„Ich bin Hanna“: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begehren gegen ihre Arbeitsbedingungen auf

Kritik an Befristungen, Unsicherheit und beruflichen Sackgassen. Die Köpfe hinter der Twitter-Kampagne über ihre Motive.

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Ein Mann läuft, verliert dabei Arbeitsmaterialien und schaut währenddessen auf die Uhr.

Unter dem Hashtag #IchbinHanna schütten derzeit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Twitter ihr Herz aus. „Ich bin Gordon, 38 Jahre alt, Psychologe und erforsche den Zusammenhang von Schlaf und Gedächtnis. Ich bin seit 2019 Emmy-Noether-Nachwuchsgruppenleiter und somit von DFG als exzellent gefördert. Dieses Jahr sind meine 12 Jahre um und mein Wert ist laut BMBF erschöpft. #IchbinHanna“, heißt es da etwa. Gemeint sind die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Oder: „Ich bin Antonia. 2018 hat mich das #WissZeitVG dazu gebracht, ins Ausland zu gehen. Das war für mich ein Glücksfall, denn noch nie war ich so produktiv wie seit dem Zeitpunkt, an dem mir eine Institution einen unbefristeten Vertrag gegeben hat #IchbinHanna“.

Es geht um die Arbeitsbedingungen, die das deutsche Wissenschaftssystem jenen bietet, die promovieren oder ihre Promotion gerade hinter sich, aber noch keinen der wenigen Lehrstühle bekommen konnten – und das vielleicht auch nie tun werden. Die Kritik: Der sogenannte akademische Mittelbau wird durch das „Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ in kurzfristige Arbeitsverträge, dauerhafte Unsicherheit, Burn-out und das berufliche Aus gezwungen. Das BMBF hält in einer aktuellen Stellungnahme dagegen.

Die Köpfe hinter der Kampagne #IchbinHanna haben unsere Fragen dazu beantwortet, was genau sie kritisieren, wie sie sich vom Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) behandelt fühlen und was sie fordern.

Dr. Amrei Bahr ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. PD Dr. Kristin Eichhorn ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Privatdozentin am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Paderborn. Dr. Sebastian Kubon ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg.

Auf Twitter beklagen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter dem Hashtag #IchbinHanna über ihre Arbeitsbedingungen. Wer ist Hanna und was steckt dahinter?

Kristin Eichhorn: Hanna ist eine Figur aus einem Erklärvideo des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Das Video rechtfertigt die Existenz des Sonderrechts für Arbeitgeber in der Wissenschaft, Stellen zu befristen, mit dem Argument, es solle „nicht eine Generation alle Stellen verstopfen“. Innovation komme nur durch ständige Fluktuation zustande.

Zu groß war die Angst, mit solchen öffentlichen Äußerungen die nächste Vertragsverlängerung aufs Spiel zu setzen.

Und Sie als junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen: Halt mal, wir beginnen gerade unsere Berufslaufbahn und verstopfen nichts, haben aber äußerst unsichere Arbeitsbedingungen?

Kristin Eichhorn: Die Kritik an der großzügigen Befristungspraxis in der Wissenschaft gibt es schon länger. Wir hatten im Herbst 2020 mit der Aktion #95vsWissZeitVG den ersten Twittersturm, wo wir in Anlehnung an den Reformationstag 95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz gesammelt haben, um die negativen Folgen für Individuum und Wissenschaft zu verdeutlichen. Das eigentlich schon drei Jahre alte Video vom BMBF hat jetzt einen Nerv betroffen, weil es die Betroffenen, die bis Mitte 40 nicht wissen, wo ihr Lebensmittelpunkt auf Dauer sein wird, als reinen Hohn empfinden.

Was stört Sie besonders?

Kristin Eichhorn: Wissenschaftler*innen sind nur Menschen, die „Stellen verstopfen“? Wertschätzung sieht anders aus. Deshalb haben wir den Hashtag #IchbinHanna ins Leben gerufen, damit sichtbar wird, welche individuellen Schicksale hinter dem Phänomen stehen – und auch, wie viele wir sind.

Warum ist die Resonanz bei dem Thema ausgerechnet jetzt so groß?

Kristin Eichhorn: Lange Zeit waren die Missstände in der Wissenschaft ein Thema, das zwar auf den Fluren der Hochschulen rege diskutiert wurde, zu dem sich aber kaum jemand öffentlich äußern wollte. Zu groß war die Angst, mit solchen öffentlichen Äußerungen die nächste Vertragsverlängerung aufs Spiel zu setzen. Daran sieht man auch noch einmal, warum Befristung keinesfalls wissenschaftsfreundlich ist: Sie führt dazu, dass Wissenschaftler*innen sich anpassen und mit kritischen Anmerkungen hinter dem Berg halten.

Das hat sich dank der Diskussion in den Sozialen Medien jetzt geändert?

Kristin Eichhorn: Schon die Aktionen #95vsWissZeitVG und #ACertainDegreeofFlexibility haben vielen deutlich gemacht, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind. Wenn sich die ersten trauen, sich zu äußern, ermutigt das auch andere. Das sieht man bei #IchbinHanna gut.

Ein hohes persönliches Risiko, das viele gar nicht tragen können.

Was genau kritisieren Sie am Wissenschaftszeitvertragsgesetz?

Die Wissenschafterinnen im Portrait.
Die Köpfe hinter #ichbinhanna (v.l.): Kristin Eichhorn, Amrei Bahr, Sebastian Kubon.
Die Humboldtuni bei Nacht, bestrahlt von Scheinwerfern, die Blumenmuster auf die Fassade projizieren.
Traumarbeitgeber Universität (im Bild die Humboldt-Universität Berlin)? Die Realität ist weit davon entfernt, klagen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
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