Hass statt Freiheit

Argentinien war einst Vorreiterland bei LGBT-Rechten. Präsident Javier Milei baut sie systematisch ab. Ein Verbrechen wirft die Frage auf: Welche Folgen haben die Hassdiskurse der Regierung?

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Menschen zünden Kerzen an.

An einem Sonntagabend in Buenos Aires beschließt Justo Barrientos, vier Frauen anzuzünden. Der 67-Jährige, Spitzname El Negro, verlässt sein Zimmer mit der Nummer 12 im ersten Stock einer Pension im Stadtviertel Barracas im Süden der argentinischen Hauptstadt. Er öffnet die Tür seiner Nachbarinnen im Zimmer Nummer 14 und wirft einen Brandsatz hinein. Die Kleidung, die auf dem Boden liegt, die Matratze und die Bettdecke fangen sofort Feuer. Die Flammen breiten sich innerhalb von Sekunden aus und erreichen die Frauen, die im Bett liegen. Als sie versuchen, zu fliehen, schlägt der Mann auf sie ein und stößt sie zurück ins Feuer. So wird es ein Nachbar später wiedergeben.

Zwei Tage vorher gab Nicolás Márquez, ein enger Vertrauter des argentinischen Präsidenten Javier Milei, ein mehr als einstündiges Interview in einem der meistgehörten Radiosender Argentiniens, Radio Con Vos. „Der Staat hat bis zur Erscheinung von Javier Milei die Homosexualität gefördert und damit zu einem selbstzerstörerischen Verhalten ermutigt“, sagte Márquez. Homosexualität bezeichnete er als „krankhaft“ und zählte eine Reihe von Zahlen auf, die seine Aussage belegen sollten. Márquez bezeichnet Grundrechte von Frauen und queeren Menschen immer wieder als „Gender-Ideologie“, hinter der vermeintlich der „Kulturmarxismus“ stecke.

Mit der Kettensäge an die Menschenrechte

Es sind Menschen wie diese, Anhänger:innen einer Art argentinischen Alt-Right, mit denen sich der rechtslibertäre Präsident Javier Milei umgibt. Er selbst bezeichnet sich als Anarchokapitalist und tritt gerne mit einer Kettensäge auf, mit der er die Ausgaben des argentinischen Staates beschneiden will. Besonders abgesehen hat er es dabei auf staatliche Institutionen, die Rechte von Frauen und queeren Menschen beschützen sollen. Als eine der ersten Amtshandlungen nach seinem Wahlsieg im Dezember 2023 schaffte er das Ministerium für Frauen, Gender und Vielfalt ab. Es folgte das staatliche Institut gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus INADI. Geschlechtergerechte Sprache und jegliche Hinweise auf Geschlechterperspektive sind in öffentlichen Dokumenten jetzt verboten. Mitglieder von Mileis Regierung verbreiten frauen- und queerfeindliche Diskurse.

Führt die Hassrede zu Hassverbrechen?

Als der Polizist Julio Alacore in der Nacht auf den 6. Mai seine Routinerunde dreht, erhält er einen Notruf wegen eines Feuers in einer Pension in der Straße Olavarría im Stadtviertel Barracas in Buenos Aires. Als er eintrifft, spricht er mit den Nachbarïnnen, die sich auf dem Bürgersteig versammelt haben. Sie berichten ihm von einem Feuer im ersten Stock. Er steigt die Treppe hinauf und sieht, dass aus dem Zimmer mit der Nummer 14 Rauch und Flammen aufsteigen. Auf dem Boden des Gemeinschaftsbads findet er vier Frauen mit Verbrennungen am gesamten Körper. Er ruft die Feuerwehr und den Rettungsdienst. Das wird später in der Gerichtsakte stehen.

María Rachid erfährt über soziale Netzwerke von dem Brandanschlag in Barracas, am Morgen des 6. Mai. Sie ist Gründerin und Präsidentin der Federación Argentina de Lesbianas, Gays, Bisexuales y Trans (FALGBT), der größten argentinischen Dachorganisation, die sich für die Rechte der LGBT-Community einsetzt. Sie vereint über 150 Organisationen im ganzen Land. Rachid ruft den Generaldirektor der Krankenhäuser der Stadt an, um herauszufinden, wo sich die Überlebenden befinden. Pamela Cobas ist bereits wenige Stunden nach dem Brandanschlag im Krankenhaus gestorben. Roxana Figueroa, deren Körperoberfläche zu mehr als 90 Prozent verbrannt ist, kämpft ums Überleben. Die Körperoberfläche von Andrea Amarante ist zu 75 Prozent verbrannt. Nur Sofía Castro Riglos ist ansprechbar. Eine Psychologin und eine Anwältin der LGBT-Ombudsstelle, die Rachid leitet, fahren ins Krankenhaus, um mit ihr zu sprechen.

María Rachid
María Rachid ist Gründerin und Präsidentin der Federación Argentina de Lesbianas, Gays, Bisexuales y Trans (FALGBT), der größten argentinischen Dachorganisation, die sich für die Rechte der LGBT-Community einsetzt.
Die ausgebrannte Wohnung der Opfer.
Die ausgebrannte Wohnung der Opfer. Der Angreifer, ihr Nachbar, soll die vier Frauen zurück in die Flammen gestoßen haben .
Zwei Personen zünden Kerzen an.
Demonstrierende fordern Gerechtigkeit für die Opfer des Lesbizids.
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