Winterspiele in Peking: Was denkt die Welt?
Wegen der Lage der Menschenrechte in der Volksrepublik China haben mehrere Länder einen Boykott der Olympischen Spiele angekündigt. Ein internationaler Überblick.
Nach dem die Volksrepublik China schon 2008 die Olympischen Sommerspiele ausgerichtet hat, beginnen im Februar in Peking die Winterspiele. Weil das Land Menschenrechte mit Füßen tritt, ist die Teilnahme ein Politikum. Wie gehen Staaten weltweit damit um? Ein globaler Überblick der Weltreporter.
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Fahnen, Hymnen und andere patriotische Symbole gehören zu den Olympischen Spielen wie sportliche Rekorde. Aber wenn ein Land wie China die Spiele ausrichtet, rückt die politische Komponente noch mehr in den Fokus. China-Experte Philipp Mattheis hält aktuelle Boykotte „für das Mindeste angesichts der Menschenrechtsverbrechen“, die sich in China in den letzten zwei Jahren ereignet haben: „Die Demokratie-Bewegung in Hongkong wurde brutal niedergeschlagen, die Autonomie der Stadt unter dem Bruch internationaler Verträge beendet. Die Aktivisten sitzen im Gefängnis oder wurden ins Exil gezwungen.“ Hunderttausende Uiguren befinden sich in Umerziehungslagern, in denen sie Folter, Zwangssterilisierungen und Gehirnwäsche erleiden, schreibt Mattheis in seinem neuen Buch. Sein Resümee: „Diese Spiele sind keine gewöhnlichen Olympischen Spiele.“
Das gilt übrigens auch für die klimatischen Bedingungen. China-Korrespondent Fabian Kretschmer hat Anfang Dezember die Berge rund um Peking in Augenschein genommen. Es ist dort zwar sibirisch-kalt, aber auch extrem trocken. „Es gab nicht mal einen zarten Hauch von Naturschnee – sondern nur etliche Schneekanonen, die bereits seit November auf Hochtouren laufen“, schreibt der Weltreporter-Kollege.
Während die Europäische Union noch um eine gemeinsame Linie ringt, haben die USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada bereits angekündigt, keine politischen Vertreterïnnen nach Peking zu schicken.
Für den Premierminister des Vereinigten Königreichs Boris Johnson ist dieser Boykott relativ risikofrei, so Großbritannien-Korrespondent Peter Stäuber. Nicht nur, weil die Winterspiele von den Bewohnerïnnen der Insel ohnehin nicht so eifrig verfolgt wie die Sommervariante, sondern vor allem, weil sich das Verhältnis zu Peking in den letzten Jahren dezidiert abgekühlt hat. Für den Korrespondenten ist die Teilnahme am Boykott in erster Linie ein politisches Signal an die USA: „London sorgt sich um den wachsenden Einfluss Chinas – und will den USA zeigen, dass Großbritannien ein verlässlicher Partner sein wird, wenn es darum geht, die Macht des östlichen Wirtschaftsriesen einzudämmen.“
Leere Plätze wegen des Boykotts
Auch die für die us-amerikanische Polit-Prominenz reservierten Plätze bleiben im Februar leer. Den Sportlerïnnen des Bob-Teams ist die Aufmerksamkeit trotzdem gewiss. Denn zum vierten Mal nimmt die 37-jährige Elena Meyers Taylor an den Spielen teil. Sie ist eine der wenigen afro-amerikanischen Athletinnen in der Mannschaft – und seit kurzem Mutter. Weltreporter-Kollegin Kerstin Zilm hat die Karriere der Sportlerin verfolgt und kennt die neuen, auch sportlichen Herausforderungen, die die neue Rolle mit sich bringt: Stillzimmer zum Milch abpumpen gibt es neben dem Eiskanal natürlich nicht. Also musste Meyers Taylor vor den Rennen abpumpen und danach in rekordverdächtiger Geschwindigkeit zu ihrem Sohn rasen, um ihn zu füttern.
Während die westliche Welt über einen diplomatischen Boykott der Olympiade in China diskutiert, hält sich Indonesien zurück. Zum einen hat der tropische Inselstaat noch nie an Winterspielen teilgenommen. Zum anderen gilt das Unabhängigkeitsprinzip der indonesischen Außenpolitik, sich nie auf die Seite einer Weltmacht zu stellen. Indonesien-Expertin Christina Schott kennt noch einen weiteren Grund: Der Inselstaat will es sich nicht mit dem Olympischen Komitee verderben. Denn im Januar startete der Indonesische Pencak-Silat-Verband einen neuen Versuch, den traditionellen Kampfsport als olympische Disziplin anerkennen zu lassen. Was für Karate und Taekwondo geklappt hat, soll auch für die indonesisch-malaiische Kampfkunst funktionieren. „Der Grundsatz Sport und Politik zu trennen, gilt hier allerdings nicht: Die treibende Kraft hinter den olympischen Ambitionen ist der Populist Prabowo Subianto, ein ehemaliger General mit guten Chancen, der nächste indonesische Präsident zu werden“, so die Korrespondentin.
Sport und Politik
Wenn es einen Staat gibt, der sich mit der politischen Dimension der Olympischen Spiele auskennt, dann ist das Israel. Im September 2022 jährt es sich zum fünfzigsten Mal, dass palästinensische Terroristen in München einen Anschlag auf das israelische Quartier ausübten. Elf Sportler und ein Polizist starben. „Seither dienen Olympische Boykotte dazu, Flagge zu zeigen“, schreibt Agnes Fazekas, Weltreporterin in Tel Aviv, und lenkt den Blick auf die „Makkabiade“, den größten internationalen jüdischen Sport-Event. Die 1932 erstmals umgesetzte Idee gründete auf der Forderung des Zionisten Max Nordau, Fitness durch Turnen zu fördern. Mit dem Begriff „Muskeljude“ prägte er bereits 1898 einen Gegenbegriff zum „Nervenjuden“ – dem antisemitischen Klischee des schwachen Bücherwurms. Es galt, die Jugend auf die körperliche Arbeit im Gelobten Land vorzubereiten.
Und die Palästinenser? Ihnen fällt es schwer, unter der Besatzung auf die Weltspitze hinzutrainieren. Erst 1996 nahm der erste palästinensische Athlet an Olympia teil. 2020 waren es fünf. Der Gewichtheber Mohamed Hamada reiste schon Wochen zuvor aus Gaza nach Tokyo, damit die Reise nicht an israelischen Restriktionen scheitern würde.
Blick in die Zukunft
Ob sich die Länder Europäischen Union zu einer gemeinsamen Position gegenüber Peking durchringen, hängt unter anderem von Frankreich ab. Das Land hat derzeit die rotierende EU-Ratspräsidentschaft inne. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sieht einen Boykott bisher eher kritisch.
Für erhitzte Debatten in der Öffentlichkeit sorgt das Thema nicht, was vielleicht auch daran liegt, dass Frankreich schon vollkommen mit seinen eigenen Olympischen Spielen beschäftigt ist. Mit einem Volksfest der Superlative sollen die Sommerspiele am 26. Juli 2024 starten, berichtet Frankreich-Korrespondentin Barbara Markert: „Statt wie sonst in einem Stadion zu feiern, soll die Eröffnung auf dem Fluss Seine stattfinden – mitten in Paris, Zaungäste sind herzlich willkommen.“ Auch einen Namen für das Spektakel gibt es schon: La Seine Olympique. Für die Sicherheitskräfte, die für einen reibungslosen Ablauf des Sport-Events zu sorgen haben, wird das eine Herausforderung.