Homosexuelle Flüchtlinge aus Uganda: Zusammenleben in einem Safe House in Kenia

Kenia ist in Ostafrika das einzige Land, in dem queere Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung Asyl beantragen können. Gewalt im Alltag erfahren sie trotzdem.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
13 Minuten
Zu sehen sind einige Männer, die in einem Wohnzimmer gemeinsam Fernsehen.

Chris Wasswa schiebt Feuerholz unter dem großen Topf mit Schwarzaugenbohnen nach. Es ist ein grauer Samstagmorgen kurz nach neun; Juni und Juli sind ungemütliche Monate in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, die auf der Südhalbkugel liegt. Chris ist seit über einer Stunde wach, hat sich weder Tee gemacht noch gefrühstückt. Die erste Sorge gilt denen, mit denen Chris zusammenlebt: acht jungen Menschen aus Uganda, die wie Chris in das Nachbarland Kenia fliehen mussten, weil sie anders lieben und sind als die Bevölkerungsmehrheit. Dazu gehört, dass ihnen ihre geschlechtliche Identität nicht anzusehen ist. Chris – Baseballkappe, knielange Shorts, tief offenes Hemd und leichter Kinnbart – ist weder „er“ noch „sie“, sondern „they“ und „them“, also weder rein männlich oder weiblich. [1]

Ersatzfamilie im Nachbarland

In einem Vorort von Nairobi lebt die 29-Jährige mit den acht anderen in einem Safe House zusammen, sie sind einander eine Familie. Die Aufgaben für die Gemeinschaft wechseln nach einem Wochenplan. Heute ist Chris mit Kochen dran, und weil Bohnen fünf Stunden garen müssen, hat sie am Morgen im leeren Hühnerstall hinter dem Haus Feuer entfacht und den großen Topf aufgesetzt.

Noch davor, gleich nach dem Wachwerden, hat sie wie jeden Tag gebetet. Für sich allein auf der Matratze, die in dem kleinen Zimmer auf dem Boden liegt, das Chris mit seinem „Bruder“ Francis teilt. Für die Menschen im Safe House geht es ums Überleben, der Andrang ist groß, da ist für lauter Einzelzimmer kein Platz. Im Moment ist Francis allerdings für ein paar Tage bei Freunden, so lange hat Chris die Matratze, den Kleiderständer und die Musikanlage, die auf dem Boden steht, für sich. Sobald sie morgens zu Bewusstsein kommt, hat er ihrer aller Verletzlichkeit im Kopf. „Ich bitte Gott, dass er mich segnet, dass er meinen Tag segnet, dass er uns hilft, genug zu Essen zu bekommen, und dass er uns auch heute wieder schützt.“

Schutz vor Verfolgung erbeten

Schutz sei das Wichtigste, was sie und die anderen Familienmitglieder von ihrem Gott erbitten: „Wir wissen nie, was uns zustoßen wird. Es kann immer passieren, dass uns jemand angreift wie aus dem Nichts.“ Der Gott, der sie davor bewahren möge, ist für Chris und einige seiner Geschwister der christliche. Andere Mitglieder ihrer Schicksalsfamilie praktizieren keine Religion oder sind Muslime. Gemeinsam ist ihnen, dass sie von den orthodoxen Gläubigen ihres jeweiligen Bekenntnisses mit Hass und Härte verfolgt werden. Bisher sind sie mit dem Leben davongekommen, das zählen sie zu ihrem Glück. Oder rechnen es der Gnade Gottes zu, je nachdem. Alles übrige haben sie verloren: Ihre Familien, ihre Freunde, ihren Job, ihre Heimat. Manche alles innerhalb von einem einzigen Tag.

[1] Um dies im Deutschen zu verdeutlichen, wird im Folgenden abwechselnd »sie« und »er« verwendet.

Zwei Männer stehen über Waschzubern gebückt und erledigen ihre Wäsche.
Im Nature Network ist jede und jeder für seine eigene Wäsche verantwortlich.
Halb von hinten ist ein Mann zu sehen, der sich über einen Aluminiumtopf beugt, der auf einer Gasflamme steht.
Wer welche Arbeiten für die Gemeinschaft erledigen muss, zum Beispiel kochen, rotiert nach einem Wochenplan.
Zwei Männer sind mit Hacken dabei, den Garten umzugraben. Sie sind gebückt und nur von der Seite zu sehen.
Erst vor kurzem sind die Mitglieder des Nature Network in dieses Haus umgezogen. Sie bestellen den Garten, um Kartoffeln und Gemüse anzubauen.
Zwei Männer, von hinten zu sehen, in einer Küche. Auf den Arbeitsplatten stehen Töpfe, offenbar wird ein Essen vorbereitet.
Wie hier in der Küche arbeiten die Mitglieder des Safehouse meist zusammen, um den Haushalt zu erledigen.