Verkehrswende gescheitert? Weil Car-Sharing schlecht funktioniert, haben wir wieder einen Wagen
Meine Familie hat aufgegeben. Sechs Jahre hatten wir kein eigenes Auto, seit Anfang Oktober steht nun ein Elektroauto in unserem Carport. Über den Stellenwert des Autos in der Gesellschaft und wie schwer es Menschen gemacht wird, ohne Auto auszukommen. Eine Mobilitätskolumne.
Sechs Jahre lebten wir als Familie mit zwei Jugendlichen in unserer 40.000 Einwohnerstadt ohne eigenen Wagen. Das funktionierte größtenteils gut. In Buxtehude befindet sich alles, was man im Alltag braucht, in einem Radius von fünf Kilometern.
Zum Supermarkt fahre ich mit dem Rad fünf Minuten und in die Fußgängerzone laufe ich zehn. Dort gibt es zweimal pro Woche einen Markt, mein Optiker hat dort sein Geschäft und mein Zahnarzt seine Praxis. Zum Schwimmbad sind es im Winter 500 Meter und im Sommer drei Kilometer. Vom Bahnhof mitten im Zentrum fährt mehrmals pro Stunde die S-Bahn nach Hamburg.
Alles was ich benötige, ist also zu Fuß, per Rad oder Bahn erreichbar. Weil wir eher faul sind und gern direkt vor der Haustür parken, sind wir viel mit dem Fahrrad unterwegs. Bei starkem Regen gönnen wir uns auch mal ein Taxi. Wenn wir mit dem Auto in den Urlaub fahren wollen, reservieren wir frühzeitig einen Mietwagen. Für Ausflüge oder den Großeinkauf nutzen wir Car-Sharing.
Autoausleihe braucht zwei Wochen Vorlauf
Dieser Mix funktionierte prima mit einer Ausnahme: dem Car-Sharing. Das Leihen der Autos scheiterte oft an der großen Nachfrage. Die beiden in Buxtehude stationierten Pkw (es gibt noch einen Transporter im Sharing, aber mit dem will man nicht ins Grüne fahren) sind bei schönem Wetter meist unterwegs. Wenn man sie im Frühjahr oder im Sommer am Wochenende nutzen will, muss man rechtzeitig buchen. Das heißt eine Woche vorher, noch besser zwei. Wenn bei uns privat oder beruflich viel los ist, schaffen wir das oft nicht.
Im Frühjahr und Sommer 2024 blickten wir deshalb häufig resigniert auf die breiten blauen Balken der Anzeige der Sharing-App. Sie signalisieren: zu spät angefragt, der Wagen ist ausgeliehen.
Spontanität am Wochenende gestrichen
Als Verkehrsjournalistin finde ich es gut, dass der Bedarf an Sharing-Fahrzeugen in unserer Stadt so groß ist. Als Nutzerin bin ich maximal genervt, vor allem wenn es sich permanent wiederholt. Mein Mann war es irgendwann leid, er fühlte sich eingeschränkt, vermisste die Möglichkeit, spontan irgendwohin fahren zu können. Er wollte den Zugriff auf ein Auto, wenn nötig, für sich allein.
Zwei Wochen diskutierten wir, dann stand ein gebrauchtes Elektroauto in unserem Carport, da wo zuvor die Fahrräder parkten. Mein Mann war begeistert. Er freute sich über das moderne Cockpit, die verschiedenen Einstellmöglichkeiten des Displays, das Laden des Wagens mit unserer Solaranlage, das lautlose Fahren und den ganzen übrigen Technikschnickschnack des Wagens.
Autofahren, wann immer man mag
In den ersten drei Wochen nutzen wir es richtig häufig. Mein Mann fuhr einen Freund besuchen, der weiter weg wohnt, wir fuhren an einem Wochenende spontan samstags und sonntags ins Grüne und als meine Tochter in den Herbstferien ihren Führerschein bekam, fuhr sie drei Tage mit dem Wagen nachmittags durch den Landkreis.
Was mich erstaunte, war die Reaktion von Freunden und Verwandten. „Glückwunsch zum Auto“, „mit Auto ist doch alles viel einfacher“ und „jetzt habt ihr sogar noch vor uns ein Elektroauto“, kommentierten sie den Zuwachs unseres Fuhrparks. Ich war baff. So viel Begeisterung hatte mein E-Bike nie hervorgerufen. Da trugen die Kommentare oft eine andere Botschaft : „Echt, du fährst jetzt E-Bike? Ich brauche noch keinen Motor!“
E-Bike-Kauf ein Rückschritt, Autokauf Fortschritt
Für sie war das E-Bike ein Rückschritt, aber das Elektroauto ein Fortschritt. Für mich war es genau umgekehrt. Ich finde es unfassbar, dass im 21. Jahrhundert Sharing außerhalb der Großstädte immer noch nicht alltagstauglich funktioniert. Insbesondere weil so gute Alternativen existieren.
Im Kreis Barnim etwa, nördlich von Berlin, fungieren die Kreiswerke als Sharing-Anbieter. Dort will die Stadt die Verkehrswende vorantreiben und hat mit den Stadtwerken ein Konzept entwickelt, das zwei Nutzergruppen kombiniert: die Hauptnutzerïnnen und die Mitnutzerïnnen. Die Hauptnutzer der Sharing-Fahrzeuge sind unter anderem Verwaltungen, Unternehmen oder Vereine. Für sie wird das Sharing-Fahrzeug zum Dienstwagen. Deshalb bekommen sie es auch auf den Wunschparkplatz gestellt. Die Hauptnutzer buchen bei den Kreiswerken ein bestimmtes Stundenkontingent für ihre Mitarbeiterïnnen während der Arbeitszeit. Außerhalb dieser Zeit steht es der Allgemeinheit zur Verfügung. 2019 startete das Projekt mit 23 Fahrzeugen, inzwischen sind es 43 in elf Orten mit insgesamt 2800 Nutzern. Ein einfacher Weg, damit am Wochenende mehr Fahrzeuge für Mitnutzende verfügbar sind.
In der Freizeit in die Werkstatt
So ein Angebot wünsche ich mir auch für unseren Landkreis. Ich teile gerne einen Wagen, ich muss ihn nicht besitzen. Sechs Jahre brauchte ich mich nicht um Werkstatttermine, TÜV oder Reifenwechsel kümmern. Wenn der Motor oder die Technik mucksten, rief ich bei der Hotline an. Der Service war im Mietpreis inbegriffen. Ich finde das bequem.
Kürzlich ließ sich die Ladeklappe unseres Wagens nicht öffnen. An einem Freitag, wir wollten mit dem Wagen übers Wochenende wegfahren. Wir fuhren zur Werkstatt, glücklicherweise hatte ein Mechatroniker Zeit und konnte helfen. Das heißt: Er öffnete die Ladeklappe. Schließen sollen wir sie nicht mehr, erst muss ein Hebel repariert werden, aber dafür brauchen wir einen Werkstatttermin.
Wann braucht man ein Auto?
Zugegeben, es macht vieles einfacher, wenn das Auto im Carport steht. Beim Sharing-Fahrzeug musste ich nachts fünf Minuten mit dem Rad vom Parkplatz heim fahren. Wir nutzen den eigenen Wagen auch öfter als zuvor ein gemietetes Fahrzeug. Fast einmal pro Woche. Aber ganz ehrlich: Braucht man dafür einen eigenen Wagen? Als ich kürzlich bei Regen zum Fitnessstudio aufbrach, rief mir mein Mann zu: „Du kannst ja das Auto nehmen“. Ich habe auf die ergänzende Begründung gewartet – damit es nicht die ganze Zeit herumsteht. Ich bin dann trotzdem mit dem E-Bike gefahren.
Vielleicht sollten wir unser Auto privat teilen. Bei dem Gedanken höre ich meinen Mann empört rufen: „Aber nicht an den Wochenenden!“ Er hat ja recht. Genau für die Tage haben wir es gekauft. Aber wissen Sie was: Ich will gar nicht jedes Wochenende Autofahren.