Klimawandel: Studie zeigt, wie Schifffahrt nachhaltig werden kann

Wenn die Wirtschaft jetzt mit der Transformation beginnt, könnte der internationale Seehandel bis 2050 klimaneutral sein, ohne nennenswert an Leistung zu verlieren.

vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel:
6 Minuten
Forschungsschiff mit Methanolantrieb

Bislang hat sich die Schifffahrt nur wenig in Richtung Nachhaltigkeit bewegt. Technisch und wirtschaftlich wäre die Klimaneutralität bis 2050 aber zu erreichen, zeigt jetzt eine Studie. Ideale Kraftstoffe wären demnach synthetisches Methanol oder Ammoniak. Diese Transformation erfordert jedoch zeitnah klare politische Richtungsvorgaben. Die erheblichen Mehrkosten halten Fachleute für unproblematisch.

Der internationale Seehandel beziehungsweise bzw. die dazugehörige Schifffahrt könnten ab der Mitte des Jahrhunderts klimaneutral sein. Die Grundlagen dafür müssten jedoch jetzt geschaffen werden. Das ist das Fazit einer umfassenden Analyse dieser Herausforderung. Für die im Fachjournal „Nature Energy“ erschienene Studie hat ein Forschungsteam der ETH Zürich die Potenziale unterschiedlicher Antriebstechnologien und deren ökonomische Konsequenzen analysiert.

Gegenwärtig verursacht die internationale Seeschifffahrt mehr als zwei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen – und damit ähnlich viel wie die gesamte Bundesrepublik Deutschland. Der Warentransport auf dem Seeweg wird sich Prognosen zufolge bis 2050 gegenüber dem Jahr 2015 verdreifachen; ähnlich stark würden die CO2-Emissionen zunehmen. Bislang werden diese Emissionen ähnlich wie im grenzüberschreitenden Luftverkehr keinem Staat zugerechnet und dementsprechend in nationalen Klimazielen nicht berücksichtigt. Auch deshalb war es ein wichtiges Signal, dass die Weltgemeinschaft beim Weltklimagipfel 2021 den Druck auf die Internationale Maritime Organisation (IMO) – den für die Schifffahrt verantwortlichen Bereich der Vereinten Nationen – erhöht hat. Angesichts der bislang eher schleichenden Veränderungen in der Branche gehen viele Fachleute davon aus, dass die Seeschifffahrt ihren Beitrag zu den Pariser Klimaschutzzielen verfehlen wird. Bislang hat sie sich die lediglich selbst verpflichtet, bis 2050 die Emissionen gegenüber 2008 um 50 Prozent zu senken.

Synthetische Treibstoffe im Vergleich

Doch welche Optionen gibt es, um die Seeschifffahrt klimaneutral werden zu lassen? Um das zu bewerten, hat sich die Studie alle innereuropäischen Transportfahrten mit Massengutfrachtern und Öltankern angesehen. Die Fachleute haben dann für unterschiedliche Treibstoffe und Antriebssysteme modelliert, ob die Schiffe damit die gleiche Ladung über die gleiche Distanz transportieren könnten.

Als mögliche Treibstoffe, die sich klimaneutral herstellen lassen, berücksichtigte die Studie grünen Wasserstoff, Ammoniak, Flüssiggas, synthetisches Methanol, synthetischen Diesel und Ökostrom. Biokraftstoffe schlossen die Forscherïnnen nicht zuletzt wegen der unzureichenden Verfügbarkeit aus. Das Fazit der Analyse: Ammoniak und Methanol haben das größte Potenzial. Zwar würden sich der Studie zufolge je nach gewählten Optionen die Transportkosten verdoppeln bis versechsfachen. Doch das klinge dramatischer, als es sei, kommentiert Energieexperte Martin Cames vom Öko-Institut in Berlin, der an der Studie nicht beteiligt war: „Die Kosten des Seetransports sind marginale Anteile der Kosten von Produkten. In der Vergangenheit gab es starke Preisschwankungen, sowohl in den Preisen für Schiffskraftstoffe als auch in den Frachtraten, ohne dass der Welthandel dadurch zum Erliegen kam.“ Entscheidend sei, dass alle Schiffe gleichermaßen von den entsprechenden Regulierungen betroffen sind, betont der Experte. Ein aus den Kosten resultierender Impuls zu mehr lokaler Produktion, wo das möglich ist, sei zudem aus Nachhaltigkeitssicht zu begrüßen.

Schlepper im Hafen
Maersk setzt für die Zukunft auf Methanol-getriebene Frachter und erwartet die ersten Schiffe für 2025. Dieses Schlepperboot der Maersk-Tochter Svitzer soll schon ab 2024 mit grünem Methanol fahren.

Nahezu gleiche Transportleistung wäre möglich

Was die Bewertung der Treibstoffoptionen betrifft, resümiert Cames: „Die Ergebnisse bestätigen bisherige Erkenntnisse und die Einschätzungen aus eigenen Analysen: Wasserstoff und Strom kommen für lange Distanzen im Zeitraum bis 2050 praktisch nicht in Frage, allenfalls in Nischen wie Fähren oder im Bereich der Küstenschifffahrt.“ Auch Diesel sei wegen der höchsten Betreiberkosten ebenso wenig eine Option wie Flüssiggas, gegen das vor allem aus Klimaschutzgründen die potenziellen Methan-Leckagen sprächen, was den Klimaschutzgedanken konterkarieren würde. Im Vergleich der favorisierten Optionen Ammoniak und Methanol findet der Energieexperte: „Ammoniak ist kostengünstiger, weil es keine direkte CO2-Entnahme aus der Atmosphäre erfordert.“ Nachteilig seien gegenüber Methanol einerseits das Handling, denn Ammoniak ist toxisch, und seine geringere Energiedichte. Außerdem werde es voraussichtlich vor 2025 keine Ammoniak-Motoren geben. „Methanol ist zwar teurer in der Produktion, aber das Handling und seine Energiedichte sind günstiger und es gibt bereits etwa 20 Schiffe, die mit Methanol fahren.“

Ohne weitere Anpassungen der Schiffe, Häfen und Fahrpläne würde mit klimaneutralen Treibstoffen die gesamte Transportleistung der untersuchten Seeschifffahrt um rund ein Fünftel sinken. Würden jedoch drei Prozent der Ladung durch klimaneutrale Treibstoffe ersetzt, ließen sich 93 Prozent der bisherigen Transportleistung erbringen, bei sechs Prozent Treibstoff wäre die gesamte Transportleistung sogar nur um ein Prozent verringert. Dazu müsste jedoch die Zuladung mit Treibstoff immer genau auf den Streckenbedarf abgestimmt sein, idealerweise durch modulare Energiesysteme, die für jede Fahrt angepasst werden. Noch besser wäre es, mindestens einen Zwischenstopp zum „Tanken“ einzuplanen und so den Raumbedarf für Treibstoffe weiter zu reduzieren.

Lösbare Herausforderung für Häfen

Eine besondere Herausforderung könnte für Häfen darin bestehen, unterschiedliche Treibstoffe immer in ausreichender Menge zu bevorraten. Räumlich und technisch wäre das wohl kein Problem. Doch nach Einschätzung von Cames könnte es zu zusätzlichen Kosten führen, die in der Studie nicht hinreichend berücksichtigt worden seien. „Derzeit entfallen 97 Prozent des Seeverkehrs auf erdölbasierte Kraftstoffe – plus drei Prozent Flüssiggas LNG. Wenn sich dies zukünftig auf fünf E-Fuels verteilen würde, entstünden enormen Infrastrukturkosten aufgrund geringerer Skaleneffekte.“ Die Entscheidung, welche E-Fuels sich durchsetzen, solle man nicht dem Markt überlassen, da der dafür zu lange brauche. „Ähnlich wie bei der Entscheidung für batterieelektrische Antriebe im Straßenverkehr müssen die Staaten anstreben, die Anzahl der E-Fuels möglichst bald auf ein, allenfalls zwei E-Fuels zu beschränken.“ Unabhängig von der Wahl des Kraftstoffes würde diese Transformation bedeuten, dass der Bedarf an Ökostrom ansteigt, weil dieser für die nachhaltige Synthese der klimaneutralen Kraftstoffe erforderlich ist. Im analysierten Szenario für Europa stiege der gesamte Strombedarf um bis zu acht Prozent.

Die Autorïnnen der Studie gehen davon aus, dass ihre Analyse auf den gesamten Seehandel und damit auch auf andere Schiffstypen übertragbar ist. An der Studie nicht beteiligte Fachleute wie Jonathan Köhler vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung halten das jedoch für einen der wenigen Schwachpunkte der Analyse: „Die Autoren untersuchen das Gewicht der geladenen alternativen Kraftstoffe und nicht deren Volumen“, kritisiert Köhler. „Da die E-Fuels eine viel niedrigere volumetrische Energiedichte als fossile Kraftstoffe haben, brauchen sie viel mehr Platz an Bord. Das ist ein wichtiges Problem für die Schiffsbau, wichtiger als das Gewicht.“ Insbesondere für Containerschiffe müsse die Analyse angepasst werden, findet auch Cames.

Ökonomisch interessante Wind-Antriebe nicht betrachtet

Trotzdem hält Köhler das Fazit der Studie in ökonomischer Hinsicht aus zwei Gründen für zu pessimistisch: „Erstens: Die Autoren nehmen implizit an, dass die Schiffe mit derselben Geschwindigkeit fahren wie heutzutage.“ Dabei könne die Geschwindigkeit um bis zu 50 Prozent verringert werden, was überall viel Energie sparen würde. „Und zweitens: Sie berücksichtigen Wind-Antriebe nicht, die generell keine Treibhausgase verursachen und bei denen die Schiffe fast keinen zusätzlichen Kraftstoff brauchen.“ Das spare viele Betriebskosten, „potenziell bis zu 30 Prozent, ein starker Kontrast zu den E-Fuels“.

Für Laien erscheint die geringere Geschwindigkeit zunächst als Nachteil. Doch beim Seehandel ist es viel wichtiger, die Fahrzeiten genau planen zu können als deren Dauer klein zu halten. Zwar erhöht eine längere Fahrt geringfügig die Betriebskosten. Doch die langsamere Geschwindigkeit erlaubt ein besseres Streckenmanagement, durch das Wartezeiten vor Häfen, Schleusen oder Kanälen verringert werden. Das holt zum einen Zeit wieder rein und verringert zum anderen Kosten. Trotzdem sei eine staatliche Förderung der notwendigen Technologien sicherlich erforderlich, meint Köhler.

Politische Richtungsvorgabe jetzt erforderlich

Um eine klimaneutrale Schifffahrt bis 2050 zu verwirklichen, sind daher zeitnah politische Richtungsvorgaben erforderlich, so die Experten. Schiffe, die heute gebaut werden, bleiben in der Regel 25 bis 40 Jahre in Betrieb. Zumindest müssen sie daher schon jetzt so konstruiert werden, dass eine Umrüstung der Schiffe von fossilen auf synthetische, klimaneutrale Treibstoffe unkompliziert möglich sein wird.

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