Stoppt das Öl: Wie man mit Leim und Leiter das Klima rettet
Die britische Klimakampagne Just Stop Oil hat in den vergangenen Wochen für Furore gesorgt. Aktivist Nathan McGovern ist sich sicher, dass die Kampagne die Bevölkerung zu einem Umdenken bewegen kann.
Als Nathan McGovern in der Nacht auf den 6. April mit einer Leiter über den Stacheldrahtzaun des Navigator-Öldepots in Essex kletterte, dann zur Laderampe sprintete und sich mit Sekundenkleber an einem Tragbalken festklebte, war er zunächst verblüfft: „Das war ja einfach!“ dachte er. So einfach, dass er es wenige Tage später noch einmal tat, in einem anderen Ölterminal, wo er sich zusammen mit einem Mitaktivisten festkettete und so dafür sorgte, dass 40 Stunden lang kein einziger Tankwagen die Ladestation verlassen konnte.
In den ersten zwei Aprilwochen machten McGovern und seine mehrere hundert Mitstreiterïnnen Schlagzeilen – und vielerorts sorgten sie für Wutausbrüche. Er ist Teil der Kampagne Just Stop Oil, die die Regierung dazu bringen will, keine weiteren Lizenzen für die Öl- und Gasförderung auszugeben. „Stattdessen sollte Großbritannien so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umstellen“, sagt McGovern. Der 22-jährige Student spricht zwei Wochen nach seiner Aktion per Zoom, er hat einen dunkelblonden Wuschelkopf, eine schwarzumrandete Brille und zwei Piercings in der Nase. McGovern ist relativ neu in der Klimabewegung, seine erste Aktion war die Besetzung der McDonald’s-Filiale am Londoner Leicester Square im vergangenen Sommer.
Blockierte Tanklaster
„Ich war mir schon immer meiner Verantwortung für den Planeten bewusst, und wollte mich selbst in der Klimabewegung engagieren“, sagt McGovern. Er war ein Jahr zuvor Veganer geworden, vor allem weil der Fleischkonsum die Klimakrise mitverursacht. Als er von der geplanten Besetzung des McDonald’s hörte, wollte er mitmachen. Die Aktion endete mit seiner Verhaftung – aber das habe ihn überhaupt nicht abgeschreckt, im Gegenteil: „Es nahm mir die Angst“, sagt McGovern. „Natürlich bin ich mir bewusst, dass eine Verhaftung für mich, einen weißen Mann aus der Mittelklasse, nicht so schlimm ist wie für andere Bevölkerungsgruppen; aber auf jeden Fall gab es mir die Kraft, mehr zu tun.“ Vor allem stieß er auf eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die genau die gleichen Ziele hatten wie er. Als er gegen Ende des letzten Jahres von Just Stop Oil hörte, war er erneut mit dabei.
Zunächst versuchte die Kampagne Aufmerksamkeit zu erregen, indem Protestierende während Fußballspielen auf den Platz rannten und sich an den Torpfosten befestigten. Dann begannen sie, die Ölindustrie gezielter ins Visier zu nehmen: Anfang April begannen sie mit direkten Protestaktionen den Transport von Öl und Benzin zu unterbrechen[JM1] . Fast täglich besetzten die Aktivistïnnen Öldepots im ganzen Land oder blockierten die Einfahrten, andere kletterten auf Tankwagen und hinderten sie an der Weiterfahrt. Rund ein Dutzend Depots mussten ihren Betrieb stunden-, manchmal tagelang einstellen. An manchen Tankstellen ging das Benzin aus. Laut Just Stop Oil sind haben sich rund 1000 Leute an den Aktionen beteiligt, bislang rund 400 Protestierende verhaftet worden.
Die Regierung versprach, die „Guerilla-Taktik“ der Protestierenden nicht zu tolerieren, und die konservative Boulevardpresse echauffierte sich über den „Öko-Pöbel“ und die „grünen Eiferer“. In Fernseh- und Radiointerviews wurde eine junge Aktivistin von Just Stop Oil auf solch herablassende Weise zur Rede gestellt – „Wieso redest du eigentlich die ganze Zeit von der Wissenschaft?!“ fragte einer –, dass schnell Vergleiche mit dem Satirefilm Don’t Look Up (2021) gemacht wurden. Dort versuchen zwei Wissenschaftler (gespielt von Jennifer Lawrence und Leonardo DiCaprio) vergeblich, der Welt zu erklären, dass ein apokalyptisches Desaster in Form eines Kometeneinschlags droht.
Klimabewegung bewirkt Umdenken
McGovern nimmt in Kauf, dass die Kampagne nicht überall Begeisterung auslöst. „Wenn man größere Störungen verursacht, dann werden das manche Leute nicht mögen“, sagt er. Aber dennoch findet er, dass die Kritik am Thema vorbeigehe: „Wir haben alles versucht: Wir haben Petitionen organisiert und an unsere Parlamentsabgeordneten geschrieben, wir haben versucht, uns politisch zu engagieren – aber es hat alles nichts genützt.“ Demgegenüber haben direkte Aktionen und ziviler Ungehorsam mehr als einmal den Lauf der Geschichte geändert, sagt McGovern.
Vor allem die Aufmerksamkeit in den Medien, die solche Aktionen generieren, sei Gold wert: „Zwar verärgern wir manche Leute, aber weil wir immer wieder in den Nachrichten sind, können wir unsere Botschaft unter die Leute bringen.“ Dass direkte Protestaktionen Wirkung zeigen, wird auch von akademischer Seite bestätigt. Oscar Berglund, Politologe an der Universität Bristol, schreibt in einem Twitter-Thread, dass solche Kampagnen zwar manche Leute vor den Kopf stoßen, dafür aber viele für ihre Ziele gewinnen. „Störender Protest ist nur in sehr wenigen Fällen kontraproduktiv“, schreibt Berglund. Zwar können sie nur selten die Mehrheit der Bevölkerung auf ihre Seite ziehen, aber sie bringen ihr Anliegen dennoch voran – besonders wenn die Forderungen klar formuliert sind, so wie im Fall von Just Stop Oil.
Dass die unzähligen Aktionen der britischen Klimabewegung in den vergangenen Jahren bereits ein Umdenken bewirkt haben, zeigen Umfragen, laut denen die Klimakrise von den Briten als drängendstes Problem wahrgenommen wird – wichtiger als Brexit, Pandemie und Wirtschaft. „Im Nachhinein, wenn die Leute in zehn oder zwanzig Jahren zurückblicken, dann werden sie hoffentlich dankbar sein für das, was wir heute tun“, sagt McGovern.
Kürzlich hat Just Stop Oil eine kleine Pause eingelegt, um der Regierung Zeit zu geben, ihren Forderungen Folge zu leisten. Anfang der Woche stand McGovern zusammen mit einer Kollegin vor der Downing Street 10 und las einen Brief an den Premierminister vor: „Wir haben unsere Aktionen bis zum 25. April suspendiert, um Ihnen die Gelegenheit zu geben, im Namen der Regierung alle künftigen Lizenzen für die Exploration, Ausbeutung und Produktion von fossilen Brennstoffen in Großbritannien“, las er vor. Falls die Regierung dies nicht tut, werde die Kampagne des zivilen Ungehorsams ausgeweitet. Selbstverständlich wird McGovern in dem Fall erneut mit von der Partie sein.