Fußgänger: Vergessen und ohne Lobby
Zu Fußgehen gleicht in der Stadt häufig einem Hindernislauf – Langsam beginnt das Umdenken
Busy Streets – Auf neuen Wegen in die Stadt der Zukunft
Die Gehwege und Boulevards in Berlin sind frei von E-Kick-Scootern, parkenden Autos, Werbetafeln vor Restaurants und sonstigem Krimskrams. Das heißt freie Wege für Kinder, Ältere, Familien und alle anderen, die zu Fuß unterwegs sind. Davon träumt Roland Stimpel seit Jahren. Er ist Sprecher des Fachverband Fußverkehr Deutschland (Fuss e.V.).
Im Zuge der Corona-Pandemie haben viele Sharing-Anbieter ihre Fahrzeuge von den Straßen geholt und eingelagert. Die Boulevards in den Ausgehvierteln sind seltsam leergefegt. Die Café- und Restaurantbesitzer haben die Tische und Stühle vor ihren Geschäften zusammengeschoben. Da die Besucher die Stadt schon lange verlassen haben, bleibt nun viel Platz zum Flanieren – jedenfalls auf den Touristenmeilen wie dem Brandenburger Tor. In den Wohnquartieren ist es weiterhin eng auf den Fußwegen.
Dort ist es laut Stimpel fast so wie immer: Falschparker, Fahrräder und Mopeds zwingen die Menschen auf den ohnehin schon schmalen Gehwegen zu Zickzack-Routen oder gar zum Ausweichen auf die Fahrbahn. Zu Fußgehen ist unattraktiv in der Stadt. Das ist kein Zufall, sondern folgt einem Plan. Jahrzehntelang haben die Verkehrsplaner die Flächen von der Straßenmitte aus verteilt. Das Auto kam zuerst. Was an Platz übrig blieb, bekamen die Radfahrer und Fußgänger. Viel war das nicht.
„Geht doch“
So kann es nicht weiter gehen, hat das Umweltbundesamt (UBA) vor zwei Jahren erklärt, und zu Fußgehen auf die politische Agenda gesetzt. Um das Klima zu schonen und die Städte lebenswerter zu machen, sollten Menschen langfristig wieder mehr gehen. Bis 2030 sollte die Zahl der Fußwege laut UBA um die Hälfte gesteigert werden. Außerhalb Deutschlands hat zu Fußgehen schon deutlich länger Konjunktur. Paris hat einen Teil des Seine-Ufers für den Autoverkehr gesperrt, Madrid seine Innenstadt und Wien hat bereits vor sieben Jahren ein Netz von Flaniermeilen festgelegt.
„Zu Fuß gehen ist Basismobilität", sagt Stimpel. Momentan wird etwa jeder fünfte Weg in Deutschland zu Fuß zurückgelegt. Umwege, Treppen, hohe Bordsteine, lange Wartezeiten an Ampeln und dunkle Unterführungen gehören dabei zum Alltag der Menschen. Um das zu ändern, hat das UBA die Fußstrategie „Geht doch“ herausgegeben. Sie soll den Entscheidern beim Umbau ihrer Stadt helfen. Dazu gehört unter anderem, dass innerorts Tempo 30 eingeführt wird, die Bußgelder für fußgängerfeindliches Verhalten steigen, die Gehwegbreiten angepasst werden und Ampelschaltungsphasen zu Gunsten der zu Fußgehenden geregelt werden.
Fußgänger haben keine Lobby
Von der Umsetzung sind die meisten Städte jedoch noch weit entfernt. Das hat einen Grund: Fußgänger haben keine Lobby. Radfahrer engagieren sich im Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) für bessere Wege oder bei einem der über 30 Radentscheide, die es inzwischen bundesweit gibt. Mit Demos, Unterschriftensammlungen und Mahnwachen weisen sie auf Missstände hin. Dagegen haben die Gruppen, denen zugeparkte Gehwege, fehlende Bänke oder fehlende Mittelinseln am meisten zu schaffen machen, laut Stimpel, wenig Zeit oder Kraft, um sich zu engagieren. Hierzu gehörten junge Eltern mit kleinen Kindern, ältere und behinderte Menschen.
„Zu Fußgehen ist einfach, irgendwie kommt man überall durch“, sagt Stimpel. Das Durchwurschteln macht es aber oftmals unattraktiv. Das zeigt sich in der Albrechtstraße in Berlin-Mitte, nur wenige Minuten vom S-Bahn-Halt „Friedrichstraße“ entfernt. Vor der Eckkneipe am Schiffbauerdamm blockiert ein kleiner Transporter den Gehweg. Passanten haben hier keine Chance. Sie weichen sofort auf die zugeparkte Straße aus. Ein paar Meter weiter steht vor einem kleinen französischen Café ein 60 Zentimeter breiter Bistro-Tisch auf dem Gehweg. Der Cafébetreiber hat ihn eng an die Hauswand geschoben. An der Fensterscheibe klebt die dazugehörige Erlaubnis vom Bezirksamt Mitte. Demnach darf der Inhaber vor seinem Lokal sogar einen drei mal einen Meter großen Schankvorgarten einrichten. „Ich bin sehr dankbar, dass er auf sein Recht verzichtet“, sagt Stimpel. Würde der Cafébetreiber sein Recht ausreizen, bliebe den Passanten nur noch ein schmaler Pfad. Eltern mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrer müssten auf die Straße ausweichen.
Fußweg wird Parkplatz
Ein paar Schritte weiter wird es für sie bereits deutlich enger. Hier zwingen geparkte Fahrräder und Motorräder die Menschen zum Aufpassen und Ausweichen. „Sie könnten auch auf der Straße stehen. Grundsätzlich ist es laut Straßenverkehrsordnung (StVO) auch Fahrrädern erlaubt, auf der Straße zu parken, Motorrädern sowieso“, sagt Stimpel. Viele unterlassen das aber aus Unkenntnis oder weil sie Angst haben, dass Autofahrer ihre Fahrzeuge umstellen, um ihren Wagen dort abzustellen. Ein Lastenrad-Besitzer in der Albrechtstraße ist deutlich mutiger. Er hat sein massives Dreirad bereits quer am Fahrbahnrand geparkt.
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