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Kinder und Jugendliche im Fitnessstudio: Ist das nicht ein bisschen früh?
Kinder und Jugendliche im Fitnessstudio: Ist das nicht ein bisschen früh?
Der Altersdurchschnitt in Fitnesscentern sinkt. Die meisten Wissenschaftler:innen sind sich inzwischen einig, dass das nichts Schlechtes sein muss – im Gegenteil. Doch es gibt auch ein Problem.

Ich muss zugeben: Wenn ich im Fitnessstudio Mädchen und Jungen sehe, die nicht volljährig aussehen, werfe ich ihnen schon mal einen skeptischen Blick zu. Neulich wechselten sich zwei Jungs an der Brustpresse ab, sie hatten noch nicht einmal Bartwuchs. Gemeinsam philosophierten sie darüber, wie hoch man den Sitz einstellen müsse, und welches Gewicht wohl passend sei. Dann pushte einer los, kniff die Augen zusammen und stöhnte, der andere nickte anerkennend dazu.
Warum machen sie das, statt auf dem Bolzplatz Bälle zu kicken? Weil sie harte Männer werden wollen? Oder einfach, weil sie, genau wie ich, fit sein und auch so aussehen wollen? Und: Kann Krafttraining in dem Alter gesund sein? Hieß es nicht immer, dass zu frühes Krafttraining das Körperwachstum hemme? Solche fast altersarroganten Fragen schießen mir in den Kopf, dabei weiß ich, dass die meisten Fitnessstudios Jugendlichen schon ab 15 oder 16 Jahren den Einlass gewähren – und das einen Grund haben muss.
Der Mythos hält sich hart
Der weitverbreitete Mythos, dass Krafttraining für Kinder und Jugendliche nicht gut ist, sitzt also auch tief in mir fest. Er hat seinen Ursprung wahrscheinlich in den siebziger und achtziger Jahren. Damals rieten Expert:innen und Fachgesellschaften Kindern und Jugendlichen vom Krafttraining ab. Sie argumentierten, dass der Bewegungs- und Stützapparat im Jugendalter noch nicht ausgebildet und genügend belastbar sei, und Krafttraining dadurch das Wachstum negativ beeinflussen könnte. Die Annahme: Die Wachstumsfugen (Epiphysenfugen) am Ende der Knochen, von denen das Längenwachstum ausgeht, würden durch Krafttraining im Jugendalter frühzeitig verschlossen. Normalerweise verknöchern die Wachstumsfugen erst nach der Pubertät. Allerdings gibt es bis heute keine umfassende Untersuchung, die bestätigt, dass sie durch Kraftsport vorher verschließen.
Zudem rieten etwa Expert:innen von der American Academy of Pediatrics Kindern und Jugendlichen vom Training mit Gewichten ab, weil die Verletzungsgefahr zu hoch sei. Das Problem jedoch: Die Annahmen beruhten dabei vor allem auf einzelnen Fallstudien, bei denen sich Jugendliche beim Krafttraining verletzt hatten. Spätere Studien zeigten, dass die meisten Verletzungen vermieden werden, wenn Kinder und Jugendliche die Übungen korrekt ausführen und Trainer:innen sie gut anleiten. Mittlerweile belegen Studien, dass Kraftsport zu jenen Sportarten mit eher geringem Verletzungsrisiko gehört – verglichen mit Fußball, Basketball oder Eishockey.
Was ebenfalls dagegen spricht, dass Krafttraining für Kinder und Jugendliche per se schädlich ist: Sie belasten im Kindesalltag ihren Körper beim Springen, Hüpfen und Landen mit einem Vielfachen ihres Körpergewichts. Das toleriert ihr Bewegungsapparat problemlos, obwohl er dabei häufig noch viel höhere Lasten aushalten muss als beim Krafttraining.
Kinder und Jugendliche bewegen sich immer weniger
So wie alle Menschen in unserer zunehmend sitzenden Gesellschaft bewegen sich auch Kinder und Jugendliche immer weniger. Eine aktuelle Erhebung der „Health Behaviour in School-aged Children“-Studie zeigt, dass gerade mal knapp elf Prozent der Mädchen, rund 21 Prozent der Jungen und etwa zwölf Prozent der gender-diversen Jugendlichen die Bewegungsempfehlung der WHO erreichen. Das heißt: Nur ein Bruchteil bewegt sich mindestens eine Stunde am Tag in moderater Intensität. Das wäre zum Beispiel Radfahren bei 15 Kilometern pro Stunde.
Für eine gesunde Gesellschaft ist es also erstmal vorteilhaft, dass immer mehr Heranwachsende ins Fitnessstudio gehen. Schließlich verringern starke Muskeln das Risiko, an Diabetes oder Krebs zu erkranken. Sie machen mental stärker und verbessern die kognitiven Fähigkeiten. Das RKI schreibt sinngemäß, dass bewegte Kinder mit höherer Wahrscheinlichkeit auch zu bewegten Erwachsenen werden, weil das gesundheitsförderliche Verhalten dann schon früh zur Gewohnheit wird. Und auch die American Academy of Pediatrics empfiehlt inzwischen Krafteinheiten auch für Kinder und Jugendliche.
Fehlende Aufsicht und unrealistische Körperideale
Unter den fast 20 Millionen Deutschen, die laut einer Allensbach-Studie im vergangenen Jahr ein Fitnessstudio besuchten, waren 1,58 Millionen zwischen 14 und 18 Jahre alt. Das wären tolle Aussichten, wenn da nicht ein paar Haken wären. In günstigeren Fitnessstudio-Ketten, die ich in der Regel aufsuche, sehe ich selten Trainer:innen an der Seite von Jugendlichen. Oder allgemein an der Seite von Menschen, die nicht viel Trainingserfahrung haben. Und so kommt es leicht zu Situationen, die das befürchtete Verletzungsrisiko der Expert:innen aus den 70er-Jahren bergen. Erst vor wenigen Tagen beobachtete ich, wie eine schätzungsweise 45-Kilo-schwere Teenagerin sich unter eine 20-Kilogramm-Eisenlanghantel stellte und damit gefährlich von rechts nach links wankte.
Beinahe wäre sie unkontrolliert mit der Stange gestürzt, konnte die Langhantel aber noch in letzter Sekunde auf dem Ständer ablegen. Sie stellte selbst fest: Puh, das ist nochmal gut gegangen. Trainer:innen? Eltern? Weit und breit nicht in Sicht. Das mag in teureren Fitnesscentern anders aussehen. Doch auch in günstigen Studios muss es eine gute Aufsicht geben, wenn 15-Jährige schon Mitglied werden dürfen.
Hinzu kommt, dass gerade Jugendliche viel Zeit in sozialen Netzwerken verbringen – wo es von unrealistischen Körperidealen nur so wimmelt. Häufig sind Anabolika oder Bildbearbeitungsprogramme im Spiel, was für Kinderaugen nicht immer erkennbar ist (für Erwachsene ist es auch schon schwierig). Wenn Eltern es nicht mitbekommen, sobald der Kraftsport und bestimmte Ernährungsweisen bei ihren Kindern überhandnehmen, kann das zu Essstörungen und Sportsucht führen. Und dann wird es wirklich gefährlich.
Solange Fitnessstudios für Kinder und Jugendliche vor allem Orte sind, an denen sie Freund:innen treffen, Stress abbauen und sich fit halten wollen – was sie in den meisten Befragungen übrigens als Gründe angeben – kann man sich skeptische Blicke also sparen. Wenn es jedoch nur noch um Selbstoptimierung geht und Kinder unbeaufsichtigt mit Gewichten hantieren, die so schwer sind wie sie selbst, kann man nicht kritisch genug hinschauen.