Elite-Unis: „Die Meritokratie ist ein Mythos“

Harvard, Stanford, Yale und Co. zementieren die soziale Spaltung der USA, sagt der Autor Evan Mandery

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
7 Minuten
Abschlussfeier an der Universität Harvard bei Boston

Deutsche Studierende und Lehrende schauen häufig mit Neid auf die amerikanischen Elite-Unis: Spitzenforschung, hervorragende Lehre, üppige Ausstattung. Aber sind Harvard, Stanford, Yale und Co. wirklich die Stätten, wo die Besten der Besten studieren und lehren – oder sind sie Anstalten, an denen sich die herrschende Schicht Amerikas reproduziert? Seit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs zur Affirmative Action im Juni 2023 wird viel über die Aufnahmekriterien an diesen Unis diskutiert. Für seine Sendung Stanford, Harvard, Yale – Sind Elite-Unis noch zeitgemäß?, die am 23. September 2023 auf SWR2 gesendet wird, sprach Weltreporter Christoph Drösser mit Evan Mandery, Juraprofessor an der City University of New York (CUNY), über die soziale Schieflage an den Elitehochschulen. Mandery hat ein Buch geschrieben mit dem Titel Poison Ivy: How Elite Colleges Divide Us („Gift-Efeu – wie Eliteuniversitäten uns entzweien“).

Sie haben selbst eine dieser Elite-Unis besucht, oder?

Ja. Ich habe meinen Abschluss in Harvard gemacht und später an der Harvard Law School studiert.

Fühlen Sie sich also selbst als Teil der Elite?

Ganz und gar nicht. Ich betrachte mich als Teil der CUNY (City University of New York), an der ich seit 25 Jahren unterrichte und an der auch meine Eltern studiert haben. Sie ist einer der größten Förderer von sozialer Mobilität in den Vereinigten Staaten.

Hatten Sie das Gefühl, dass Sie in Harvard fehl am Platz waren?

Allerdings. Mein Vater war Rektor einer Highschool. Ich bin in Brooklyn aufgewachsen und später in einem Mittelklasse-Vorort von Long Island außerhalb von New York. Ich hatte vor meinem Studium noch nie reiche Leute getroffen. Und ich habe mich in meinem ersten und zweiten Studienjahr definitiv sehr unwohl gefühlt.

Die Studierenden of Color, die ich im Lauf der Jahre an der CUNY unterrichtet habe, haben mich sehr geprägt. Etwa zwei Drittel unserer Studierenden kommen aus Familien, die weniger als 30.000 Dollar im Jahr verdienen. Das ist überall in den USA sehr wenig Geld, aber extrem wenig, wenn man in New York leben will.

Die Elite-Unis halten sich zugute, dass sie nur die besten und schlauesten Studierenden des Landes aufnehmen.

Was in den USA über Elitestudenten und über Studierende aus der Arbeiterklasse erzählt wird, regt mich sehr auf. Der Unterschied ist kleiner, als immer gesagt wird. Amerikaner glauben an die Meritokratie – wer oben ist, hat sich das verdient. Das ist ein Mythos. Wer behauptet, dass reiche weiße Harvard- und Yale-Studierende ihren Status verdienen, sagt auch implizit, dass die armen People of Color, die ich unterrichte, zu Recht einen niedrigeren Status haben.

Evan Mandery und sein Buch
Evan Mandery
Die Universität Stanford bei San Francisco
Die Universität Stanford bei San Francisco
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