Wintersonnenwende: Die Nacht, in der die Sonne zurückkehrt

Die Nacht auf den 21. Juni ist auf der Südhalbkugel die längste Nacht im Jahr. Für die indigenen Völker steht dieses Datum für den Beginn eines neuen Zyklus und die Verbindung zur Natur. Aber Umweltzerstörung und Kommerzialisierung ihrer Traditionen trüben die Feierstimmung.

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Indigene Gemeinden feiern eine Zeremonie auf dem Cerro Chena in Chiles Hauptstadt Santiagos.

Wenn in Santiago de Chile die Tage kürzer werden und die Temperaturen auf frostige fünf Grad sinken, komme ich in Weihnachtsstimmung. Ich zünde Kerzen an, hänge Lichterketten auf, trinke Glühwein (navegado ) und bekomme Lust, Filme mit Schneelandschaften anzuschauen. Manchmal backe ich sogar Kekse. Das Problem dabei ist nur, dass der Winter in Chile im Juni anfängt und es bis Heiligabend noch sechs Monate hin sind. Im Dezember bei über 30 Grad und Sonnenschein habe ich hingegen eher Lust auf Strand als auf Kerzenschein unterm Weihnachtsbaum.

Vor einigen Jahren lud ein Freund mich in der Nacht der Wintersonnenwende zu einem Fest ein, das ich bis dahin noch nicht kannte. Spätabends am 20. Juni trafen wir uns am Fuß des Cerro Chena, einem Hügel in Chiles Hauptstadt. Einst eine Festung der Inkas, ist der Hügel heute ein spirituelles Zentrum für die Aymara- und Quechua-Gemeinden in Santiago. Die ganze Nacht über saßen wir am Lagerfeuer und aßen Sopaipillas (frittierte Kürbisbrötchen) und Milchreis.

Ein Schaman hält eine Opferschale Richtung Himmel.
Yatiri Esteban Guzmán heißt die Sonne willkommen.

„Wir feiern die Rückkehr der Sonne“

Im Morgengrauen liefen wir dann ohne ein Auge zugemacht zu haben in einer langen Prozession den Hügel hinauf, begleitet von andiner Flöten- und Trommelmusik. Oben angekommen verbrannte ein Yatiri, ein Schaman der Aymara, eine Schale mit Kräutern, Zimtstangen, Palo Santo und bunten Luftschlangen und schwenkte eine Weihrauchschale. Ein Reinigungsritual, wie er mir erklärte. Dann tanzten wir Hand in Hand um ein Lagerfeuer, um die Sonne willkommen zu heißen.

„Die Zeremonie des Willka Kuti oder des Inti Raymi könnte man vergleichen mit dem Neujahrsfest“, sagte mir an jenem Morgen der Yatiri Esteban Guzmán. „Aber es wäre unzureichend, nur von einem Jahreswechsel zu sprechen. Die Wintersonnenwende ist für die andinen Völker ein Moment der Erneuerung. Wir feiern die Rückkehr der Sonne.“

Yatiri Esteban Guzmán schwenkt eine Weihrauchschale.
Yatiri Esteban Guzmán schwenkt eine Weihrauchschale.
Samuel Yupanqui auf dem Cerro Chena
Für Samuel Yupanqui ist die Feier des Willka Kuti oder Inti Raymi auch ein politischer Akt der indigenen Völker.
Claudio Millacura ist Professor am Indigenen Lehrstuhl der Universidad de Chile
Claudio Millacura erklärt, dass die Mapuche mit dem We Tripantu eine Erneuerung ihrer Beziehung zur Natur feiern.
Indigene halten bei einem Protest ein Schild hoch mit der Aufschrift: Eine plurinationale verfassungsgebende Versammlung
Die indigenen Mitglieder des Verfassungskonvents in Chile fordern einen plurinationalen Staat.
Jessica Cayupi spricht in ein Mikrofon.
Für Jessica Cayupi ist die Anerkennung des indigenen Feiertags ein Schritt nach vorne, aber es müsse sich noch viel mehr verändern.
ein Feld mit Bäumen im Hintergrund [AI]
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