EU-Parlament entscheidet über die Zukunft der Gentechnik in der Landwirtschaft
Der Streit um Grüne Gentechnik auf dem Acker dreht sich seit Jahren im Kreis. Durch neue Methoden wie Crispr/Cas sollen Pflanzen gezüchtet werden, die Produkten aus herkömmlicher Züchtung sehr stark ähneln. Das EU-Parlament muss nun entscheiden, wie weit sich Europa für Gentechnik öffnen will. Die Abstimmung ist zwar nicht bindend, könnte aber richtungsweisend sein.
Der Streit um den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft erreicht die nächste Etappe. Am Mittwoch will das EU-Parlament über eine Verordnung abstimmen, die Landwirten und Züchtern den Umgang mit gentechnisch veränderten (GV) Pflanzen erleichtern soll. Falls die Änderung beschlossen wird, würden viele Pflanzen, die mit den neuen Methoden der Gentechnik gezüchtet wurden, nicht mehr unter die strengen Vorschriften für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) fallen. Der Entwurf sieht beispielsweise vor, dass strenge Risikoprüfungen und auch ein Teil der Kennzeichnungspflichten entfallen. Der Umweltausschuss hat den Plan am 24. Januar klar mit 47 zu 31 Stimmen gebilligt. Ob sich auch im Parlament eine Mehrheit finden wird, ist offen.
Sonderregelung für neue Verfahren der Gentechnik
Konkret geht es um den Einsatz der neuen genomischen Techniken (NGT), zu denen auch die Genschere Crispr/Cas gehört. Die NGT ermöglichen eine einfache und ziemlich präzise Veränderung des Erbguts. Gleichzeitig weiß die Wissenschaft immer mehr über die Bedeutung der einzelnen Gene, sowohl bei den häufig angebauten Kulturpflanzen als auch bei den Wildformen, von denen sie abstammen. Sie soll hilfreiche Gene aus Wildformen schneller für die Züchtung nutzbar machen, als es die klassischen Methoden können.
Anders als bei der ersten Generation der Gentechnik geht es nicht mehr darum, artfremde Gene in die Pflanzen einzubauen. Deshalb sollen die strengen Regeln gelockert werden. Wenn die Veränderung zum „bekannten Genpool der Züchter“ gehört, soll die Pflanze künftig nach Anmeldung im Sortenregister in der neuen Kategorie NGT-1 einsortiert werden. Sie wird damit dem Ergebnis der klassischen Zucht ohne Gentechnik in vielen Aspekten gleichgestellt. Die Verbände der Öko-Landwirtschaft und des Verbraucherschutzes laufen dagegen Sturm. Sie argumentieren, dass die KundInnen nicht mehr transparent erkennen könnten, ob ein Produkt Gentechnik enthalte oder nicht.
Entscheidung des Agrarrats steht aus
Die Abstimmung im EU-Parlament ist noch keine endgültige Entscheidung, zeigt aber die Richtung auf. Der finale Beschluss über eine Regulierung der NGT wird im Agrarrat auf der Ebene der Fachminister fallen. Und dort ist die spanische Präsidentschaft Ende Dezember noch mit dem Versuch gescheitert, die Regeln für die neue Generation der Gentechnik zu lockern.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir lehnt den Vorschlag ab, obwohl er anders als viele seiner Parteifreunde den Einsatz von Gentechnik nicht ausschließt. Hätte die Ampel das Ministerium mit der FDP besetzt, würde Deutschland der Regelung wohl zustimmen, so wie es auch viele Unionspolitiker im EU-Umweltausschuss getan haben.
Doch Özdemir verlangt eine durchgehende Kennzeichnungspflicht. VerbraucherInnen und LandwirtInnen müssten frei entscheiden können, ob sie Gentechnik wollen oder nicht. Der derzeitige Vorschlag biete keine tragfähige Lösung für die Ko-Existenz von Betrieben, die
Gentechnik nutzen und solchen, die sie ablehnen, hat der Minister immer wieder betont. Özdemir sorgt sich um den funktionierenden, milliardenschweren Markt für konventionell „ohne Gentechnik“ oder ökologisch produzierte Lebensmittel.
Hilft Gentechnik dem Ökolandbau?
Derzeit scheint Konsens darüber zu bestehen, dass das Saatgut der NGT-1-Pflanzen trotz der angestrebten Ähnlichkeit als gentechnisch gekennzeichnet werden muss. Diesen Weg wollen alle Beteiligten gehen, bis zum Saatgut soll die Information über die Herkunft der Pflanze erhalten bleiben. Bei Biolebensmitteln soll das neue Saatgut nicht verwendet werden dürfen, um sicherzustellen, dass Europas ökologische Landwirtschaft gentechnikfrei bleibt. Das klingt für viele Ohren wie eine Selbstverständlichkeit, aber in einer ausufernden Debatte stand auch das zur Diskussion. Viele WissenschaftlerInnen und NobelpreisträgerInnen fordern den breiten Einsatz der Gentechnik. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Leopoldina, der Dachverband der Wissenschaftsorganisationen, schreiben in einer Stellungnahme: „Der Ökolandbau kann aufgrund des weitgehenden Verzichts auf chemischen Pflanzenschutz in ganz besonderer Weise von NGT-1-Pflanzen profitieren.“ So könnte die genetisch gesteigerte Widerstandsfähigkeit einer GV-Pflanze das Problem des Ökolandbaus lösen, dass manche Schädlinge auf anderen Wegen nicht bekämpft werden können.
Eine andere Frage rückt erst langsam in den Fokus der Debatte. Die Lobby der großen Agrarkonzerne will erreichen, dass NGT-1-Pflanzen patentiert werden können. Dann ergäbe sich eine kuriose Situation: Zwar sollen die GV-Pflanzen als ähnlich eingestuft werden, aber bei der Patentfrage gleichzeitig einen Sonderstatus behalten. Herkömmliche ZüchterInnen genießen zwar durch den Sortenschutz bestimmte Rechte für ihren wirtschaftlichen Erfolg, aber kein weitreichendes Patent bei dem sofort Lizenzgebühren für die Nutzung und die weitere Züchtung anfallen. Das soll nach dem Willen der Industrie bei GV-Pflanzen anders sein.
Deutschland lehnt Patente ab
Die deutsche Position ist eindeutig. „Patente auf Saatgut blockieren Innovationen und sorgen für Abhängigkeiten“, sagt Özdemir. Zwar steht im aktuellen Kompromissentwurf der Satz, dass die Pflanzen nicht patentiert werden dürfen. Aber diese Formulierung steht im Widerspruch zu den geltenden Regeln des europäischen Patentwesens, das im Völkerrecht verankert ist. Sie wird sicher von Gerichten geprüft werden und könnte dann gestrichen werden.
Der alte Streit um die Gentechnik wird durch den jetzt vorliegenden Vorschlag nicht beigelegt werden können. Gentechnikgegner sehen in den Hightech-Pflanzen noch immer ein unbekanntes Risiko für Mensch und Natur. Sie fordern deshalb ein konsequentes Vorsorgeprinzip mit strengen Tests, bevor eine GV-Pflanze auf dem Acker angebaut werden darf. Die Befürworter der Gentechnik argumentieren dagegen, dass es weder Beispiele noch Studien gebe, die dieses Ausmaß an Vorsicht rechtfertigten.
Unklare Kriterien für Einstufung der Gentechnik
Für neuen Streit sorgt die Frage, nach welchen Kriterien die Behörden eine Pflanze in die NGT-1-Gruppe einteilen dürfen. Bisher lautet der Ansatz, dass die neuen Züchtungsmethoden der Gentechnik zu Pflanzen führen, die auch auf herkömmlichem Weg gezüchtet werden könnten und die Gentechnik diesen Prozess nur erleichtere. Das Problem: Für einen Verwaltungsakt liefert dieser Satz keine klaren Vorschriften. Stattdessen sollen die Behörden in der Zukunft zählen: Erlaubt ist der Eingriff ins Erbgut an bis zu 20 Stellen, dabei können Erbgut-Bausteine eingefügt oder ersetzt werden, solange sie nicht als artfremden Änderung gelten. Zudem dürfen die ZüchterInnen eine beliebige Anzahl vorhandener Gene an- oder abschalten. Die Zählweise gilt nur für die relevanten Stellen des Genoms, unbeabsichtigte Veränderungen in weniger wichtigen Bereichen fließen nicht in die Rechnung ein. Eine unabhängige wissenschaftliche Überprüfung ist kaum möglich, vermutlich müssen sich die Behörden auf die Angaben der Hersteller verlassen. Ob dieser Vorschlag auf der Ebene der Agrarminister mehrheitsfähig ist, bleibt abzuwarten. Aber es wird irgendeine im bürokratischen Alltag praktikable Regelung geben müssen.
Kann das Hungerproblem gelöst werden?
Wie in der Vergangenheit wird auch diesmal die Debatte von großen Worten flankiert. Der belgische Agrarminister David Clarinval, der aktuell die Präsidentschaft innehat, sagte beispielsweise: „Dank der neuen Genom- und Robotertechnologien werden wir die Landwirte in die Lage versetzen, die Herausforderungen der heutigen Zeit zu meistern.“ Im Gegensatz zu den Umweltschützern sei er sich sicher, dass „wir unsere Ernährungssouveränität nur dank der Wissenschaft erreichen werden“. „Es wäre ein grundlegender Irrtum zu glauben, dass die Lösung durch Nüchternheit oder überlieferte Praktiken zustande kommt“, so Clarinval weiter.
Tatsächlich behaupten die Gentechnik-BefürworterInnen noch immer, dass die NGT das Hungerproblem der Welt lösen und die Landwirtschaft gegen die Klimakrise absichern würden. Die GegnerInnen setzen hingegen auf andere Konzepte, beispielsweise die Förderung der KleinbauerInnen oder die Auswahl der passenden Pflanzen. Die Diskussion dreht sich also nicht nur um die beste Lösung für die europäischen VerbraucherInnen und LandwirtInnen. Der globale Aspekt schwingt immer mit: In Asien und Amerika haben viele Staaten den Einsatz der Gentechnik auf dem Acker bereits erleichtert und Kennzeichnungspflichten aufgehoben. Wenn diese Lebensmittel auf
den europäischen Markt kommen, könnte es sein, dass Verbraucher GV-Pflanzen kaufen, ohne es zu wissen.
Gentechnik-Sorten für Verbraucherwünsche
Allerdings muss das Pro-Gentechnik-Lager auch anerkennen, dass die Forschungsprojekte die eigenen Ansprüche bisher nicht erfüllen. Das Schweizer Bundesamt für Umwelt hat die 2022 bekannten Aktivitäten der Unternehmen ausgewertet. In den Pipelines der ZüchterInnen sind nur wenige Projekte, die sich mit den Folgen des Klimawandels befassen. Die meisten zielen auf direkte Vorteile für die LandwirtInnen oder KonsumentInnen ab. Zu den vier Pflanzen der NGT-Generation, die in mindestens einem Land über eine Zulassung verfügen, gehören Champignons, die sich geschnitten weniger schnell braun färben, eine in Japan zugelassene blutdrucksenkende Tomate und eine Sojapflanze, die ein hochwertiges Öl liefert, sowie eine gegen ein Herbizid resistente Raps-Sorte.