Es gibt keine objektiven Wahrheiten mehr
Ein Gespräch mit Inés de Castro, Direktorin des Linden-Museums Stuttgart
Völkerkundemuseen waren einmal. Nun heißen Museum der Weltkulturen oder Fünf Kontinente Museum. Das Linden-Museum in Stuttgart bleibt bislang ihrem Gründer Karl Graf von Linden treu, und auch im Leitbild ist noch von Völkerkunde die Rede. Sonst wenig, wie es einmal war. Seit 2010 ist Inés de Castro in Stuttgart Direktorin, eine Wissenschaftlerin, die keine Angst vor Veränderung hat. Schon nach ihrem Amtsantritt war für sie klar, dass ein ethnologisches Museum ein Ort der Vermittlung, der Diskussion und der Toleranz sein soll. Diese Vision lässt sich aber nicht von heute auf morgen umsetzen. DebatteMuseum sprach mit Inés de Castro über den aktuellen Stand der Transformation des Museums in ein öffentliches Forum.
Frau de Castro, im Linden-Museum geht es immer auch sinnlich zu. Verkostung von japanischem Whisky oder eine hawaiische Hula-Tanz-Show sind im Museum kein Sakrileg mehr. Auch im Internetauftritt wird das Publikum auf der Ebene von Sehen und Erleben angesprochen, der Forschungsbereich bleibt im Hintergrund. Ist das so gewollt?
Inés de Castro Das ist mir gar nicht bewusst, dass der Forschungsbereich untergeordnet wäre. Es ist mir wichtig, den Forschungsbereich trotz vielfältiger Aufgabenfelder der Museumswissenschaftler aufrecht zu erhalten. Wir haben zwei Projekte mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf den Weg gebracht, eines zu Khurasan, also Afghanistan, Iran, Irak, eines zu Guyana im nördlichen Südamerika. Im EU-geförderten Projekt SWICH vertreten wir Deutschland. Wir sind mit der Universität Tübingen an einer Exzellenz-Initiative zum „Schwierigen Erbe“ beteiligt. Und wir haben einen Nachfolge-BMBF-Antrag mit Tübingen laufen. Die Bosch-Stiftung fördert uns ein Projekt zum Dialog mit Kamerun, das im Dezember starten wird.
Nicht so richtig auf ersten Blick zu verstehen ist, was sich auf der Homepage hinter der Überschrift „Hinter den Kulissen“ verbirgt. Sind es Feature, die Restauratoren bei der Arbeit zeigen, Geschichten über Ehrenamtliche im Shop?
In diesem Bereich der Homepage geht es um Projekte und Kooperationen des Museums, insbesondere im Bereich Partizipation. Hier finden sich zum Beispiel Berichte über unsere Residencies. Zusammen mit Vertretern aus den sogenannten Herkunftsgesellschaften, also aus den Gesellschaften, aus denen unsere Sammlungen stammen, aber auch mit Vertretern aus der diversen Stadtgesellschaft vor Ort, suchen wir gemeinsam nach neuen Formen, an unseren Sammlungen zu arbeiten, und diese gemeinsam zu entschlüsseln. Dadurch können auch alte Sammlungen vom Ende des 19. Jahrhunderts für die Gegenwart relevant werden. Wir arbeiten seit vielen Jahren partizipativ an verschiedenen Projekten.
Die Debatte um das Berliner Humboldt Forum hat in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, dass die ethnologischen Museen etwas überrumpelt waren von der Provenienzfrage. Ist das richtig?
Ich kann nicht für Berlin sprechen. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten betreiben zahlreiche ethnologische Museen seit einiger Zeit Provenienzforschung. Aber es gibt dabei insbesondere finanzielle und personelle Engpässe. In vielen Fällen wissen wir nicht genau, wie die Objekte ins Linden-Museum gekommen sind. Wir sind uns aber sehr bewusst, dass die meisten ethnologischen Museen in einer Zeit entstanden sind, die mit der kolonialen Zeit zusammenfällt, und dass sie Machtstrukturen der Ungleichheit genutzt haben, um ihre Sammlungen zusammenzubringen. Und es gilt natürlich, dieses zu untersuchen und transparent zu vermitteln. Wir haben seit zwei Jahren eine Stelle für die Provenienzforschung der Kolonialzeit hier im Haus etabliert, und wir sind sehr froh, dass wir über Drittmittel diese Stelle erhalten können.
Deutsche Kolonien gab es hauptsächlich in Afrika. Diese Abteilung wird im Linden-Museum gerade neu konzipiert. Wie gehen Sie mit dem kolonialen Erbe dieser Objekte um?
Für uns ist es wichtig, das Museum als Ort der objektiven Wissensvermittlung zu relativieren und auch anderen Sichtweisen Gehör zu verschaffen. Wir arbeiten zum Beispiel mit einem Beirat von Stuttgartern mit afrikanischen Wurzeln zusammen, der uns dabei zur Seite steht. Auch findet Ende des Jahres ein dialogisches Projekt mit Kamerun statt, dessen Ergebnisse in die Dauerausstellung einfließen werden. Wir möchten über die Sammlungen aus Kamerun und über ihre Provenienzen sprechen und auch darüber, wie die Verflechtungsgeschichte zwischen Deutschland und Kamerun präsentiert werden kann.
Es wird sich also einiges ändern, wenn 2019 die Afrika-Abteilung neu eröffnet wird?
Es ist gut, dass die ethnologischen Museen daran arbeiten, Sammlungen partizipativ zu bearbeiten und zu interpretieren. Die subjektiven Präsentationsformen von Museen werden allzu oft vom Besucher als objektive „Wahrheit“ verstanden. Diese Erwartung gilt es zu hinterfragen. In der neuen Afrika-Dauerausstellung werden multiperspektivische Sichtweisen vermittelt werden und auch aktuelle Bezüge eine große Rolle spielen. Dabei interessieren wir uns sehr dafür, welche Bedeutung die Objekte heute für die diverse Stadtgesellschaft und für die sogenannten Herkunftsgesellschaften haben. Ob das dem Publikum gefallen wird, wird sich zeigen.
Jedes ethnologische Museum geht anders mit der Frage des kolonialen Erbes um. Im Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main sollte die zeitgenössische Kunst im Dialog mit den Sammlungsbeständen einen Prozess der Sanierung von den kolonialen Altlasten, eine Remedation in Gang bringen und auf diese Weise die Kolonialgeschichte bewältigt werden.
Jedes Museum sollte mit Blick auf seine spezifischen Sammlungen und sein eigenes Publikum nach eigenen Wegen suchen. Ich finde es gut, dass nicht alle ethnologischen Museen denselben Weg gehen. Letztlich geht es um die Frage, wie das ethnologische Museum der Zukunft in einer zunehmend von Diversität geprägten Gesellschaft aussehen wird – und da gibt es sicher viele Möglichkeiten.
Es sollen in der neukonzipierten Afrika-Dauerausstellung auch zeitgenössische Kunstwerke zu sehen sein. Ist das richtig?
Die neue Dauerausstellung soll auch zeitgenössische afrikanische Kunst beinhalten, aber auch zeitgenössische Alltagsgegenstände, die im Leben der Kulturen eine wichtige Rolle spielen. Wir möchten den Besucher damit für den Kulturwandel sensibilisieren und ein zeitgemäßes Bild ausgewählter afrikanischer Kulturen vermitteln.
Heute in einem ethnologischen Museum zu arbeiten, Politik und Globalität im Auge zu haben, muss eine echte Herausforderung sein.
Es ist eine sehr spannende Zeit, um in einem ethnologischen Museum zu arbeiten. Wir müssen von der Darstellung des „Außereuropäischen Anderen“ zu einer Darstellung des „Wir“ kommen. Und das ist eine große Herausforderung. Stuttgart ist eine der internationalsten Städte Deutschlands. Hier gilt es sich als ethnologisches Museum neu in der diversen Stadtgesellschaft als Ort des Dialoges zu positionieren, interkulturelle Bildungsarbeit zu leisten und nach neuen, partizipativen und ethischen Wegen zu suchen, mit den diversen Sammlungen des Weltkulturerbes umzugehen.