß, in dem mittlerweile der Diskurs über Hass und Abgrenzung seinerseits über Hass und Abgrenzung kodiert ist. Ich musste mir beim Anschauen dieses Spots vorstellen, was wohl meinen Nachbarn in der Uckermark fühlbar geworden wäre, hätten sie neben mir im Kinosaal gesessen. Was sie empfunden hätten, wenn sie diesen lippenkräuselnden, angewiderten Blick auf sich hätten spüren müssen, auf ihren Klamotten, auf ihren schlechten Zähnen, auf ihren Ernährungsgewohnheiten und ihren Einkommensverhältnissen.
Ich gehöre sicherlich zur Zielgruppe dieser taz-Kampagne, zumal ich einen erheblichen Teil meiner Lebens- und Arbeitszeit in die Auseinandersetzung mit Hass, Abgrenzung und Internetdiskurs investiere. Gerade deshalb kann ich nichts weniger gebrauchen als so einen kumpelhaften Rippenstoß des Einvernehmens unter taz-lesenden Distinktionsgewinnlern. Sich in dieser Auseinandersetzung von den Anderen entlang sozialer Schichtung abzugrenzen und diese Grenze durch die physische Ekligkeit der Anderen zu markieren: Freunde, habt ihr sie noch alle?
Die Macht der Parteien
Genug damit, und zu den Themen der Woche – allen voran natürlich dem Koalitionsvertrag. Den finden ringsum alle doof, zu wenig visionär, zu wenig Aufbruch, zu viel Vagheit, zu viele Kompromissformeln, als sei uns jemals etwas anderes versprochen worden als ein Notbündnis dreier Parteien, die einander überhaupt nicht mögen und mit dieser Koalition alle drei ein existenzielles Risiko eingehen. Aber das schreibt sich halt leicht mal so hin als leitartikelnder Silberrücken und auf dem Feldherrnhügel transatlantischer Punditry thronend, denn dass dies nicht gerade eine von Siegesrausch überschäumende Regierung ist, die jetzt ihr Amt antritt, ist ja unbestreitbar wahr. Mögen andere sich nach Gerhard Schröders Brustkorbgetrommel sehnen; ich bin einigermaßen zuversichtlich, dass die Aufgabe, gemeinsam mit Macron die Europapolitik aus der Austerity/Transferunion-Klemme herauszulösen, bei dem Quartett Merkel, Altmaier, Schulz Gabriel und Scholz in all seiner Unansehnlichkeit in gar nicht so schlechten Händen ist. (Dies alles vorausgesetzt, dass sich die SPD bis zum Start der Koalition nicht noch total zerlegt.)
In jedem Fall müssen wir noch den 4. März abwarten, an welchem Tag die SPD das Ergebnis ihrer Mitgliederabstimmung bekannt geben will. Diesen Mitgliederentscheid sehen manche als verfassungsrechtliches Problem, darunter der unvermeidliche Hans-Jürgen Papier, der seit seiner Pensionierung zuverlässig den Finger schneller oben hat als alle anderen, wenn es irgendwo etwas zum Verfassungswidrigfinden gibt. Die Regierung, so das Argument, werde vom Bundestag gewählt und nicht von den Parteien, und wenn die Entscheidung darüber an die Parteibasis ausgelagert werde, dann beeinträchtige dies das freie Mandat der Abgeordneten. Politisch scheint mir der Drang der Parteiführung, ihre Verantwortung an die Basis auszulagern, mit guten Gründen kritisierenswert. Aber rechtlich? Eine Rechtspflicht der Abgeordneten, dem Mitgliederentscheid zu folgen, gibt es eh nicht. Der Koalitionsvertrag ist kein Akt des dem Gemeinwohl verpflichteten Staates und auch keiner der ihrem Gewissen verpflichteten Abgeordneten, sondern wird von Parteien geschlossen, die jeweils höchst eigennützige politische Interessen bündeln, und zwar mit der Funktion, genügend Gemeinsamkeiten und Quid-pro-Quo-Kompromisse zu markieren, dass man sich wechselseitig glaubt, dass die anderen die eigenen Kandidaten mitwählen und die eigenen Gesetzentwürfe mitverabschieden werden, und umgekehrt. Ob die Parteien sich das glauben oder nicht, müssen sie entscheiden. Und in welchem Verfahren sie das tun, ist ihre Sache.
Eine der Kuriositäten des Koalitionsvertrags ist das neue Amt eines "Heimatministers", als welcher CSU-Chef Horst Seehofer das Innenressort künftig zu leiten gedenkt. Da kann man von Berlin aus füglich spotten ("Home is where the Horst is", twitterte wiederum die taz, sie ist ja schon auch klasse). Kurios erscheint mir diese Innovation aber vor allem deshalb, weil es gerade die CSU war, die sie durchgesetzt hat. Sich um Heimat zu kümmern, um das Sichzuhausefühlen, die regionale Kultur und Landschaftspflege, die Trachten- und die Schützenvereine – das, sollte man meinen, ist erst einmal entschieden Sache der die Kulturhoheit tragenden Länder und der Kommunen. Und über den Föderalismus zu wachen und das Ausgreifen der Bundesebene auf das Daheimsein in Haßfurt, Deggendorf und Dinkelsbühl aufs Äußerste alarmierend zu finden – das, sollte man meinen, wäre doch eigentlich die vornehmste Aufgabe der Christlich-Sozialen Union. Nun, der Eindruck täuscht offenbar, denn was der Söder Markus in München so erfolgreich praktiziert hat, das will der Seehofer Horst in Berlin halt auch haben, denn dafür ist die CSU zweifelsfrei eigennützige und machtbewusste Partei genug, um zu unterscheiden, wer da in Bayern und anderenorts Bundesheimatpflege betreibt.
Erinnerungskriege
Das war jetzt viel über Deutschland, wo es doch anderswo in dieser Woche durchaus auch heiß herging – in Brüssel beispielsweise, wo sich Kommission und Europaparlament rüsten, für die nächsten Europawahlen 2019 erneut den so genannten Spitzenkandidatenprozess durchzusetzen: dass nämlich die europäischen Parteien mit Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten ins Rennen gehen, den der Rat der Mitgliedsstaaten dann in dieses Amt zu wählen hat. Hier wird um Macht gerungen, wenngleich nicht zwischen Parteien, sondern zwischen europäischen Verfassungsinstitutionen, und dann doch auch wieder zwischen Parteien, nämlich den etablierten konservativen, sozialistischen und liberalen Volksparteien auf der einen Seite (sehr dafür) und Newcomern wie Macrons En Marche oder Babiš’ ANO auf der anderen (gar nicht dafür).
In Polen hat Präsident Duda das umstrittene Gesetz, das Aussagen zu polnischer Kollaboration mit NS-Verbrechen potenziell unter Strafe stellt, gleichzeitig unterzeichnet und dem Verfassungsgericht zur Überprüfung vorgelegt – ein Manöver, das MARCIN MATCZAK als Ausweis rechtsstaatlicher Besonnenheit des PiS-Präsidenten nicht gelten lassen will. ALINA CHERVIATSOVA zeigt, welch gefährliche Dynamik sich da gerade im Erinnerungskrieg zwischen Polen und seinem östlichen Nachbarn Ukraine aufschaukelt.
In Irland riskieren Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen wollen, und Ärzt_innen, die ihnen dabei helfen, massive Strafen, und die Verfassung selbst sorgt seit 35 Jahren dafür, dass sich daran nichts ändern kann. Jetzt kommt aber Bewegung in die Sache, wie FERGUS RYAN berichtet: Irlands Regierung hat ein erneutes Verfassungsreferendum zu dem Thema angekündigt.
Das deutsche Netzwerkdurchsetzungs-Gesetz (NetzDG), das soziale Medien zum Löschen von Hass-Posts verpflichtet, hat bisher fast durchgängig heftige Kritik erfahren. STEFAN THEIL springt dem Gesetzgeber zur Seite und hält das Gesetz unterm Strich für einen Schritt in die richtige Richtung. NATALIE ALKIVIADOU kritisiert an den europa- und völkerrechtlichen Ansätzen zur Regulierung von Hassrede eine „Hierarchie des Hasses“, die einige Adressaten von Hass schlechter schützt als andere.
Den fortdauernden Streit, ob die Mehrheit im deutschen Bundestag der AfD ihre Kandidaten für parlamentarische Ämter, auf die sie ein Anrecht hat, verweigern kann, kommentiert HEIKO SAUER und schlägt einen Kompromiss vor zwischen dem Recht aller Abgeordneten, an der Parlamentsarbeit mitzuwirken, und ihrem Recht, über interne Personalfragen zu entscheiden.
Im Bundesland Hessen bereitet die schwarz-grüne Koalition eine Reform des Verfassungsschutzgesetzes vor, samt „Hessen-Trojaner“. Was aus verfassungsrechtlicher Sicht davon zu halten ist, analysieren RALF POSCHER und BENJAMIN RUSTEBERG.
Anderswo
KLAUS FERDINAND GÄRDITZ schließt sich meiner Forderung an, aus Anlass der Entwicklungen in Polen, Ungarn usw. das deutsche Grundgesetz wetterfest zu machen, und fordert vor allem eine „ verfassungsrechtliche Sicherung der Funktionsbedingungen eines politisch unabhängigen BVerfG“.
MARCO MEYER und LUCAS TOMIAK halten ebenfalls nicht viel von dem Argument, der SPD-Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag stehe der freien Mandatsausübung der Abgeordneten des Deutschen Bundestags im Wege.
GARETH DAVIES analysiert den Stand der Debatte dazu, was nach dem Brexit aus den Rechten von Brit_innen in der EU und der EU-Bürger_innen in UK wird. RONAN McCREA berichtet von einer Vorlage eines niederländischen Gerichts an den EuGH zu dieser Thematik und hofft, dass Luxemburg die Vorlage zurückweisen wird.
MICHEL WAELBROECK und PETER OLIVER gehen die Optionen der EU durch, das Rechtsstaatsprinzip in Polen und Ungarn durchzusetzen, und beklagen, dass die Kommission, wenn sie schließlich aktiv wird, meist zu spät kommt.
JEAN-PHILIPPE DEROSIER warnt davor, den Drang der siegreichen Autonomisten nach einer Verankerung Korsikas in der französischen Verfassung zu missachten und so den Sturm des regionalen Sezessionismus anzufachen.
ANDREAS ZIMMERMANN analysiert die Entscheidung des Ministerausschusses des Europarats, zum ersten Mal ein Vertragsverletzungsverfahren gegen ein Mitgliedsland – hier: Aserbaidschan – zu starten, das sich hartnäckig weigert, ein Urteil des EGMR umzusetzen.
Entertainment und Verfassungsrecht sind im Vereinigten Königreich oft ein und dasselbe, weshalb ich zu guter Letzt die sehr ernsthaften Betrachtungen von BOB MORRIS zu der Frage, was das Netflix-Drama „The Crown“ und die Celebrity-Hochzeit von Prinz Harry für die Fortentwicklung der britischen Monarchie bedeuten, zur Lektüre empfehle.
Damit genug für heute. Ihnen eine gute Woche und, je nach Heimat, viel Spaß im Karneval, Fasching, Fastnacht oder garnix!
Ihr Max Steinbeis