Nobelpreis aber kein Patent: Der Rechtskrimi um die Genschere Crispr/Cas
Gentechnik: Die US-Patentbehörde entscheidet anders als das Nobelpreiskomitee. Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna haben einen milliardenschweren Patentstreit verloren.
Ein Erdbeben erschüttert die Biotechnologie. Die JuristInnen am Patentamt der USA (PTAB) haben entschieden, wer die Rechte an der Nutzung der neuen Genschere Crispr/Cas besitzt. Das Patent geht an die Gruppe des Molekularbiologen Feng Zhang am Broad-Institut des MIT und der Elite-Universität Harvard. Diese Entscheidung ist überraschend, denn die beiden Verliererinnen im Patentstreit wurden im Jahr 2020 von höchster Stelle für ihre wissenschaftlichen Verdienste ausgezeichnet: Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna erhielten den Chemie-Nobelpreis für die Entdeckung des Crispr/Cas-Systems. Im Wirtschaftskrimi um die Lizenzgebühren aus den Patenten könnten die beiden Forscherinnen nun aber leer ausgehen. Eine schmerzliche Niederlage, denn es geht um viel Geld. ExpertInnen schätzen die Einnahmen aus dem Patent auf bis zu zehn Milliarden US-Dollar.
Genschere Crispr/Cas revolutioniert Biotechnologie
Crispr/Cas ist ein populäres Werkzeug in der Biotechnologie. Weltweit wächst das Wissen über die Funktion einzelner Gene. Mit der Genschere lässt sich das Erbgut von Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen und Menschen gezielt verändern, und so können die gewünschten Eigenschaften in der DNA aktiviert oder eingefügt werden. Die Technik ist schnell und einfach in der Handhabung. Für WissenschaftlerInnen an Universitäten oder anderen Forschungseinrichtungen bleibt das Urteil ohne Bedeutung, denn sie können Crispr/Cas ohne Lizenzgebühren nutzen. Doch wenn die Forschungsergebnisse kommerziell verwendet werden, beispielsweise für eine Therapie in der Medizin, in der Tier- und Pflanzenzucht oder bei der Nutzung von Pilzen als Bio-Fabriken, werden Lizenzgebühren fällig. In den USA werden bereits Medikamente auf Basis von Crispr/Cas im klinischen Einsatz getestet, die rechtlichen Grundlagen für deren Entwicklung sind nun unsicher.
Die US-Behörden bewerten die Feinheiten im Patentstreit anders als europäische PatentrichterInnen. In der EU und vielen asiatischen Staaten bleiben die wichtigsten Patente noch in der Hand der Nobelpreisträgerinnen. Das von den US-Behörden initiierte Patentchaos wird daher den internationalen Handel mit gentechnisch hergestellten Produkten und den Einsatz von Therapien erschweren. Schon jetzt ist die Lage für Unternehmen unübersichtlich: Es gibt mehrere hundert Crispr/Cas-Patente für Anpassungen der Technologie. Die aktuelle Patententscheidung betrifft aber die zugrundeliegenden Arbeiten.
Nobelpreis bedeutet keinen Patentanspruch
Die Begründung des US-Gerichts zeigt, wie amerikanische JuristInnen wissenschaftliche Forschung bewerten. Er sei unstrittig, dass Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna als Erste das Crispr/Cas-System entwickelt hätten, heißt es dort. Doch sie hätten nicht nachweisen können, dass die Genschere auch in eukaryotischen Zellen von höheren Lebewesen funktioniere. Diese so wichtige Anwendung in Zellen von Pflanzen und Tieren sei als Erstes dem Team des Broad-Instituts gelungen.
Konkret geht um wenige Monate im Sommer und Herbst 2012. Die beiden Forscherinnen haben am 28. Juni 2012 ihre spektakuläre Entdeckung im Fachmagazin „Science“ publiziert. Zhangs Forschung an eukaryotischen Zellen wurde am 3. Januar 2013 veröffentlicht. Für den Patentstreit wurden in der 80-seitigen Begründung sogar Labor-Tagebücher und E-Mail-Nachrichten aus dem Jahr 2012 ausgewertet, um herauszufinden, welches Team das Crispr/Cas-System als Erstes erfolgreich bei höheren Lebewesen eingesetzt hat. Demnach bedauerte Jennifer Doudna am 11. Oktober 2012 in einer E-Mail, dass ein Experiment nicht geklappt habe. Gleichzeitig sollen Aufzeichnungen belegen, dass Zhang am 5. Oktober 2012 entsprechende Erfolge nachweisen konnte. Diese Dokumente waren für das US-Gericht ausreichend.
Wer hat die Genschere zuerst erfolgreich eingesetzt?
Da half es nichts, dass die Forscherin dokumentieren konnte, dass sie und befreundete Forscher bereits im März 2012 mit Zebrafischen experimentierten. Doudna und Charpentier verfolgten schon damals die Idee, Crispr/Cas für eukaryotische Zellen, also für die Anwendung bei Pflanzen und Tieren, zu nutzen. Darüber berichteten sie auch in Gesprächen mit anderen Wissenschaftlern. Es ist durchaus möglich, dass Zhang ein Patent für die Umsetzung einer Idee bekommen hat, die er gar nicht selbst entwickelte. In dem schon lange dauernden Patentstreit hatte die Doudna-Seite 2016 vorgebracht, dass Ende 2011 nur ein Mitarbeiter in Zhangs Labor mit der Erforschung des Crispr/Cas-Systems beschäftigt gewesen sei.
Wie der Patentstreit nun weitergeht, ist völlig offen. „Die Universität von Kalifornien ist von der Entscheidung enttäuscht und glaubt, dass das PTAB eine Reihe von Fehlern gemacht hat“, kommentiert die Doudnas Universität in Berkeley. Beobachter vermuten, dass sich beide Parteien in einem Vergleich einigen werden, damit die Rechtslage endgültig geklärt ist und die Patente in den USA und Europa nicht ständig angefochten werden.
Darf man Veränderungen an DNA und Genen patentieren?
Es gibt aber auch kritische Stimmen, die fragen, ob die Verwendung von Crispr/Cas überhaupt dem Patentrecht unterliegen sollte. Zum einen, weil die Genschere eine Entwicklung der Natur ist und von den Forschenden nur für die einfache Anwendung im Labor angepasst wurde. Zum anderen, weil der Einsatz von Crispr/Cas möglicherweise viele Therapien und Züchtungserfolge liefert, von denen die Menschheit insgesamt profitieren könnte. Diese Argumentation entspricht der Forderung nach der Freigabe aller Patente für die mRNA-Impfstoffe gegen das Sars-Cov-2-Virus.