Naturkunde in der Bibliothek: Was lebt im Boden?
Wer lebt eigentlich unter unseren Füßen? Der Wissenschaftsautor Gerhard Richter nimmt die Besucher von Bibliotheken mit in ein dunkles Universum, den Boden.
Die meisten zucken bei ihrem Anblick erst einmal zusammen: Asseln, die unter einem Stein hervorkrabbeln oder winzige Spinnen in dunklen Ritzen. Meist nur ein paar Zentimeter dick, bietet der Boden unzähligen winzigen Lebewesen einen Lebensraum, der noch voller Geheimnisse steckt.
Diese meist unsichtbare Welt hat es Gerhard Richter angetan. Er ist Wissenschaftsjournalist und langjähriger Autor von Reportagen und Features für verschiedene Medienanstalten, Mediencoach beim Schüler-Wettbewerb Tat:funk der Stiftung Zuhören und seit 2018 Mitglied der Riffreporter, wo für das Magazin „Field Writing“ über sein persönliches Verhältnis zur Natur schreibt. Als Stipendiat der Masterclass Wissenschaftsjournalismus der Robert Bosch-Stiftung befasste er sich nun speziell mit den Bodentieren.
Der Journalist lud im Juni 2021 zu drei „Bodentagen“ in die städtische Bibliothek in Wittstock/Dosse in Brandenburg. Er brachte 17 Bodenproben mit, die er vor der Veranstaltung an verschiedenen Orten im Raum Wittstock entnommen und nach Bodentieren durchsucht hatte. Während der Veranstaltung stellte er die Entnahmeorte mit Bildern und Videos vor.
Richter lud Besucherinnen und Besucher der Stadtbibliothek Wittstock dazu ein, mögliche Aversionen durch Neugier zu ersetzen und selbst eine Handvoll Boden mit in die Bibliothek mitzubringen. Gemeinsam konnten alle durch Mikroskope erkunden, was darin kreucht und fleucht, und worin die Qualitäten dieses Lebensraums liegen. Welche Architektur hat der Boden? Wer haust darin? Und warum sollten wir Springschwänzen sehr dankbar sein?
Springschwänze auf der großen Leinwand
Die Bibliothek unterstützte die Veranstaltung schon vorab: Die gefundenen Krabbeltiere, und alles, was in der mitgebrachten Handvoll Heimatplanet sonst noch lebte, konnten mit Fachliteratur bestimmt werden.
Geladene Expertinnen und Experten lieferten dazu noch professionelle Expertise. Stefanie Maaß vom Lehrstuhl für Vegetationsökologie und Naturschutz der Universität Potsdam wertete die Proben aus und suchte und bestimmte Bodentiere. Die ausgewiesene Springschwanz-Expertin richtete den Fokus der Besucherinnen und Besucher dabei auch auf die scheuen, aber im Ökosystem sehr wichtigen Bodenbewohner.
Weitere Gäste waren Lea Wehde vom Dossegarten Witttock sowie Susann Heinrich vom Umwelt-Forschungs-Zentrum Halle, die ihre Erfahrungen zur Aktion „Expedition Erdreich“ und zur sogenannten Teebeutelmethode vorstellte: Mit geringem Aufwand lässt sich die Intensität des Bodenlebes feststellen, indem man einen vollen Teebeutel wiegt, dann in definierter Tiefe vergräbt und ihn nach 90 Tagen wieder ausgräbt und nochmals wiegt. Das verbliebene Gewicht erlaubt Rückschlüsse auf die Aktivität von Bakterien und Pilzen.
Boden in neuen Skalen denken
Die Präsenzveranstaltung freute viele Besucher, konnten sie doch auf der Leinwand mitverfolgen, was unter dem Mikroskop zu sehen war. Der Blick durch ein Stereomikroskop war für viele aber weitaus beeindruckender als die digitale Vergrößerung. Erst der räumliche Eindruck von Böden vermittelte die Architektur des Gefüges und zeigte die faszinierende Lebenswelt.
Für die Bibliothek waren die Bodentage eine Gelegenheit, ein neues Publikum anzusprechen: Landwirte, Förster, Naturschützer, Kleingärtner, Gartenbesitzer und Interessierte waren eingeladen, um an einem Ort des Wissens in größeren geologisch-ökologischen Skalen zu denken.
Auch Gerhard Richter zieht eine positive Bilanz: „Die Masterclass hat mir gezeigt, dass das Thema Boden Unterhaltungswert hat.“, sagt der Autor. „Ich bin nun bestärkt darin, dass Menschen Freude an neuem Wissen haben und sich gern auf Entdeckungsreise begeben. Dazu habe ich gelernt, dass Bibliotheken für neue Formate jenseits klassischer Nutzung als Medienverleihanstalt offen sind.“
Er konnte in der praktischen Umsetzung wertvolle Erfahrungen sammeln, wo die Möglichkeiten und Grenzen dessen liegen, was überhaupt über den Boden vermittelt werden kann. Sein wichtigstes Ziel habe er erreicht: auf das wichtige Thema der Bodenökologie aufmerksam zu machen – wenn er sich auch etwas mehr Publikum gewünscht hätte. Der Fachjournalist will zukünftig ähnliche Veranstaltungen über die Plattform „RiffLive“ der RiffReporter anbieten.
Die Masterclass Wissenschaftsjournalismus 2020–2022 wird gefördert von der Robert Bosch Stiftung.