Fitness-Kolumne: Warum der Neujahrs-Ansturm auf Fitnessstudios mehr bringt, als nervt
Zu Jahresbeginn werden Fitnessstudios von Neujahrsvorsätzler:innen überrannt. Das kann für viele Stammgäste nervig sein, birgt aber auch Chancen – für alle.
Ich hatte mich schon auf das Lästigste eingestellt. Die Suche nach einem freien Spind würde einer Schnitzeljagd ähneln, die Luft noch dicker sein als sie es im Winter ohnehin schon ist, und am Getränkeautomaten würde ich mich in einer Schlange anstellen, die so lang ist wie die vor der Supermarktkasse am Silvestertag. Hanteln und Geräte steigen am Jahresbeginn zu raren Gütern auf, erhascht nur von den Schnellsten oder nach endloser Wartezeit. Alles in allem hatte ich mich zusätzlich zu Handtuch, Trinkflasche, Fußmanschetten und Sportschuhen mit einem langen Geduldsfaden gerüstet.
So drastisch lief mein erster Fitnessstudio-Besuch im neuen Jahr dann doch nicht ab. Lediglich der schätzungsweise Mitte 50-jährige Mann, der Leute während ihrer Übungen ansprach und auch mich ungefragt zu korrigieren meinte, nervte. Selbst riss er seinen Arm beim Schulter-Seitheben so weit über seinen Kopf, dass sein Handgelenk bei jeder Wiederholung zappelte. Bei den anderen wusste er es aber stets besser und hielt sie obendrein noch mitten in ihren Sätzen auf.
Ansonsten: Für eine Mittagszeit unter der Woche war es etwas voller als üblich, das Publikum gemischter, es reichte von Pumpern über sehr junge Jugendliche bis zu sehr alten Rentner:innen. Eine Frau schaute Serie, während sie sich durch ihre Sit-Ups schnaufte, hier und da musste ich mich im Slalom durch die Sportler:innen mitten im Raum schlängeln, um zu meinen Gewichten zu gelangen. Ich habe es schon deutlich schlimmer erlebt.
Die ersten Wochen und Monate im Jahr mögen für regelmäßige Fitnessstudio-Besucher:innen wie mich nervenaufreibend sein, weil so viele Menschen ihre Neujahrsvorsätze umsetzen wollen, die sie dann vielleicht doch nicht einhalten. Im Januar blockieren sie die Geräte mit den Handtüchern aus ihren Willkommens-Goodie-Bags, die sie nach Abschluss ihrer Fitnessstudio-Mitgliedschaft bekommen haben, verteilen Gewichte kreuz und quer im Raum oder versammeln sich in Gruppen um Kabeltürme, die folglich stundenlang besetzt sind.
Vorsätze sollte man zeitnah in Angriff nehmen
Man kann Neujahrsvorsätze albern finden. Doch Fakt ist: Der Jahresbeginn stellt für einen Großteil der Gesellschaft eine Zäsur dar, sonst würde er nicht so krachend gefeiert werden. Dieser Einschnitt animiert viele dazu, sich etwas Gutes tun und alte Muster überwinden zu wollen, allen voran gesünder zu leben. So zählt „mehr Sport treiben“ laut einer Statista-Umfrage zu den beliebtesten Neujahrsvorsätzen der Deutschen für 2025. Diese Vorsätze sollte man zeitnah in Angriff nehmen, sagte der Psychologe Jan Rummel kürzlich gegenüber dem SWR, sonst sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass andere Dinge dazwischenkommen. Psychologisch nur richtig also, dass all jene, die sich vorgenommen haben, sportlicher zu werden, Anfang des Jahres die Fitnessstudios stürmen.
Schwedische Forscher haben in einem Experiment zu Neujahrsvorsätzen zudem herausgefunden, dass diejenigen, die versuchten, etwas Neues in ihrem Alltag zu etablieren, erfolgreicher waren als die, die etwas zu vermeiden versuchten. Letztere gaben schneller auf. Wer sich also vornimmt: „Ich möchte künftig weniger herumsitzen“ wird nicht so schnell seine Ziele erreichen wie jemand, der sagt: „Ich gehe ab jetzt ins Fitnessstudio.“
Durch Muskeltraining werden wichtige Stoffe im Körper frei
Und auch die WHO schreibt: „Für die Gesundheit zählt jede Bewegung“. Selbst diejenigen, die ihre Neujahrsvorsätze nach wenigen Wochen brechen, haben immerhin schon etwas für ihre Gesundheit getan. Die positiven Effekte von Sport und insbesondere Krafttraining auf die Gesundheit reiße ich hier nur an: Wer seine Muskeln beansprucht, löst verschiedene Reaktionen im Körper aus. Immun-, Stoffwechsel- und Hormonsystem werden angeregt. Wenn sich Muskeln bei Belastung zusammenziehen, geben sie wichtige Stoffe in den Körper ab, sogenannte Myokine. Diese senken etwa das Krebsrisiko und machen Herz-Kreislauf-Erkrankungen unwahrscheinlicher. Wer sich vorgenommen hat, im neuen Jahr abzunehmen, ist mit Krafttraining genau auf dem richtigen Weg: Muskelaufbau fördert die Fettverbrennung, da der Körper sowohl während des Trainings Energie verbraucht als auch danach – wenn die Muskeln wachsen und sich regenerieren.
Damit diese Effekte langfristig eintreten, reicht es natürlich nicht, Anfang des Jahres drei- oder viermal die Hanteln zu schwingen. Die WHO empfiehlt mindestens zwei Krafteinheiten pro Woche für „gesundheitliche Vorteile“. Das werden kaum alle einhalten, die sich in den ersten Wochen des Jahres im Studio tummeln. Aber: Eine repräsentative Umfrage aus dem Jahr 2023 ergab, dass ein Drittel der Befragten ihre Vorsätze einhielten. Das heißt: Selbst wenn ein Großteil ab Ende Januar wieder auf der Couch hängt, bleibt immerhin ein Bruchteil, der sich dank der Neujahrvorsätze mehr bewegt. Für eine Gesellschaft, die sich insgesamt viel zu wenig bewegt, ist das ein kleiner Fortschritt.
Dass es zumindest theoretisch möglich ist, sein Wesen von einem bewegungsträgen zu einem sportlicheren zu verändern, bestätigt auch eine neue Studie der Uni Zürich. Sie belegt, dass man Eigenschaften seiner Persönlichkeit aktiv verändern kann. Dabei reicht der alleinige Wunsch nach Veränderung nicht aus, man muss schon aktiv etwas dafür tun. Hilfreich können laut den Studienautor:innen ein paar Tricks sein: Wenn-dann-Formulierungen zum Beispiel. „Wenn ich das nächste Mal im Fitnessstudio bin, will ich drei verschiedene Bauchübungen machen“, könnte so eine sein, für das Ziel, allgemein sportlicher zu werden. Es sei hilfreich, die Fortschritte schriftlich festzuhalten – das empfehlen auch andere Psycholog:innen immer wieder für Neujahrsvorsätze.
Von der Energie mitreißen lassen, statt sich aufzuregen
Auch ich, die von sich behauptet, bereits eine Fitnessstudio-Routine etabliert zu haben, bemerke, dass der Anfang des neuen Jahres mir einen zusätzlichen Ansporn verleiht – möglicherweise durch die gefühlte Aufbruchstimmung, die nun in den Fitnesscentern herrscht. Ich stecke ein paar Kilo mehr an die Beinpresse und füge noch eine neue Übung an, obwohl ich laut altem Plan schon fertig mit dem Training wäre. Statt sich also über diejenigen aufzuregen, die „dieses Jahr aber wirklich“ sportlicher werden wollen, lasse ich mich von ihrer Energie mitreißen. Denn wer weiß schon, wer von den Neujahrs-Enthusiast:innen in einem halben Jahr schwerere Gewichte stemmt als ich.