Die Zahl der Pflegekräfte steigt, trotzdem steht das Gesundheitssystem weiter vor großen Problemen

Das Statistische Bundesamt hat gute Nachrichten: Es gibt mehr Pflegekräfte, die Bezahlung steigt. Doch was ist davon zu halten? Die Pflegewissenschaftlerin Renate Stemmer warnt, dass die Zahlen ein falsches Bild vermitteln.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
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"Ich kann gar nicht so schlecht arbeiten wie ich bezahlt werde" steht auf einem Schild, das eine Pflegerin bei einer Demonstration im November 2021 trägt. Sie setzt sich gemeinsam mit ihrer Kollegin für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege ein.

Die Zahl der Pflegekräfte ist deutlich gestiegen, die Bezahlung zum Teil überdurchschnittlich hoch, schreibt das Statistische Bundesamt zum Tag der Pflege am 12. Mai. Doch das ist nur die eine Seite. Die andere: In keinem anderen Beruf fehlten im Jahresdurchschnitt 2020/2021 so viele Fachkräfte wie in der Alten- und in der Krankenpflege. Um mehr Menschen für eine Tätigkeit in der Pflege zu gewinnen, müssten die Berufe attraktiver werden, so das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung im Oktober 2021. Wie passen diese Aussagen zusammen? Das haben wir die Pflegewissenschaftlerin Renate Stemmer von der Katholischen Hochschule Mainz gefragt.

Frau Stemmer, laut dem Statistischen Bundesamt ist die Zahl der Pflegekräfte in Krankenhäusern in den vergangenen zehn Jahren um 18 Prozent gestiegen. Kann man sagen: Alles gut in der Pflege?

Nein, man muss die Ausgangslange betrachten. Seit Einführung der Fallpauschalen 2003 wurden 33.000 Vollzeitstellen in der Pflege gestrichen, obwohl schon vorher nicht genügend Pflegekräfte in den Kliniken gearbeitet haben. Der Aderlass war riesig. Der Abbau von damals wird durch die steigenden Zahlen jetzt nicht ansatzweise wett gemacht. Dazu kommt, dass die Patientenzahlen in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen sind. Schätzungen zufolge fehlen in den Kliniken 100.000 Pflegefachkräfte. Der Mangel bleibt groß.

2019 arbeiteten 954.000 Beschäftigte in Pflegeheimen und bei Pflegediensten – 40 Prozent mehr als 2009. Gleichzeitig beklagen Familien, dass sie keinen Pflegedienst finden, der sie unterstützt. Wie kommt das?

Das Bild ist ähnlich wie in der Krankenpflege. 2009 war die Lage in der Altenpflege desolat. Trotz der Steigerung der Beschäftigungszahlen bleibt der Fachkräftemangel enorm. Zudem muss man wissen: Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich seit 2009 fast verdoppelt. Dadurch ist der Bedarf an professioneller Pflege deutlich gestiegen. Ja, es gibt mehr Pflegekräfte, zum Glück. Aber dadurch wird der Mangel bei weitem nicht abgedeckt.

Mindestlohn macht einen Beruf nicht attraktiv

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