Demografische Zeitenwende: Deutschland wächst Richtung 100 Millionen Einwohner
Lange wurden alle Planungen darauf ausgerichtet, dass künftig immer weniger Menschen in Deutschland leben. Doch die große Schrumpfung ist abgesagt. Deutschlands Bevölkerung wird neuen Szenarien zufolge sogar deutlich wachsen. Das bringt neue Probleme – hat aber auch Vorteile
Im Jahr 2006 waren sich die Demografie-Forscher des Statistischen Bundesamtes bei der weiteren Entwicklung Deutschlands ganz sicher: „Bei der Fortsetzung der aktuellen demografischen Entwicklung wird die Einwohnerzahl von fast 82, 5 Millionen im Jahr 2005 auf 74 bis knapp 69 Millionen im Jahr 2050 abnehmen“, verkündete das Wiesbadener Amt damals bei der Vorstellung der „11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung“.
Doch im Jahr 2022 klingt dies ganz anders. Das Statistische Bundesamt habe eine neue Berechnung vorgelegt, die „ganz plausibel“ davon ausgehe, dass die Bevölkerung in Deutschland bis 2070 „weiter gegen 90 Millionen wächst“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am 10. Dezember bei einem Auftritt in Potsdam. Dazu passt die Meldung des Statistischen Bundesamts, dass im ersten Halbjahr 2022 erstmals mehr als 84 Millionen Menschen in Deutschland lebten.
Damit hat auch die deutsche Demografie-Entwicklung ihre „Zeitenwende“ – und ein radikales Umdenken beginnt, das alle Bereiche des Lebens betrifft. Denn bisher war die Republik gedanklich und planerisch auf Schrumpfungskurs. Dass die Bevölkerung nicht nur im Durchschnitt älter, sondern auch immer kleiner wird, lag fast allen Planungen des Staates und auch vieler Unternehmen zugrunde.
Deutschland werde EU-Meister im Schrumpfen, hieß es
Ob Verkehr, Wohnungen, Schulen, Energiebedarf, Stadtentwicklung oder Personalplanung – seit mindestens dem Jahr 2000 wurden in allen Strategien sinkende Bevölkerungszahlen eingearbeitet. Befeuert wurde dies durch Medien und Thinktanks wie die Bertelsmann-Stiftung und das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, das etwa 2008 schrieb, auch eine neue Familienpolitik, werde „freilich nicht verhindern können, dass Deutschland in den nächsten Jahrzehnten mehr Einwohner verliert als jedes andere Land der EU.“ „Die Einwohnerzahl nimmt spürbar ab“, lautete noch 2010 ganz selbstverständlich die Ausgangsdiagnose des „Forums Demographischer Wandel“ des Bundespräsidenten.
Regierungen und Parlamente in Bund und Ländern verinnerlichten diese Aussagen. Die Haushaltspolitiker der verschiedenen staatlichen Ebenen freuten sich zunächst, dass sie Ausgaben mit dem Hinweis auf das erwartete Sinken der Bevölkerungszahl kürzen konnten. Umgekehrt gerieten die Rentenpolitiker immer tiefer in Sorge, weil absehbar schien, dass nicht immer weniger junge Menschen die Altersversorgung für die Überzahl der Alten stemmen könnten. Diese Sorge war schon 2012 der Grund für die langsame Steigerung des regulären Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre gewesen.
Aber dann entwickelte sich die Bevölkerungszahl ganz anders als vorhergesagt.
Seit 2011 nahm die Bevölkerung zunächst langsam, dann mit der Migrationskrise 2014/2015 deutlich zu. Es stieg nicht nur die Lebenserwartung. Auch die bis dahin relativ niedrige Geburtenrate zog in Deutschland an.
Mehrere offizielle Szenarien mit über 90 Millionen Menschen
Demografen und Statistiker taten sich anfangs schwer mit einem Kurswechsel bei ihren Prognosen. Zu unumstößlich hatte man die Schrumpfung dargestellt. Doch wegen der Entwicklung der tatsächlichen Zahlen begann das Statistische Bundesamt die Zahl der möglichen Szenarien zu erhöhen, bei denen sie für Zuwanderung, Geburtenrate und Lebenserwartung jeweils unterschiedliche Prognosen hochrechneten.
In der 14. Bevölkerungsvorausberechnung 2018 gab es immerhin schon ein Szenario, das die Bevölkerungszahl auf 90, 9 Millionen Menschen steigen sah – bei einer Minimalbevölkerung von 74 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern bis 2060.
Nun brachte Anfang Dezember die 15. Vorausberechnung bis 2070 aber die große Wende. Es werden immer mehr Varianten gerechnet. Dazu gehören auch solche, die unter bestimmten Bedingungen eine abnehmende Zahl an in Deutschland lebenden Menschen sehen. Als niedrigste Variante wird von nur noch gut 70 Millionen Einwohnern in 2070 ausgegangen – unter den Bedingungen von niedriger Zuwanderung, niedriger Geburtenrate und nur langsamer Zunahme der Lebenserwartung.
Aber gleichzeitig landen erstmals gleich vier der Varianten über einer Zahl von 90 Millionen – eine geht sogar von einer möglichen Bevölkerungszahl von 94, 4 Millionen im Jahr 2070 aus. Dies ist nicht mehr weit von der Zahl 100 Millionen entfernt, die wir bereits im Jahr 2013 angesichts des eintretenden neuen Trends plakativ als Option beschrieben haben – wofür wir damals allerdings noch deutliche Skepsis ernteten. Auch die Politik änderte in der Zwischenzeit ihr Verhalten nicht: Viele Probleme von heute – von fehlenden Wohnungen bis zu Personalmangel in den Verwaltungen – hängen damit zusammen, dass man das Land viel zu spät auf eine wachsende Bevölkerung vorbereitet hat.
Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, wie sehr es in die Irre führen kann, wenn man für Prognosen nur aktuelle Trends zugrunde legt. Lange Zeit wurde aus Routine mit einer Netto-Zuwanderung von 100.000 oder 200.000 Menschen pro Jahr gerechnet. Doch dann kamen allein 2015 rund 1, 1 Millionen Menschen aus Syrien und anderen Krisenländern nach Deutschland. Während der Zeit strenger Corona-Restriktionen brach die Zuwanderung zeitweise ein, bis Russland die Ukraine angriff. 2022 sind dem Bundesinnenministerium zufolge rund eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen.
Selbst die höchsten Annahmen könnten sich als konservativ erweisen
Für Statistiker ist es nicht leicht, bei einer derart volatilen Lage die richtigen Annahmen zu treffen. Denn natürlich kann es auch in den kommenden Jahrzehnten drastische Wirtschaftseinbrüche geben oder politische Stimmungsumschwünge, die den Zuzug bremsen könnten. Auch neue Pandemien sind möglich.
Aber an den neuen Prognosen des Statistischen Bundesamtes fällt auf, dass selbst die höchsten Annahmen bei Zuwanderung, Lebenserwartung und Geburtenrate eher konservativ gewählt wurden. Das lässt es möglich erscheinen, dass die nächste Berechnung in vier Jahren eine erneute deutliche Korrektur nach oben bringen könnte.
In den Annahmen für die Wanderungsbewegungen mit dem Kürzel „W3“ gehen die Statistiker etwa davon aus, dass zwischen 2022 und 2070 im Schnitt pro Jahr 402.000 Menschen „netto“ einwandern werden – also nach Abzug der jährlichen Auswanderer. Die Jahre 2022 und 2023 werden dabei als „Ausreißer“ nach oben definiert. Bis 2033, so die Annahme in „W3“, nivelliert sich die jährliche Netto-Zuwanderung auf 350.000 Menschen. Zum Vergleich: Das geringste „W1“-Szenario des Bundesamtes geht von einem Zuwanderungssaldo bis 2070 von 183.000 Personen aus.
Regierung will Hochqualifizierte für Deutschland gewinnen
Aber die „W3“-Annahme korrespondiert mit den Erwartungen der Bundesregierung, die ihrerseits mit einem jährlich nötigen Zuwanderungssaldo von 400.000 Menschen rechnet, um den wachsenden Arbeitskräftebedarf zu decken.
Auf die Zahl 400.000 kam das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB). Aktuell gibt es demnach rund 47, 7 Millionen Erwerbstätige in Deutschland. Wegen der Verrentung der Babyboomer-Generation könnte diese Zahl aber zwischen 2020 und 2035 um 7, 2 Millionen und dann bis 2060 erneut um 8, 9 Millionen Arbeitskräfte sinken. Als Ausgleich müssten jährlich 400.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland zuwandern, um diese Lücke auszugleichen.
Dies beschreibt natürlich zunächst nur den Bedarf. Aber weil der Druck auch aus der Wirtschaft wächst, hat die Ampel-Regierung bereits ein weitreichendes Eckpunkte-Papier für die Fachkräfte-Zuwanderung vorgelegt, das einen drastischen Abbau der Hürden für nach Deutschland kommende Arbeitskräfte vorsieht.
In den ersten Monaten 2023 plant Arbeitsminister Hubertus Heil einen entsprechenden Gesetzentwurf. Dabei soll der Fokus anders als früher nicht mehr nur auf den Hochqualifizierten liegen. Denn Arbeitskräfte fehlen mittlerweile in nahezu allen Wirtschaftsbereichen. Voraussetzung für die „Sogwirkung“ Deutschlands ist natürlich, dass die Wirtschaft weiter stark bleibt.
Die Ampel-Regierung will zudem das Staatsbürgerschaftsrecht reformieren und die Einbürgerung erleichtern. Auch dies dient dem Ziel, das Image Deutschlands als Einwanderungsland zu verbessern und das Land damit attraktiver für mehr Zuwanderung zu machen.
Familienpolitik wirkt
Was in den Zahlen nicht wirklich erfasst wird: Neben der geplanten und gezielten Zuwanderung werden weiter viele Menschen nach Deutschland kommen, weil sie aus ihrer Heimat fliehen müssen oder hier ein besseres Leben suchen. Die Bevölkerung des afrikanischen Kontinents soll sich von heute 1, 4 Milliarden Menschen bis 2050 verdoppeln, während gleichzeitig der Klimawandel immer stärker zuschlagen wird. Beim Ukrainekrieg ist die weitere Entwicklung noch unklar. Die deutschen Statistiker gehen sehr zaghaft daran, dies in ihren Annahmen abzubilden.
Die Neuankömmlinge erhöhen jedenfalls die Bevölkerungszahl. Sie sind im Schnitt jünger als die Durchschnittsbevölkerung in Deutschland und können selbst Babys zeugen oder bekommen. Eine Befragung von mehr als 11.000 ukrainischen Kriegsflüchtlingen zeigt, dass mehr als ein Drittel der bisher rund eine Million Menschen – zumeist Frauen und Kinder – zumindest für einige Jahre in Deutschland bleiben will, 26 Prozent davon dauerhaft.
Neben der Migration ist die Geburtenzahl der zweite Faktor bei der Abschätzung der Bevölkerungsgröße. Wird sie steigen und wie stark?
Die rechnerische Kinderzahl je Frau würde in der Geburten-Modellrechnung für die höchste Bevölkerungszahl namens „G3“ zuerst von derzeit 1, 58 auf 1, 71 steigen und sich später bei 1, 67 einpendeln.
Das klingt nach viel, ist aber alles andere als unmöglich, wie die Entwicklung etwa in Schweden und Frankreich zeigen. In Schweden lag die Quote 2020 bei 1, 66 – auch als Ergebnis einer aktiven Familienpolitik, die Frauen etwa mit guten Kinderbetreuungsmöglichkeiten nicht vor die Wahl „Beruf“ oder „Kinder“ stellt. In Frankreich lag die Quote 2020 sogar bei 1, 83, wofür ebenfalls hohe Familienleistungen und ein umfassendes Kinderbetreuungssystem verantwortlich gemacht werden. Zu einem erheblichen Teil können Regierungen diese Quote also mit steuern.
Sprünge in der Biomedizin?
Auch bei der dritten Variable, der Lebenserwartung, klingt die höchste Annahme der Statistiker keineswegs unrealistisch. Zwar hat die Corona-Pandemie mit ihren zahlreichen registrierten und weiteren nicht-registrierten Todesopfern die Lebenserwartung in Deutschland in den vergangenen beiden Jahren um rund ein halbes Jahr reduziert, weil es zu einer sogenannten Übersterblichkeit kam. Wissenschaftler warnen, dass unser Lebensstil und Naturzerstörung zu häufigeren Pandemien führen könnten. Es ist dennoch plausibel, dass der langfristige Trend steigender Lebenserwartung sich aufgrund des medizinischen Fortschritts fortsetzt.
Unter „L3“ wird für Männer im Jahr 2070 eine durchschnittliche Lebenserwartung von 86, 4 Jahren und für Frauen von 90, 1 Jahren gerechnet. Das wären für Männer 7, 8 Jahre und für Frauen 6, 7 Jahre mehr als im Zeitraum 2019 bis 2021. Das klingt viel. Aber das Statistische Bundesamt hat sich dabei nur an Annahmen des 2022 aktualisierten UN-Weltbevölkerungsberichts orientiert. Dazu gehört, dass das Tempo des medizinischen Fortschritts weiter zunimmt und der Konsum von Alkohol und Tabak sinkt. Gerade in der Biomedizin kann es aber auch echte Sprünge geben, etwa bei der Bekämpfung von Krebskrankheiten. Zudem sind Verhaltensänderungen möglich, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen stärker reduzieren als erwartet.
Mehr Menschen verbrauchen auch mehr Energie
Was aber würde es für Deutschland bedeuten, wenn es statt heute 84 Millionen in gar nicht so ferner Zukunft 90 oder 95 Millionen Einwohner geben würde?
Eine gute Nachricht dabei ließ sich bereits in den vergangenen Jahren ablesen. Weil mehr Menschen als erwartet sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren und in die Rentenkasse einzahlten, mussten die Beiträge nicht so deutlich und schnell erhöht werden wie befürchtet. Diese Entwicklung würde sich bei einer weiter wachsenden Beschäftigtenzahl zunächst fortsetzen.
Umgedacht werden muss vor allem in den Städten, wo nach Erwartungen des Statistischen Bundesamtes das Bevölkerungswachstum am größten sein wird. Eine steigende Zahl an Menschen erfordert mehr Wohnungen, einen Ausbau der Infrastruktur und auch des Personals des Öffentlichen Dienstes. Hier zeigt sich bereits jetzt, dass der Tanker Deutschland nicht schnell umgesteuert werden kann. Schon das Ziel, jedes Jahr 400.000 zusätzliche Wohnungen entstehen zu lassen, wird die Regierung nicht einhalten können. Dabei werden bereits jetzt auch wegen der Zuwanderung der ukrainischen Kriegsflüchtlinge viel mehr Unterkünfte benötigt als noch vor zwei Jahren erwartet.
Wichtig ist die Bevölkerungszahl auch für die Energiewende. Mehrere Millionen Menschen mehr, die Strom und Wärme benötigen, würden den Bedarf nochmals deutlich steigern – und das, obwohl Deutschland schon jetzt nicht damit hinterherkommt, auf CO₂-freie Energiequellen umzusteigen.
Für starkes Wachstum planen – oder zu großzügig
Überhaupt nicht diskutiert wird bisher die geopolitische Konsequenz der Bevölkerungsentwicklung. Zwar ändert auch ein Wachstum in Deutschland nichts daran, dass die zahlenmäßigen Boom-Regionen bei der Bevölkerung vor allem in Asien und Afrika liegen werden. Aber demografische Fragen sind auch innerhalb Europas und der EU hochpolitisch. In Nachbarstaaten wie Frankreich oder Polen schaut man mit Argusaugen auf die Entwicklung in Deutschland. Französische Regierungen hatten seit Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert, ob ein bevölkerungsreicheres Deutschland eine Gefahr darstellt. Bis zur Wiedervereinigung waren Westdeutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien in etwa gleich groß. Die deutsche Einheit hat dann aber eine Unwucht gebracht, weil die Bundesrepublik plötzlich der mit Abstand bevölkerungsreichste Staat in der EU wurde.
Das führte dazu, dass im Ringen um den Nizza-Vertrag ein neues Verfahren zur Berechnung der doppelten Mehrheiten und der Neuberechnung der Sitze im Europäischen Parlament beschlossen wurde. Schon die Tatsache, dass Deutschland nun formal mehr Einfluss als etwa Frankreich hat, sorgte für Spannungen. Aber treten die Prognosen tatsächlich ein, dann würde sich die Differenz etwa zwischen einem Deutschland mit 90 Millionen Einwohnern und dem östlichen Nachbarn Polen deutlich vergrößern – wo bis 2050 mit einer schrumpfenden Bevölkerung mit dann nur noch 35 Millionen Einwohnern gerechnet wird.
Dazu kommt: Sollte die deutsche Wirtschaft ihre Stärke behalten, hat sie weitere Sogwirkung für Arbeitskräfte aus anderen EU-Staaten und dem Westbalkan – und verschärft die demografischen Probleme dort. Ähnlich wie in Ostdeutschland könnten wegen des Lohngefälles gerade osteuropäische Länder vor dem Problem einer Abwanderung und sehr schnellen Veralterung ihrer Gesellschaften stehen. Dieser Trend ist jedenfalls heute schon zu beobachten.
Die neue Bevölkerungsprognose bringt also viele politische und gesellschaftliche Herausforderungen mit sich. Und noch sitzt das alte Mantra der Schrumpfung bei vielen tief. Es sollte sich aber gezeigt haben, wie wichtig es ist, verschiedene mögliche demografische Szenarien in den Blick zu nehmen. Für eine steigende Bevölkerungszahl – und dies ist der aktuelle Trend – müsste rascher Vorsorge getroffen werden als bisher, zumal sie volkswirtschaftlich sogar Vorteile bietet.
Kanzlerworte mit großer Tragweite
Auf der anderen Seite steht das Risiko, wieder zu sehr vom aktuellen Trend auszugehen. Das würde dann dazu führen, zu großzügig zu planen und kostspielige Kapazitäten etwa beim Wohnen oder beim Verkehr aufzubauen und dann unterhalten zu müssen, die gar nicht benötigt werden.
Da es wohl nie gelingen wird, die reale Bevölkerungsentwicklung exakt vorherzusehen, müssen Bund, Länder und Kommunen jetzt angesichts der neuen Bevölkerungsprognose entscheiden, ob es unterm Strich riskanter ist, die Bevölkerungszahl zu überschätzen oder wie in den letzten zwanzig Jahren zu unterschätzen.
Deutschland mit 95 oder 100 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner – das klingt für die meisten Verantwortlichen heute noch wie Science-Fiction. Dass nun mit Olaf Scholz erstmals ein Bundeskanzler eine mögliche Bevölkerungszahl von 90 Millionen in den Mund genommen hat, ist daher ein Einschnitt mit großer Tragweite.
Das Statistische Bundesamt, dessen früheren Prognosen zufolge die deutsche Bevölkerung längst massiv geschrumpft sein sollte, zeigt sich dagegen weiter konservativ. Indem die Behörde im neuesten Zahlenwerk Szenarien zwischen 70 Millionen und 95 Millionen Menschen vorlegt, versucht sie frühere Festlegungen auf nur eine Richtung in der demografischen Entwicklung zu vermeiden und sich weniger angreifbar zu machen. Schlägt man die Portalseite zur Demografie auf, wird in großen Lettern für das Jahr 2070 die erwartete Bevölkerung mit 82, 6 Millionen angegeben, also dem Stand des Jahres 2018.