Queer in Polen: Wie Jugendliche in LGBTQ+-freundlichen Schulen Zuflucht finden
In Polen gibt es LGBTQ+-freundliche Schulen – dem Land, das dieses Jahr erneut als feindlichster EU-Staat für queere Personen eingestuft wurde. Besuch an einem Warschauer Gymnasium, das seit Jahren als queerfreundliche Schule ausgezeichnet wird.
In der Blase sprechen Lehrerïnnen ihre Schülerïnnen mit den selbstgewählten Namen und Pronomen an. Da hängen Schilder an Toilettentüren, auf denen einfach „WC“ geschrieben steht, wo kein Männchen und kein Symbol vorgibt, wer die Toilette zu nutzen hat. Dort sind Regenbogenfarben auf Tornistern und Spindtüren ganz normal. „In unserer Schule fühle ich mich einfach mal nicht so, als wäre ich schuldig“, sagt Aiden, non-binär und Schülerïn.
Die Blase, das ist ein Gymnasium mitten in Warschau, das „Liceum Bednarska“. Häufig fällt dieses Wort, wenn Lehrerïnnen oder Schülerïnnen über das Gymnasium sprechen. Sie wissen, dass ihre Schule besonders ist – dass Regenbogensymbole in manchen polnischen Schulen verboten sind oder das Thema Queer-Sein ganz oft einfach ein Tabu ist.
Das Gymnasium zählt wiederholt zu den LGBTQ+-freundlichsten Schulen Polens, wie ein aktuelles Ranking unter 20.000 polnischen Schüler:innen ergeben hat. Es hat in Polen für viel mediales und politisches Aufsehen gesorgt. Seit fünf Jahren führt Dominik Kuc mit seinem Verein „Growspace“ die Rankings durch – von Schülerïnnen für Schülerïnnen, wie er bei einem Gespräch in einem Warschauer Café sagt. In diesem Jahr haben so viele mitgemacht, wie noch nie.
Die vielen öffentlichkeitswirksamen Fälle von Suizidversuchen unter queeren Jugendlichen in Polen waren der Grund, warum Kuc damals das Ranking initiierte. 70 Prozent der queeren polnischen Jugendlichen denken einer Studie zufolge über Suizid nach. Das Ranking soll queeren Jugendlichen helfen, eine sichere Schule in einem Land zu finden, das etwa von der NGO ILGA Europe dieses Jahr erneut als LGBTQ-feindlichstes EU-Land eingestuft wurde.
Rechtskonservative machen Stimmung gegen das Ranking
Attacken von Politikerïnnen und anderen öffentlichen Personen auf die LGBTQ+-Community haben in Polen zugenommen, seit die rechtskonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) das Land regiert. Einige Regionen haben sich zu „LGBT-Ideologie-freien-Zonen“ erklärt. Der Ombudsmann für Kinderrechte, Mikołaj Pawlak, kündigte an, Kontrollen in den vom Ranking als LGBTQ+-freundlich eingestuften Schulen durchzuführen – und begründete sie damit, dass Direktorïnnen und Institutionen ihre Mitarbeiterïnnen nicht im Pädophilenregister überprüften. Man müsse Kinder vor Kriminellen schützen, sagte er. Ein Gymnasium in der kleinen Ortschaft Kędzierzyn-Koźle wurde kurz nach Bekanntgabe des Rankings von Mitgliedern der rechtskonservativen Partei Suwerenna Polska, also Souveränes Polen, attackiert. Sie veranstalteten eine Sitzung an der Schule, bei der sie Schilder mit Sätzen wie „Die Schule soll lehren, nicht verderben“ und „NEIN zu LGBT in Schulen“ hochhielten.
Wie also sieht so eine queer-freundliche Schule aus? Und wie hält sie den Anfeindungen, den Herausforderungen stand?
Die Direktorin der „Bednarska“ in Warschau, Wanda Łuczak, empfängt in bunten Flatterkleidern in ihrem Büro. „Das war immer eine offene Schule für alle“, sagt sie. „Wir sind einfach bunt – und das haben wir uns nicht von einem Tag auf den anderen überlegt, wir sind es einfach.“ Und doch sei das Thema LGBTQ+ auch an ihrem Gymnasium in den vergangenen Jahren größer geworden – und das Interesse an Plätzen an der Schule gestiegen.
Der erste Hinweis darauf, dass es sich hier um eine queerfreundliche Schule handelt, befindet sich direkt neben dem Eingangsbereich und ist fast unsichtbar. „ Dass es hier keine Geschlechtersymbole gibt, ist eine ganz kleine Sache – aber sie ist unglaublich wichtig für viele LGBTQ+-Personen. Aus Gesprächen mit ihnen wissen wir, dass das Nutzen einer Toilette großen Stress und große Probleme für manche von ihnen bedeutet.“ Und dann gibt es die Regenbogensymbole, die auf den Spinden kleben, auf denen der Schüler:innen und der Lehrer:innen. In der Mensa hängt eine riesige Fahne, in Regenbogen- und den blau-pinken Transfarben.
Regenbogenfarben sind an manchen polnischen Schulen verboten
An einigen Schulen, sagt Dominik Kuc, seien Rucksäcke und Gadgets in Regenbogenfarben verboten. Besonders in Schulen, die in den „LGBT-Ideologie-freien Zonen“ liegen. Einige Kommunen und Regionalparlamente führten ab 2019 eine „Resolution gegen die LGBT-Ideologie“ ein, um die „christlichen und traditionellen Werte der Nation“ zu wahren. Dort sind zum Beispiel Protestmärsche und andere Veranstaltungen der LGBTQ+-Community verboten. Es sind vor allem kleinere, ländlichere Orte, die sich zu solchen Zonen erklärt haben. Großstädte wie Warschau oder Danzig gelten dagegen als sichere Inseln, auf denen viele queere Personen Zuflucht finden. Obwohl sie auch hier nicht vor Diskriminierung sicher sind.
Ab von den Regenbogenflaggen und Stickern ist Queer-Freundlichkeit an der „Bednarska“ etwas, was man nicht sehen kann. Das wird deutlich, wenn Aiden Rusek über Erfahrungen als non-binäre Schüler:in spricht. Aiden benutzt weibliche Pronomen, weil die non-binären polnischen Varianten ihr nicht gefallen. Sie ist in fröhlichen Farben gekleidet und trägt eine orangene Kurzhaarfrisur, wirkt selbstbewusst. „Das war nicht immer so, ich habe früher eine katholische Schule besucht und hatte einen langen, geflochtenen Zopf. Danach habe ich mich fast nur schwarz angezogen, trug schwarzen Kajal und Plateauschuhe.“ Aiden schaut an sich herunter. „Später habe ich gemerkt, dass ich hier aussehen kann, wie ich will. Jetzt kleide ich mich eher wie ein Hippie.“
Den Eltern gegenüber hat Aiden sich geoutet, weil sie wusste, dass sie in der Schule Unterstützung finden würde. „Hier sind die Lehrerïnnen unsere Partnerïnnen. Sie sprechen uns mit den Namen und Pronomen an, die wir gewählt haben.“ Besonders die schulpsychologische Hilfe und die Unterstützung eines Lehrers haben ihr bei dem Coming-Out geholfen, sagt sie. Der Lehrer habe sich immer Zeit für sie genommen und ihr gut zugeredet. Als sie mit dem Thema zu einer Schulpsychologin ging, habe ihre Mutter am nächsten Tag ein Schreiben der Schule erhalten, wo sie im Zusammenhang mit dem Thema LGBTQ+ Hilfe finden könne. „Mein Coming-Out ist sehr gut ausgegangen“, sagt Aiden.
Das Zimmer, in dem die Schulpsycholog:innen mit ihren Schüler:innen sprechen, liegt im Untergeschoss, niemand kann hineinschauen. Es ist in hellen Grüntönen gehalten und mit warmem Licht beleuchtet, auf der Fensterbank blühen Zimmerpflanzen. Es ist der Arbeitsplatz von Maria Snarska. Hier redet sie mit den Jugendlichen unter anderem darüber, wie sie ein Coming-Out durchstehen. „Etwa 40 Prozent der Schüler:innen kommen zu mir, um über ihre Identität zu sprechen“, schätzt sie. Vor allem für Kinder aus besonders katholischen oder konservativen Familien sei das Coming-Out eine Herausforderung und ein Prozess, der Jahre dauern kann. „Es gibt ängstliche Eltern, die eher im katholischen Denken verankert sind. Manchmal ist es so extrem, dass sie ihr Kind von hier wegnehmen wollen – sie glauben, dass unsere Schule Schaden anrichten könnte, nur weil sie offen ist.“
Die Menschen, die hier arbeiten, wirken taff
Für sie als ausgebildete Psychologin ist die Arbeit an der Schule sehr lehrreich, aber auch herausfordernd, sagt sie. „Ich denke, ein Bereich, in dem ich immer noch ständig dazulerne, ist Transgeschlechtlichkeit. Ich lerne, wie ich die Schülerïnnen unterstützen kann, wie ich sie nicht unter Druck setze.“ Es gebe einen Trend, Transidentität auf eine sehr affirmative Art und Weise anzugehen. „Ich bin sehr dafür, das Kind zu begleiten, seine Bedürfnisse zu verfolgen und zu sehen, was in ihm vorgeht, aber auch ruhig und aufmerksam zu sein.“
Die „Bednarska“ gilt aufgrund ihrer Offenheit für Minderheiten und ihrem Lehrstil seit Jahren als Experiment in der polnischen Schullandschaft, sagt Lehrer und Vize-Schuldirektor Barto Pielak. Sie ist eine Privatschule, 1400 Złoty (umgerechnet ca. 300 Euro) zahlen die Eltern, damit ihr Kind die Schule besuchen kann. Das Gymnasium habe sich eine gewisse Autorität in Warschau erkämpft, sagt Pielak – doch von Angriffen aus der Gesellschaft bleibt es nicht verschont. Bei einem Tag der offenen Tür kamen Eltern, die Schülerïnnen fragten, ob man sie hier zu Lesben und Schwulen konvertiere. Einmal veranstaltete die Schule eine „Polonaise der Gleichberechtigung“ auf dem Abschlussball und lud davon ein Video auf YouTube hoch, auf dem zu sehen ist, wie Jungs mit Jungs und Mädchen mit Mädchen tanzten. Das Video erntete viele homophobe Kommentare. „Das war für uns nichts Neues“, sagt Schuldirektorin Wanda Łuczak mit einem Schulterzucken. Die Kommentare sind inzwischen gelöscht, geblieben sind die, in denen die Schule für die Aktion gelobt wird.
Die Menschen, die hier arbeiten, wirken taff. „Unsere Kollegen, unsere jungen Leute, unsere Eltern, unsere Absolventen, das ist unsere kleine Welt, in der das Meiste passiert – und was draußen passiert, ist für uns zweitrangig.“, sagt Barto Pielak. Und doch muss er sich der Kritik von außen stellen. „Es ist oft so, dass mich Leute aus meinem Freundeskreis zum Beispiel fragen: Wie ist es möglich, dass du das zulässt? Dass ich zum Beispiel die Regenbogen-Gemeinschaft fördere. Ob ich wisse, in welchem Land ich lebe.“ Er versuche dann, in den Dialog zu treten und zu erklären. „Ich habe an dieser Schule gelernt, dass man auch Unterhaltungen über schwierige Dinge führen muss.“
Neues Gesetz könnte Antidiskriminierungsarbeit erschweren
Selbst für Schulen wie die „Bednarska“, die nicht in öffentlicher Hand liegen, könnte es bald schwieriger werden, ihre Antidiskriminierungsarbeit fortzuführen. Die PiS strebt eine Novelle des Bildungsgesetzes an, das die Zusammenarbeit von Schulen und unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen erschweren würde. Schon jetzt haben die Versuche, es einzuführen, Wirkung gezeigt, ist Ranking-Initiator Dominik Kuc überzeugt: Weniger Schulen aus kleinen, oft PiS-dominierten Ortschaften wurden als LGBTQ+-freundliche Schule nominiert. In diesem Jahr waren lediglich zwei kleine Orte im Ranking vertreten.
Sowohl Dominik Kuc als auch viele Menschen von der „Bednarska“ hoffen, dass die PiS es bis zu den Wahlen im Herbst nicht mehr schafft, das Gesetz durchzubringen – und die Regierung dann abgewählt wird. Jugendliche wie Aiden haben die Hoffnung auf bessere Zeiten schon aufgegeben: Sie glauben nicht mal daran, dass die Opposition ihre Lage verbessern würde. „Es bringt nichts, gegen Windmühlen zu kämpfen. Ich werde zum Studieren auf jeden Fall ins Ausland gehen – und ich weiß nicht, ob ich je nach Polen zurückkehre“, sagt Aiden. Erst kürzlich habe sie sich mit ehemaligen Mitschülerinnen getroffen. „Keine von denen bleibt in Polen.“