Femizide in Tunesien: „Die Frauen liegen im Grab und die Gesetze in der Schublade“

In Tunesien mehren sich die Femizide. Mindestens neun Frauen wurden seit Beginn des Jahres aufgrund ihres Geschlechts getötet. Ein 2017 verabschiedetes Gesetz zum Schutz von Frauen gegen Gewalt wird nicht ausreichend angewendet, kritisieren Frauenrechtlerinnen. Das Bild in den anderen nordafrikanischen Staaten sieht ähnlich aus.

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
4 Minuten
Demonstrierende halten Plakate und Rosen in die Höhe, darunter ein Grabstein aus Pappe

Sie hießen Wafa, Nourhen und Refka. Ihre Namen schallen über den Regierungsplatz von Tunis, als Ende April dort eine kleine Gruppe Demonstrierender an die Opfer von Femiziden erinnert. Sie schlagen Alarm, denn die Zahl der Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts ist zuletzt stark angestiegen. Sie wurden getötet, weil sie sich scheiden lassen wollten, Streit mit dem Partner hatten oder Ehemänner wegen häuslicher Gewalt angezeigt haben. Mindestens neun Tote seien es seit Anfang des Jahres gewesen, beklagen die Organisatorinnen des Protests, im Vergleich zu fünfzehn im ganzen vergangenen Jahr.

Die Zahlen haben Frauenorganisation erhoben. Grundlage sind Fälle, über die in den Medien berichtet wurde oder über die sie aufgrund ihrer Arbeit erfahren haben. „Wahrscheinlich liegt die Zahl viel höher“, beklagt Sana Ben Achour, eine profilierte Frauenrechtlerin, Juristin und Leiterin der Organisation Beity (arabisch für „Mein Haus“). "Eine unserer Forderungen ist daher auch, dass Justiz- und Innenministerien die Zahlen veröffentlichen, um für das Thema zu sensibilisieren.

Eine Frau mit einer roten Rose in der Hand steht in Mitte von Demonstrierenden
Sana Ben Achour ist eine tunesische Frauenrechtlerin der ersten Stunde
Mehrere Demonstrantinnen laufen eine Straße entlang. Auf einem Schild steht Basta, daneben sind rote Handabdrücke zu sehen.
Die Zahl der Femizide ist in Tunesien seit Jahresbeginn deutlich angestiegen, beklagen Frauenorganisationen

Der Staat kommt seiner Sorgfaltspflicht nicht nach, kritisieren Frauenrechtlerinnen

„Man wird nicht als Frau geboren, aber man stirbt als Frau“, steht auf dem Plakat einer Demonstrantin. „Die Frauen liegen im Grab und die Gesetze in der Schublade“ auf einem anderen. Weitere meist junge Demonstrantinnen halten Plakate in Form von Grabsteinen mit den Namen der Opfer in die Luft. Sie alle tragen weiße, mit Kunstblut beschmierte T-Shirts, als sie vor das Justizministerium ziehen, von Zivilpolizei ganz ungeniert gefilmt. Die Demonstrierenden lassen sich davon nicht einschüchtern.

Ein mittelalter Mann mit Sonnenbrille und. weißem Hemd steht in Mitten einer Gruppe Demonstrantinnen. Er hält ein Schild in der Hand, auf dem auf Arabisch "Stoppt Femizide" zu lesen ist.
Dieser Demonstrant beklagt das Desinteresse tunesischer Männer an Frauenrechten
Eine Frau mit Sonnenbrille läuft in der ersten Reihe einer Demonstration. Sie trägt ein Schild, auf dem auf Französisch zu lesen ist: Vergewaltiger, Mörder, Angreifer, jetzt bist du an der Reihe, Angst zu haben"
Ahlem Bousserwel (r.) koordiniert die Aktivitäten der verschiedenen Frauenrechtsgruppen, die zum Protest aufgerufen haben
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