#machdeinkreuz – Künstler, Museen und Vereine werben für die Teilnahme am politischen Prozess
Im Vorfeld der Landtagswahl in Sachsen feiern Initiativen und Kulturinstitutionen mit kreativen Aktionen das Wahlrecht als Basis der Demokratie
Wenn es um unkonventionelle Ideen geht, engagiert man gerne Künstler:innen. In diesem Fall haben sie sich einmal selbst beauftragt und Plakate entworfen, die zur Wahl am 1. September in Sachsen aufrufen. Wer möchte, kann sie unter #machdeinkreuz kostenlos herunterladen, ausdrucken und im öffentlichen Raum aufhängen. Die Initiative hatte bereits vor der diesjährigen Europawahl und den Kommunalwahlen auf diese Weise dazu animiert, zur Wahl zu gehen. Nun macht sie den Aufruf dringlich: Die Landtagswahl werde entscheiden, ob es in Sachsen pluralistisch und demokratisch weitergehe – oder nicht.
Die Kampagne #machdeinkreuz ist angeregt von der 2017 in Sachsen gegründeten Initiative #kompliz. Sie soll Institutionen, Initiativen, Vereine und interessierte Einzelpersonen, die sich in Sachsen für Demokratie einsetzen, vernetzen. 140 Einrichtungen sind bereits über #kompliz verbunden, darunter viele aus dem ländlichen Raum. Beteiligt sind aber auch das Museum der Bildenden Künste Leipzig, die Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) Leipzig sowie erfolgreiche Akteure der neuen Leipziger Schule wie Norbert Bisky, Matthias Weischer und David Schnell.
Hoffnung auf hohe Wahlbeteiligung
Das Ziel der Kampagne ist nichts weniger als der Erhalt einer pluralistischen Demokratie. Auf Wahlslogans und Werbung für bestimmte Kandidaten wird indes verzichtet. „Alles muss man selber machen“ titelt eines der Plakate, ein anderes „Du hast eine schöne Stimme“. Das zaubert ein Lächeln auf die Lippen. Darunter prangt das Hashtag #machdeinkreuz. Das breite Bündnis will der Wahlmüdigkeit entgegenwirken, die Menschen mobilisieren, die Wahlbeteiligung erhöhen. Mit den großen Kampagnen bei Bundestagswahlen will diese Aktion nicht konkurrieren.
Einer These der Politikwissenschaft zufolge fallen die Anteile rechter Parteien umso niedriger aus, je höher die Wahlbeteiligung sei. Das sei der Grund, so David Schnell in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk, weshalb die Initiative die Wahlbeteiligung möglichst erhöhen möchte. Die Künstler:innen würden dazu aufrufen, weltoffen zu wählen, aber keine konkrete Wahlempfehlung abgeben. Es gehe um eine positive Sicht auf die Wahl, mit der die Initiative besonders junge Menschen für das Wahlrecht gewinnen will.
Die Beteiligung im ländlichen Raum ist zentraler Bestandteil des Angebots. Dort werden im Rahmen der Kampagne Demokratiefeste unterstützt, die von lokalen Vereinen ausgerichtet werden. Um diese zu bestreiten, braucht es attraktive Programmangebote. Daher hat die Initiative auf der Seite #machdeinkreuz eine Datenbank engagierter Veranstalter eingerichtet. Es dürfte für jeden Geschmack etwas dabei sein. Gruppen und DJs, die Rap, Rock oder psychedelische Klänge anbieten oder einfach eine geballte Ladung Energie und gute Laune wie es das Ensemble Incroyable e.V., eine bunt gemischte Bigband, in einem Demovideo verspricht.
Trotz Feierstimmung ist der Ernst der Lage nicht zu verhehlen. Der Verein für Dokumentarfilmkultur bietet die Vorführung der DDR-Fluchtgeschichte „Der Entschluss“ an; die Studie „Wem gehört mein Dorf“ führt Demokratie im Mikrokosmos der Lokalpolitik vor Augen; die Langzeitbeobachtung von fünf nach der Wende gewählten Bundestagsabgeordneten gibt Einblick in das schwierige Geschäft der Bundespolitik. Die Initiative 'Bildung in Zukunft’ aus Leipzig hat einen Workshop mit dem Titel „Lern dich beherrschen“ im Programm, die Kunstvermittler „yaw! kollektiv“ verleihen ihre Ausstattung ihres „Postamtes für Demokratie“, ein Workshop zur Produktion von „Botschaften für ein friedliches Miteinander“.
2020 gründete David Schnell mit anderen Künstler:innen den Förderverein „Land in Sicht“, der Initiativen finanziell unterstützt, die „weltoffen und demokratisch“ kulturelle und soziale Arbeit in der Region in Sachsen leisten. Durch den Rechtsruck sei es in den Gemeinderäten zu Kürzungen kommunaler Fördergelder gekommen. Dieses Defizit will „Land in Sicht“ ausgleichen. Seit seiner Gründung förderte der Verein in Sachsen Projekte in 23 Orten, darunter Thallwitz, Taucha, Chemnitz, Schwarzenberg, Markkleeberg und Bautzen.
Verein colorido in Plauen
Wie dringlich solche Unterstützung sein kann, zeigt ein Beispiel in Plauen. Dort förderte „Land in Sicht“ den Verein „colorido – Demokratie.Lebendig.Gestalten“, der auch Jüdische Kulturtage und Internationale Wochen gegen Rassismus im Programm hat. Im Süden Sachsens ist das nicht selbstverständlich. Plauen ist zu einem Zentrum der rechten Szene geworden. Im Stadtrat saßen nach der Wahl 2019 Mitglieder der AfD und der neonazistischen Partei „Der III. Weg“, eine Nachfolgeorganisation der 2014 verbotenen Organisation „Freies Netz Süd“. 2024 ist die AfD im Stadtrat stärkste Kraft geworden.
2024 wurde „colorido“ für sein Demokratie-Engagement mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet. „Das brauchen wir. Uns weht hier schon eine Menge Gegenwind an. Es wurden uns schon die Schaufensterscheiben eingeschlagen, und es sind persönliche Drohungen ausgesprochen worden. Da kann man eine solche Würdigung gut gebrauchen, um wieder aufrecht zu gehen“, sagt Doritta Kolb-Unglaub, die Vorsitzende von „colorido“ in einem Bericht von ZDFheute.
Der Beitrag der Künstler:innen zu #machdeinkreuz ist nicht zu unterschätzen. David Schnell gab Interviews in überregionalen Medien und verleiht dem Projekt damit Sichtbarkeit über Sachsen hinaus. Er und etliche andere Kolleg:innen um die Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig verfügen über internationale Kontakte und ein großes Netzwerk. Befragt nach der Initialzündung für sein Engagement sagte er Monopol, er habe mehrere solcher Momente gehabt. 2018 etwa war er auf einer Kunstmesse in Hongkong, als er mit Deutschen, die im Ausland leben, auf die politische Situation in Sachsen zu sprechen gekommen. „Ich wurde direkt gefragt: Was macht ihr vor Ort? Können wir etwas tun?“
Aktion - Schöner wählen!
Inzwischen hat sich zumindest in Leipzig eine breite Front gegen den Rechtsruck formiert. #machdeinkeuz bleibt seiner Strategie treu und wirbt im ganzen Land mit kreativen Ideen für Teilhabe in der Demokratie. Ihr „Kunstprojekt zur Wahlurne“ etwa ruft zu Vorschlägen zur Umbenennung der Wahlurne auf. „Das Ergebnis der aktiven Mitgestaltung der politischen Landschaft“ solle nicht länger in „einem Gefäß für tote Materie“, einer Urne verschwinden, heißt es. Die Vorschläge werden gesammelt und unter dem Motto „Schöner wählen!“ in einer Social-Media-Kampagne veröffentlicht.