Putzen, kochen, Kinder hüten: In Peru macht den Haushalt „die Andere“
Hausangestellte haben ein Gesetz erkämpft, das sie besser schützen soll. Dann kam Corona.
Mit Fotos von Natalia Iguiñiz
Peru mag sich noch so modern geben: Im eigenen Zuhause sind Kolonialismus und Klassendenken immer noch lebendig – im Umgang mit den Hausangestellten. Unsere Autorin Hildegard Willer hat selbst eine Putzfrau. Sie schildert das soziale und moralische Dilemma – und wie sich die Frauen freikämpfen.
Als Leda Pérez, eine US-amerikanische Sozialwissenschaftlerin, Lateinamerikanistin und Aktivistin mit kubanischen Wurzeln, der Liebe wegen vor 16 Jahren nach Lima übersiedelte, bekam sie schnell Kontakt zu Frauen mit einem ähnlichen Hintergrund wie sie selbst: Mittelschicht, gut gebildet, berufstätig, links-liberal und feministisch. Schnell waren Gemeinsamkeiten gefunden, bis auf eine: Die meisten Frauen hatten weibliche Angestellte, die ihnen den Haushalt und Kinder abnahmen.
Einige empfanden es als selbstverständlich, dass die Hausangestellten am Tisch servierten und danach in der Küche alleine aßen. Dass sie nicht den Haupteingang, sondern den „Dienstboten“-Eingang benutzten. Oder dass die Hausangestellte im Haus mitwohnte, oft in einem Mini-Zimmer direkt hinter der Küche, und sechs Tage in der Woche rund um die Uhr zur Verfügung stand. „Ich konnte nicht glauben, dass so etwas zu Beginn des 21. Jahrhunderts möglich war“, erinnert sich Leda Pérez.
Für Leda Pérez ist die Frage der Hausarbeiterinnen ein zentraler Ausdruck der Ungleichheit in der peruanischen Gesellschaft. „Wenn ich dagegen nichts unternommen hätte, wäre ich geplatzt.“ Heute ist Leda Pérez die führende Sozialwissenschaftlerin in Peru für Fragen der bezahlten und unbezahlten Haus- und Care-Arbeit.
Rassismus wie in der Kolonie
In den meisten Ländern Lateinamerikas ist es bis weit in die untere Mittelschicht hinein üblich, die Haus- und Erziehungsarbeit meist schlecht bezahlten weiblichen Angestellten zu überlassen. Doch in Peru, dem einstigen Hauptsitz des spanischen Vizekönigsreichs, trägt das Verhältnis zu den Hausangestellten bis heute feudale und rassistische Züge.
Schon für die spanischen Konquistadoren war Hand- und Hausarbeit in der Hierarchie der Arbeiten ganz unten angesiedelt. Da war es nur logisch, dass sie den indigenen Quechua und Aymara überlassen wurden, die als Leibeigene auf den Haciendas schuften mussten und im Gegenzug ein Stück eigenes Land bearbeiten durften.
Dieses koloniale Verhältnis hat sich auch durch die Unabhängigkeit von Spanien nicht geändert und spiegelt sich bis heute im Verhältnis der Mittel- und Oberschicht zu ihren Hausangestellten wider.
„Die Andere“ war die Frau für alles
Kaum jemand hat dieses Verhältnis so demaskiert wie die peruanische Künstlerin Natalia Iguiñiz vor 20 Jahren in ihrer Fotoserie „La Otra – die Andere“. La Otra – darunter versteht man oft die mehr oder weniger heimliche Geliebte des Hausherren.
Natalia Iguiñiz aber stellt die andere „Andere“ in Szene, ohne die jeder Mittelschichtshaushalt in zusammenbrechen würde. Sie holte die sonst in Bügelzimmern, Putzkammern und Dienstbotenräumen versteckten Hausangestellten vor die Kamera. In zwölf menschengroßen Porträttafeln fotografierte sie jeweils eine Hausherrin mit ihrer Angestellten. In fast allen Fällen sind die Angestellten kleiner und dunkelhäutiger als ihre weißhäutigen und größeren Arbeitgeberinnen.
Bis heute ist Hausarbeit die Arbeit von „cholas“, von indigenen oder mestizischen Frauen. Früher kamen sie vom Land und hatten keine andere Wahl, als in der Familie ihrer Arbeitgeber zu wohnen – und damit in einer Art Sklavendienst rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen.
Schon als Kind zum Arbeiten in eine Familie
Sofía Mauricio, 61, hat das alles durchgemacht. Schon als Siebenjährige hat sie in ihrem Heimatdorf in den Anden in einer Familie Kinder gehütet und den Haushalt gemacht. Mit zwölf Jahren kam sie in das große Lima, auf der Suche nach dem Glück – und landete zuerst in einem Haushalt, in dem sie angeschrien und geschlagen wurde, in dem sie auf dem Gang schlafen musste. „Das Schlimmste war, dass sie mir meine langen Haare abschnitten, ohne mich zu fragen.“
Drei Monate lang traute sie sich nicht aus dem Haus. Auf dem Markt traf sie schließlich eine ältere Kollegin, die sie ermutigte, den Haushalt zu wechseln und in eine neu gegründete Gewerkschaft von Hausangestellten einzutreten. Bis heute setzt sich Sofía Mauricio für die Rechte von Hausangestellten ein – von der Nichtregierungsorganisation „Casa de Panchita“ aus.
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Die Pandemie hatte krasse Folgen
Peru hatte einen der härtesten Lockdowns weltweit – und dennoch eine der höchsten Covid-Todesraten. Die Hausangestellten wurden von ihren Arbeitgeberïnnen vor die Wahl gestellt, nach Hause zu gehen – und damit Job und Gehalt zu verlieren – oder sich mit ihren Arbeitgeberïnnen in monatelange Quarantäne zu begeben und ihre eigenen Familien nicht zu sehen.
Leda Pérez und Andrea Gandolfi befragten 312 Hausangestellte, wie es ihnen während der Corona-Pandemie ergangen sei. 86 Prozent berichteten, dass sie ihre Arbeit verloren hätten – und 82 Prozent, dass sie keinerlei Hilfe vom Staat erhalten hätten, obwohl dieser ein Unterstützungsprogramm für Corona-Arbeitslose aufgestellt hatte.
Die Hausangestellten waren durch alle Maschen gefallen. Da nützte auch das neue Gesetz nichts. Denn in Peru ist das geschriebene Gesetz das eine, und die Praxis das andere. Nicht umsonst arbeiten hier zwischen 70 und 80 Prozent der Menschen in informellen, also sozial- und arbeitsrechtlich nicht abgesicherten Arbeitsverhältnissen.
Dies hat auch Lucy H. zu spüren bekommen. Lucy, ausgebildete Lehrerin mit langjähriger Erfahrung in der frühkindlichen Erziehung und Mutter von drei erwachsenen Kindern, hätte sich nie vorstellen können, dass sie mit ihren 55 Jahren bei fremden Leuten gegen Geld putzen und kochen würde.
Doch Lucy ist Venezolanerin. Sie floh vor dem wirtschaftlichen Verfall in ihrem Heimatland nach Peru. Eine Arbeit als Hausangestellte „cama adentro“ – also mit Zimmer bei der Familie – war der einzige Job, den sie bekommen konnte.
Wenn sie heute, zwei Jahre später, von ihren Erfahrungen als Hausangestellte in Lima erzählt, wechselt ihre Stimme immer noch zwischen Entrüstung und Tränen.
Eine Venezolanerin erzählt
„Es war ein Ehepaar mit zwei erwachsenen Kindern Anfang 20, der Vater Arzt, die Mutter hatte eine Boutique. Ich musste für jedes Familienmitglied ein anderes Frühstück machen und zum Teil ans Bett servieren. Wenn ich mir ein Stück Obst nahm – und der Kühlschrank quoll wirklich über in dieser Familie – stellte mich die Frau des Hauses zur Rede, was ich genommen hätte. Wenn der junge Mann des Hauses abends im Bett seine Chips aß, musste ich am nächsten Morgen die Tüten aufräumen und die Schmutzwäsche aufklauben. Ich durfte meine eigene Wäsche nicht in der Waschmaschine waschen, und mein kleines Zimmer war mit den Sachen der Boutique vollgestellt.“
Lucy könnte noch lange weitererzählen, wie es ihr in dieser Mittelschichtsfamilie in Lima erging, die sich aufführte, als seien sie Könige und Lucy ihre Dienerin. Alle zwei Wochen hatte Lucy einen freien Tag. Sie blieb sechs Wochen bei der Mittelschichtfamilie, bevor sie mit ihrem Mann nach Venezuela zurückging. „Ich kenne keine Venezolanerin, die es länger als Hausangestellte in einer peruanischen Familie ausgehalten hat“, sagt auch Sozialwissenschaftlerin Leda Pérez.
Moderne Sklaverei für die moderne Frau?
Ja, sie kenne auch solche Arbeitgeberinnen, erzählt mir Hilda, meine Putzfrau, mit verhaltener Stimme, als ich ihr von Lucy berichte. Aber man würde das in Peru halt nicht so direkt sagen. Mit anderen Worten: Sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse gibt es noch genügend. Nur sind Peruanerinnen eher daran gewöhnt als Venezolanerinnen.
„Solange ich meine Hausangestellte nicht gut bezahle und ihre Rechte respektiere, bin ich Teil des Problems“, sagt Leda Pérez. Ihre bettlägerige Mutter ist auf fremde Pflegerinnen angewiesen, die im Haus schlafen. Und auch ich lagere die mir verhasste Putzarbeit an eine andere Frau aus, an Hilda Prieto. Im Morgengrauen hat sie bereits ihr Haus in einem Außenviertel verlassen, ihrem 15-jährigen Sohn Frühstück gemacht und das Pausenbrot bereitet. Dann steht sie zwei Stunden in stickigen Bussen im Stau, bevor sie überhaupt mit ihrer Arbeit bei mir beginnt. Sicher, ich zahle sie für peruanische Verhältnisse sehr gut. Dennoch weiß ich, dass es viel zu wenig ist und ich mir in einem anderen Land wahrscheinlich nicht leisten könnte, dass jemand anders meinen Dreck wegmacht.
„Wieviel kostet es dich, keine Hausangestellte zu haben und die Arbeit selber zu machen?“, fragt Bettina Valdez, Juristin, Feministin und aktiv in der Hausangestelltenbewegung. „Genau das sollte dann ihr Lohn sein. Ich für mich meine, es wäre mindestens 3.000 Soles wert, rund 800 Euro, oder das Dreifache des Mindestlohns.“ Und das ist dann für viele schon nicht mehr so erschwinglich.
Die Männer sind fein heraus
Bettina Valdez ist eine der wenigen Frauen der Mittelschicht, die für ihre Hausarbeit und die Betreuung ihres einjährigen Kindes aus Prinzip keine Angestellte bezahlt, sondern mit ihrem Mann die Betreuungs- und Hausarbeitszeiten aushandelt. Denn beim bisherigen System sind die Männer die lachenden Dritten: kein häuslicher Streit, wer die Küche aufräumt oder das Klo putzt, wer mit Kochen dran ist und wer das Kind rechtzeitig vom Ballettunterricht abholt.
„Ausgelagerte Hausarbeit muss als wertvolle Arbeit angesehen und bezahlt werden, und zwar unabhängig vom Geschlecht“, ist Leda Pérez überzeugt. Sofía Mauricio kämpft dafür, das neue Gesetz bekannt zu machen bei Angestellten und Arbeitgeberinnen. Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
„Am meisten verstört hat die Zuschauer das Doppelporträt von Verónica und Norberta“, erzählt Künstlerin Natalia Iguiñiz von ihrer Fotoserie „La Otra“ und zeigt auf ein Porträt von zwei jungen Frauen, dunkle Mähne, gleiche Hautfarbe und beide gleich groß. „Denn die Besucherïnnen konnten nicht erkennen, wer die Hausangestellte und wer die Hausherrin ist.“
Bezahlte Hausarbeit als Arbeit wie jede andere: wertvoll, geschätzt und gut entlohnt. Unabhängig von Rasse, Klasse und Geschlecht. Noch ist dies eine Utopie in Peru.